laut.de-Kritik
Mit Big Boi durch die Sonnensysteme grooven.
Review von Alexander Austel""Boomiverse" ist der große Knall, so wie die Urknalltheorie, der Anfang von etwas Neuem. Es geht darum, neue Sounds an den Start zu bringen, den Horizont zu erweitern, neue Melodien zu kreieren und Musik neu zu denken. Wir versuchen in neue Territorien vorzudringen", lässt Big Boi verlauten und gibt damit dem Album eine Richtung vor: Outer Space. Nicht nur der Titel der Platte, auch das Cover deutet an, dass Antwan Patton unseren Orbit zu verlassen gedenkt.
Zunächst wortspielt sich der MC auf dem Opener "Da Next Day" kurzweilig durch dicke Bässe und Fanfaren, ehe er uns mit "Kill Jill" mit auf die Reise nimmt: Zwar liegen die Wurzeln von "Boomiverse" "In The South", doch mit asiatisch anmutenden Gesangseinlagen im Beat schaut er gemeinsam mit Killer Mike und Jeezy über den Tellerrand. Den abgehackten Flow des Erstgenannten adaptiert Big Boi im zweiten Vers, allerdings mit einer smootheren, eingängigeren Art, bei der sich dann schon mal 'general' auf 'formidable' reimen kann. So ganz zustimmen mag ich der Hook dennoch nicht: "They say it's lonely at the top, this the best shit ever / And even if we die today this shit gon' live forever."
Mit dem gelungenen Balance-Akt aus Pop-Appeal, treibenden Drums, Hip Hop-Flair und unwiderstehlichem Flow flext sich Big Daddy Sax durch dieses Beat-Dickicht des Kopfnicker-Synthie-Durchstarters "Mic Jack". Die zweite Single und damit auch der zweite Hit beweist, mit welchem Feingefühl der ATLien noch immer zu Werke geht. Trotz abgefahrenem, schwer greifbarem Beat-Gewirr macht der Track einiges her. Nicht zuletzt deshalb, weil Adam Levine, Sänger von Maroon 5, die Hook zwar catchy singt und dennoch knapp daran vorbeischrammt, in poppig-schnulzige Sphären abzudriften.
In "All Night" schwebt die Outkast-Hälfte relaxt durch den intergalaktischen Raum, angetrieben von den funky, freshen und luftigen Pianotönen, die hier zu einem kurzweiligen Gute-Laune-Track einladen. Dagegen reift der zunächst chillig wirkende Beat von "Order Of Operation" zu etwas deutlichem Größerem heran, bei dem man das Gefühl bekommt, leicht benebelt durch ein Meteoritenfeld zu fliegen ohne zu kollidieren.
"Schon damals, als wir mit Outkast Musik gemacht haben, ging es uns immer darum, etwas Anderes zu machen als die anderen. Es geht stets darum, sich jedes Mal neu zu erfinden und seine Musik auf das nächste Level zu hieven. Ich finde, jeder Song sollte anders klingen, keiner sich dem anderen ähneln", verriet er kürzlich dem Breakfast Club. Und tatsächlich: Es gleicht fast kein Song dem anderen, in jedem steckt ein anderer Ansatz, was ein gewisse Stringenz vermissen lässt. Ob dies an der Vielzahl der Produzenten liegt, sei dahingestellt. Beim mehrmaligen Durchhören bleibt vor allem der Eindruck zurück, dass Big Boi seine Hörer mit seinen Beats fordert, zu Teilen gar überfordert.
"Overthunk" und auch "Chocolate" wären hierfür passende Beispiele. Ersterer nervt schon beinahe mit einem völlig abgespaceten Sound und einer diesmal übertrieben anbiedernden Hook von Eric Bellinger. Letztgenannter überrascht zunächst mit einem durchgeknallten und Fenster aus den Läden reißenden Bass, der dem Song Tiefe verleiht und sich von den Synthies nach vorne peitschen lässt. Dieses Ungeheuer von Beat meistert Big Boi zwar lässig, worin man großen Sport erkennen kann, aufreibend und fordernd bis nervig bleibt es trotzdem.
Der Song der diese Tatsache jedoch auf die Spitze treibt, ist "Freakanomics". Der Platin-dekorierte Beatbastler Ian Kirkpatrick schnallt dem ATLien einen Antrieb unter den Allerwertesten, dass es diesen mitsamt des quietschenden Saxophons in weit entfernte Galaxien schießt. "You had a long flight but you wanna bust now / Or later, like the candy, come out the panties, please / Got to be polite with all these freaks, freeze / Tag the moon over the stars, into the Boomiverse we are." Hier scheiden sich die Geister: Drüben erlebt man einen WTF-Moment der Extraklasse, hüben hält es den Autor kaum auf seinem Schreibtischstuhl. Die Saxophon-Sounds perlen so quirlig aus den Boxen, dass sich die Tanzschuhe von fast alleine schnüren und man mit Big Boi durch die Sonnensysteme grooven will.
Ob man das nun feiert oder nicht: Big Boi bleibt seinem Motto, sich stets neu erfinden zu wollen, treu. Dass das bei "Sir Lucious Left Foot" noch deutlich südlich verhafteter, geerdeter war, mit "Vicious Lies" dann schon langsam abhob und nun eben gar nicht mehr einzuholen ist, kann man, muss man aber nicht gutheißen. Nichtsdestotrotz bleibt er im Hier und Jetzt, adaptiert Stile ohne sie ganz zu übernehmen, überzeugt noch immer mit seinem Flow und bleibt spannend. "Stayin' fresh that's the gameplan / Out the oven cause we never microwavin'."
5 Kommentare mit 6 Antworten
Chocolate könnte von den Chemical Brothers sein und Freakonomics klingt derbe nach Gorillaz, finde ich. Cool jedenfalls, dass Big Boi nicht dem Zeitgeist hinterher rennt.
Sehr gutes Album.
Ganz eigener Sound. Kein Einheitsbrei. Nur leider bekommt Big Boi zu wenig Beachtung, wenn man sich die Spotify Streams anschaut und den Einstieg in die Bilboard Charts (glaube irgendwo zwischen 20 und 30). Schade. Hat mehr verdient. 4/5 von mir
Ich liebe es, das Wort "Boomiverse" laut auszusprechen. Leider bieten sich im Alltag viel zu wenige Gelegenheiten dafür, wenn man selbst nicht laufend welche erschafft!
Jambalaya.
Bananarama
Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange.
Chimichanga!
Arschgefickter Riesenpimmel.
Herzlichst, Ihr mittlerer Rechtsgelehrter
Make a wish, make a succotash wish
Hätte nicht gedacht, dass mir mal ein Song mit Adam Levine gefällt. Aber gutes Ding, das Album.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.