laut.de-Kritik
Zwischen Southern Soul, Blues und Country.
Review von David HilzendegenWenn ich bei Krimis etwas gelernt habe, dann, dass der Täter früher oder später zum Tatort zurückkehrt und man sich eigentlich nur auf die Lauer legen muss, um ihn zu stellen. In der Realität scheint es allerdings des Öfteren vorzukommen, dass das Opfer an den Ort des Verbrechens zurückkommt. So geschehen bei Bettye LaVette, ihres Zeichen Opfer von Atlantic Records, die es im Alter von 61 Jahren zurück nach Muscle Shoals zieht.
Genau in diesem Örtchen in Alabama, in dessen FAME-Studios schon Namen wie die Rolling Stones, Aretha Franklin oder Paul Simon zu Gast waren, hat die Gute vor 35 Jahren ihr Debüt "Child Of The Seventies" aufgenommen – eine Platte, die damals aus unerfindlichen Gründen in den Mottenkisten Atlantics landete und nicht veröffentlicht wurde. Geschichte wiederholt sich zum Glück nicht immer. Mittlerweile bei Anti unter Vertrag hat sich die Arbeit dieses Mal gelohnt.
Und zwar nicht nur für Bettye LaVette und ihre Musiker, sondern auch für den Hörer. Unterstützt von den Drive-By Truckers um Produzent Patterson Hood, dessen Vater David schon beim ersten Versuch 1972 am Bass saß und auch auf "The Scene Of The Crime" hin und wieder die Stahlsaiten zupft, lässt Bettye die Genregrenzen zwischen Southern Soul, Blues und Country förmlich verschwinden.
LaVettes Stimme ist mit 61 Lenzen noch so durchdringend und gänsehauterregend, dass sie auch a capella perfekt funktionieren würde, gleichgültig ob schmachtend wie in "Jealousy", eindringlich wie in "I Guess We Shouldn't Talk About That Now" oder als Röhre wie im Opener "I Still Want To Be Your Baby (Take Me Like I Am)". An letzterem Stil sollte sich die moderne Tina Turner mal eine Scheibe abschneiden.
Dass von den zehn enthaltenen Tracks nur ein einziger, "Before The Money Came (The Battle Of Bettye LaVette)"keine Coverversion ist, spricht nicht gegen die Originalität Bettye LaVettes, sondern für ihre Fähigkeit vorhandenes Material auf ihre ganz eigene Weise zu interpretieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Song von Elton John ("Talking Old Soldiers") oder Willie Nelson ("Somebody Pick Up My Pieces") stammt.
Verbunden mit dem Wurlitzer Piano, das mitunter schon Marvin Gayes Klassiker "I Heard It Thorugh The Grapewine" zu dem gemacht hat, was es ist, ist hier ein knapp 45-minütiges Meisterwerk entstanden, dem es an fast nichts fehlt.
Einziger Wermutstropfen ist die mir persönlich zum Teil zu weit in Richtung Country und Southern Rock und zu wenig zum Funk tendierende Schlagrichtung, die ich eigentlich erwartet hätte. Das macht Bettye LaVette mit ihrer Stimme aber locker wieder wett, da kann sich so manch jüngere Kollegin noch einiges abgucken.
2 Kommentare
..mal eine Scheibe abschneiden...einiges abgucken... schnarch...bist Du dir eigentlich nicht selbst langweilig?
Es ist immer schön, wenn ein Thread über solch ein fast schon grandioses Album aus der Versenkung geholt wird. Selbst dann, wenn es ein Schwätzer tut. Der gute Zweck heiligt hier das schlechte Mittel.
Sehr ordentliche Review, David Hilzendegen. Vielleicht hätte man noch diese herrlich verzerrten Gitarren etwas mehr erwähnen können und der Hinweis auf "Wurlitzer" passt wie die berühmte Faust aufs Auge.
Bettye LaVette ist einfach eine Königin der Interpretation, sie covert nicht einfach nur, sie verleiht den fremden Federn neuen Glanz.
Daß es nicht so sehr in Richtung Funk geht, halte ich sogar für ziemlich in Ordnung. Ich mag es wenn sie "bluest". Und die Songauswahl lässt allzu viel Funk wohl auch nicht zu.
Was ich an dem Album zu bekritteln habe: 10 Tracks sind zwar in Ordnung, aber wenns denn zu Ende ist, hätte man schon gerne noch einen Nachschlag.