28. März 2019

"Ich will Leuten eine digitale Umarmung geben"

Interview geführt von

Sie ist der vielleicht größte Artist, der sich in der Pop-Ära nach Lorde wirklich die Aura eines Stars angeeignet hat: Billie Eilish explodierte in den letzten Jahren mit viralen Singles, eindringlichen Musikvideos und riesigen Touren.

Ihr offener Umgang mit Gefühlen, Schwächen und mentalen Erkrankungen ließen sie zu einer der größten Stimmen Jugendlicher weltweit werden, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Zweimal verspätet sich der Anruf, der mich von ihrem Label erwartet.

Ich sitze eigentlich im Urlaub in Sevilla, aber die kurzfristige Gelegenheit, die Lieblingssängerin meines kleinen Bruders zu interviewen, kann ich mir nicht entgehen lassen. Dann klingelt das Handy einmal, zweimal, dreimal, ich hebe ab und bin nervös. "Billie Eilish is intimidating as hell" titelt eine der größten Stories über die Alt-Pop-Sensation.

Ihr neues Album "When We All Fall Asleep, Where Do We Go" durfte ich zwar hören, aber meine Zuversicht, einem ohnehin nonstop mit Interviews überfrachtetem Weltstar als mittelmäßig charismatischer Niemand aus der süddeutschen Provinz am Telefon eine angenehme Gesprächsatmosphäre aus der Nase zu ziehen, schwindet mit der Sekunde. Dann sprechen wir ein paar Takte - und sieh an: Es geht. Sie ist redselig, professionell und doch überraschend nahbar. In einem erfrischend offenen Dialog geht es um romantisierte Depression, Schubladendenken und darum, was Jungsein ausmacht.

Hi! Schön, mit dir sprechen zu können.

Hi. Wie geht's dir?

Ganz gut. Ich habe heute Nacht davon geträumt, ich wäre ein fliegender Spaghettihändler. Wie geht's denn dir?

(Lacht) Mir geht’s auch gut. Ich lebe. Ich bin seit heute in London, es ist cool hier.

Du bewegst dich ja auch in Vorbereitung deiner neuen Platte durch Europa, "When We All Fall Asleep, Where Do We Go". An eines habe ich beim Durchhören immer wieder denken müssen: Die Leute werden Vergleiche anstellen. Sei es jetzt Lorde, Lana Del Rey oder wer auch immer. Aber es wird diese Schublade definitiv wieder geben. Wie fühlst du dich damit? Kannst du dich mit der Vorstellung wohlfühlen, dass die Leute eine Schublade für deine Musik brauchen?

Mhh. Ich hasse Schubladen. Wenn ich ehrlich bin, bevor Leute mich in eine Schublade stecken, sollen sie mich lieber ganz wegwerfen. Es ist schwer, das zu beantworten, weil dieses Boxen-Denken ja da ist, aber mich grundlegend abstößt. Ich will nicht nicht eine Sache sein, ich will beweglich sein und mich verändern können. Ich will nicht an einen Begriff oder einen Ort gebunden bleiben. Aber Leute lieben es eben, Sachen zu vergleichen. Sie lieben es einfach.

Sie wollen die Dinge schön säuberlich kategorisieren können und dann noch mit Filzstift einen Namen draufmalen. Es darf nichts Schwammiges geben, nichts Unklares, alles muss abgepackt sein. Alles ist immer nur ja oder nein. Es ist doch auch überall so: Selbe Sache mit Sexualität und Gender, oder? Das ist ja das große Problem an queeren Beziehungen. Dies das, der Punkt ist: Leute wollen Antworten, und bestenfalls wollen sie die Antwort, die ihnen eh vorschwebt, egal, was du eigentlich antworten willst.

Vielleicht sollte man dieses Bedürfnis nach Kategorien auch etwas in Schutz nehmen. Am Ende ist es eben schön, wenn man mit ein paar Worten auch der eigenen Großmutter erklären kann, was einem da blüht, und sie versteht dann eben zumindest ein bisschen, was man meint. Irgendwie muss man ja kommunizieren, oder?

Ja, da mag was dran sein. Es läuft eben so mit der Musik. Ich will bloß nichts sein, das ich nicht bin, also lege ich mich lieber von vornherein auf nichts zu genaues fest. Ich will mir die Möglichkeit lassen, alles zu sein. Ich bin alles.

"Ich bin Alles."

Eine Line, die mit auf dem Album irgendwie sehr ins Auge gefallen ist, klingt auf den ersten Blick gar nicht so aufregend: "You're so pretentious". Aber irgendetwas daran hat mein Interesse geweckt. Es ist so eine häufige Aussage in unserer Generation, auch wenn niemand so genau erklären kann, was prätentiös genau bedeutet. Außerdem kam es mir irgendwie essentiell Billie vor. Magst du erklären, was Menschen für dich prätentiös macht?

Ja, für mich ist es, gerade in dem Kontext von dem Song, der ja recht selbsterklärend sein sollte, das muss ich jetzt nicht ausformulieren, eigentlich auch recht schwammig. Ich bin für offene Interpretation, was jemand in etwas herein liest, ist das, was da steht. Aber für mich ist es so: Wenn man in einer Lage ist, in der man jemanden braucht, sei es nur jemanden, um zu reden, oder wirklich handfeste Hilfe. Jemanden, der aufpasst. Und dann kommt eine Person und wirft einem sinnlose, hohle Phrasen an den Kopf, Allgemeinplätze, die die Lage nur verwässern. Dann denke ich mir zum Beispiel: 'Okay, aber geht es gerade wirklich in dieser Hinsicht um dich? Hilft das gerade?'. Ich weiß ja nicht, aber ich habe irgendwie dieses Gefühl, dass in dem Moment der Hilfe es wirklich um die Person gehen sollte, der geholfen wird.

