laut.de-Kritik
Ein schwüles Statement gegen Unterdrückung.
Review von Toni HennigÜber das Thema Polizeigewalt kann der britische Musiker Devonté Hynes ein Liedchen singen. Während eines Auftritts beim Lollapalooza 2014 attackierten ihn Security-Mitarbeiter nach einer Rede zum Thema. Das ist leider noch immer brandaktuell: Die Situation zwischen der farbigen amerikanischen Bevölkerung und der Polizei scheint nach der Ermordung zweier Afroamerikaner durch Polizisten gerade wieder gewaltsam zu eskalieren.
Hynes twitterte als Reaktion auf die jüngsten Vorfälle: "Hört auf, uns zu töten." Die Erfahrung, dass seine Worte ungehört verhallen, greift er auf "Freetown Sound" auf. Mit dem neuen Album seines Projekts Blood Orange will er den Opfern staatlicher und gesellschaftlicher Oppression in den USA eine Stimme geben.
Das kurze Intro "By Ourselves" basiert auf einen Gedicht von Ashlee Haze und plädiert für ein schwarzes, feministisches Selbstvertrauen. Es herrscht immer noch eine hitzige Debatte darüber, das der Feminismus andere ethnische Minderheiten auszuschließen versuche. Musikalisch kommt das im klassischen Jazz-Gewand mit Gospel-Gesängen daher, die in Haze' überschwänglicher Rede auf Freiheit und Selbstbestimmung münden.
"Augustine" prägen repetitive Drumschläge. Der Song hätte mit seinen Pianotupfern und dem verhallten Gesang auch Prince gut zu Gesicht gestanden. "Chance" führt die verträumte, relaxte Richtung weiter und reduziert das Tempo, um die weiblichen Gesänge in den Vordergrund zu rücken.
"Best To You", in dem Debbie Harry zu hören ist und die Sängerin Loreley Rodriguez von Empress Of ihren Auftritt bekommt, kann man sich aufgrund der loungigen Atmosphäre und dem wunderschönen Refrain kaum entziehen.
Die einzelnen Tracks gehen nahtlos ineinander über und vermitteln ein geschlossenes Gesamtbild, das für laue Sommerabend schon ziemlich perfekt erscheint.
"E.V.P." setzt auf kühle 80s-Sounds und eine unverschämt gute Funk-Rock-Line, die auch Nile Rodgers sich nicht einfach so im Schlaf ausdenkt. "Love Ya" fordert Gerechtigkeit für alle ethnischen Gruppen in Gestalt eines versunkenen Easy Listening-Jazz-Songs.
"Desirée" besitzt Bezüge zu Venus Xtravaganza, einer Transgenderin, die sich in der Dokumentation "Paris Is Burning" für die Gleichberechtigung von schwarzen und weißen Frauen in der Gesellschaft einsetzt. Der Song gestaltet sich wieder sehr funkig und greift die Loungesounds von "Best To You" wunderbar auf.
Bei knapp einer Stunde Spielzeit finden sich auch ein paar Längen. In der zweiten Hälfte nimmt das musikalische Niveau nicht grundlegend ab, aber Tracks wie "Hands Up", "Thank You" und "I Know", ziehen etwas unspektakulär am Ohr vorbei. Es fehlen im Gegensatz zur ersten Hälfte ein paar echte Hits.
Das Highlight des Albums markiert das berührende Duett "Hadron Collider". Das rückt ins Gedächtnis, das Nelly Furtado immer noch über eine ziemlich brillante Stimme verfügt. Die vom Pianospiel geprägte Ballade geht unmittelbar ins Herz. "Better Than Me" greift wieder den urbanen Spirit der 80er auf und fasziniert mit einen ausgeklügelten Refrain und lasziven weiblichen Geflüster.
Letztendlich braucht das Album ein bisschen Zeit und die passende abendliche Stimmung, um sich dem Hörer zu offenbaren. Wer erwartet, dass Dev Hynes zu seinen Indie-Wurzeln zurückkehrt, dürfte sich enttäuscht abwenden. Dafür lebt er seine urbane, schwüle R&B-Ästhetik auf "Freetown Sound" hervorragend aus.
Mit "Freetown Sound" schafft Hynes ein Album, das nicht nur ein wichtiges inhaltliches Statement darstellt, sondern ihn musikalisch um Einiges gereifter als noch auf "Cupid Deluxe" zeigt. Sein Songwriting und die musikalische Detailfülle katapultieren ihn mittlerweile in die erste Liga, er findet zu einer eigenständigen Identität und Handschrift.
Noch keine Kommentare