Dann geht es keine Sekunde um dich, auch um den Leuten nicht noch Sorgen zu bereiten, ob sie nicht gerade deinen Seelenfrieden stören könnten. Diese Gedanken haben in so einer Situation nichts verloren. Und weißt du, das ist dann diese Situation, die ich schon an beiden Enden erlebt habe. Jemand, der wirklich durch eine harte Zeit geht, will nicht 'aber unsere Liebe ist ja für immer' hören, keine dummen Phrasen, die mit dem Problem überhaupt nichts zu tun haben. Und dann dachte ich mir jedes Mal:

Mensch, sei nicht so prätentiös. Red jetzt gerade nicht so. Mach nicht, dass es jetzt um dich geht. Vielleicht brauche ich gerade Hilfe, vielleicht wünsche ich mir gerade, dass mir jemand zuhört. Erzähl mir nichts. Manche Leute begeben sich einfach in diese Position, in der sie sich das Recht herausnehmen, sich eine größere Rolle im Leben anderer herauszunehmen, als es gerade vielleicht angemessen wäre. Es ist schwer zu beschreiben.

Das ist alles eine komplexe Kiste, klar. Und es ist unglaublich schwer zu verstehen, wie sich diese Dynamik von Helfen und Hilfe einfordern auf eine Beziehung auswirken könnte. Aber wer sollte darüber sprechen, wenn nicht du? Gewissermaßen hat die Welt dich ja zur Botschafterin der depressiven Teenager auserkoren.

(Lacht)

Ist das nicht eine schräge Position? Ich habe darüber neulich mit Freunden gesprochen. Diese Frage danach, ob es richtig ist, dass Musik die Möglichkeit hat, Depression zwar nicht nur zu verstehen, aber zu einem gewissen Grad auch zu ästhetisieren, man könnte fast schon von romantisieren sprechen. Ein bisschen wie die Situation um Lil Peep. Wie fühlst du dich damit?

Hmm. Ja, diese Punkte habe ich auch schon gehört, aber ich finde sie wirklich blöd. Ugh, das ist so nervig. Ich lasse doch eigentlich nichts gut aussehen, oder? Und ich zeige den Leuten, dass es nicht nur sie sind, denen es so geht. Es ist ein bisschen wie mit dem, das ich vorhin gesagt habe: Die Leute nehmen sich da schon wieder das Recht heraus, irgendetwas über sich selbst zu machen. "Oh, sieh an, also ich habe mich nie so schlecht gefühlt, ich habe mich immer geliebt". Da habe ich neulich einen wirklich dummen Kommentar gelesen, der folgenden Vergleich gemacht hat: Würde jetzt ein dickerer Mensch mit anderen dickeren Leuten Solidarität darüber verspüren, wie die Gesellschaft sie deswegen behandelt, dann würde ich mich nach dessen Logik nicht da hineinversetzen können, weil ich ja nichts bräuchte, um mich besser zu fühlen, weil ich nie dick war. Aber Verständnis ist doch keine Werbung. Ich denke mir dann immer, Junge, sei einfach ruhig. Es interessiert doch wirklich niemanden (lacht). Ich sehe es so: Ich will, dass Leute sich besser fühlen können. Ich will Leuten eine digitale Umarmung geben. Niemand sollte sich schlecht mit dem Wesen fühlen müssen, das er ist. Und gerade mit diesem Depressions-Thema regt es mich dann auf, wenn Erwachsene kommen und mich warnen, ich würde es romantisch machen, während da immer noch Leute ausgegrenzt werden, die dann glauben, es wäre etwas grundlegend falsch mit ihnen.

"Ich will Leuten eine digitale Umarmung geben"

Du meinst also, dass man das Problem mit dieser Logik nicht unsichtbar machen darf?

Ja, gewissermaßen. Ich will nicht, dass Menschen verurteilt werden, die sich Hilfe suchen. Das ist so eine hundsgemeine Art und Weise, jemanden einzuengen oder davon abzuhalten, sich Hilfe zu holen. Oder auch dieses ständige vergleichen. 'Also ich brauchte ja nie Hilfe von irgendjemandem'. Schön für dich, manche Leute schon – und jetzt sei ruhig. Es ist nicht dein Leben.

Eine Frage will ich noch stellen. Und zwar folgendes: Du bist mehr oder weniger bekannt geworden – wie ich schon sagte – die Spokesperson einer Jugend zu sein, die andere schlechter verstehen als du. Wo kommt diese Qualität her? Kann man gut darin sein, jung zu sein?

Ohje, das ist eine Frage. Nein. Man kann in so etwas nicht gut sein. Ich schätze, niemand kann generell gut darin sein, irgendein Alter zu haben. Wenn du jung bist, willst du alt sein und wenn du alt bist, willst du jung sein. Und in der Mitte weißt du schon gar nicht, was du willst. Ganz ehrlich bin ich ziemlich überzeugt davon, dass niemand jemals irgendeine Ahnung hat, was er wirklich will (lacht). Ja, ich schätze das ist meine Antwort darauf.

Alles klar. Das ist doch ein schönes Fazit. Vielen Dank für deine Zeit und die Antworten, genieße London!

Ja, danke dir auch. Mach's gut!

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1 Kommentar

  • Vor 5 Jahren

    Gähn. Noch eine Göre die anscheinend den "Pop rettet". Wie alle Retterinnen des Pop der letzten 15 Jahre davor auch.
    Auch lustig: Die vielbeschworene "Schublade". Ich kann es nicht mehr lesen. Das ist so jede Band und jeder Artist seit mindestens 25 Jahren.