laut.de-Kritik
Kopfkino vom Feinsten: wie ein Film ohne Leinwand.
Review von David HilzendegenVier Jahre sind vergangen, doch die Lobhudeleien über Bonobos drittes Album "Days To Come" sind bis heute nicht verklungen. Ein außergewöhnliches Stück Arbeit eines Mannes, der mit massig Talent gesegnet sei, heißt es.
Ein zukünftiger Klassiker und der bisherige Höhepunkt in der Karriere, meinte die englische Fachpresse. So erfreulich derart positive Resonanz sein mag, ist sie doch gleichzeitig ein schweres Erbe. Bonobo wäre nicht der Erste, der über die selbst errichteten Hürden stolpern würde.
Folgerichtig nahm er sich für den Nachfolger ausreichend Zeit, statt in einer Art euphorischer Übersprungshandlung die Welle des Erfolges schnellstmöglich abreiten zu wollen. Es hat sich gelohnt: "Black Sands" setzt dem hervorragenden Vorgänger nicht nur die Krone auf, sie steht für die sensationelle Entwicklung, die Simon Green seit seinem Debüt aus dem Jahr 2000 durchlaufen hat.
Einer von vielen war er zu Beginn des Jahrtausends, irgendwo zwischen Quantic, Waldeck und Blockhead einzuordnen, mit guten Anlagen, ohne jedoch aus der Masse herauszustechen. Dementsprechend wurde seine noch eher Trip Hop-lastige Musik schnell in die große Chill-Out-Schublade gesteckt. Eine Sache, die Bonobo bis heute überhaupt nicht schmeckt.
Frei nach dem Motto "jeder ist seines eigenen Werturteils Schmied" verfeinert er seitdem seinen Stil kontinuierlich. Bonobo-Tracks sind im Zeitalter des "Black Sands" keine entspannten Hintergrundfüller mehr, sie sind vielschichtige, atmosphärische Meisterwerke, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählen. Damit steht der Ninja Tune-Künstler im eigenen Haus in Konkurrenz: Was Jason Swinscoe mit seinem vielköpfigen Cinematic Orchestra macht, schafft Bonobo mit ein paar wenigen Gastmusikern.
Ausufernde Epen wie bei deren Meisterstück "Everyday" finden sich auf "Black Sands" indes nicht, Bonobo begnügt sich beim längsten Titel mit knapp sieben Minuten statt derer zwölf. Auch das teils monumental Wuchtige geht der quasi Ein-Mann-Produktion natürlicherweise ab.
Dennoch trifft er genau den Punkt, den sich Swinscoes Mannen bereits in den Namen geschrieben haben: Es ist ein 50-minütiger Film ohne Leinwand. Kopfkino vom Feinsten - ohne in die nichtssagende Lounge-Ecke abzurutschen.
Es beginnt bereits in der ersten Sekunde von "Kiara Prelude", wenn Streicher zu einer Melodie ansetzen, die sich ansonsten in chinesischen Kunstfilmen oder einschlägigen Computerrollenspielen wiederfindet. Ein Piano setzt ein, zum Ende leise, rauschende Effekte im Hintergrund.
Knapp zwei Minuten hält er die Komposition, die klingt wie ein sonniger Frühlingsmorgen, dann bettet er sie im drückenden Bassgerüst des eigentlichen "Kiara" ein. Leichte Synthies kommen hinzu, ebenso Vocal-Versatzstücke, was sich später in weniger abgehackter Form auch in "All In Forms" wiederfindet.
Souliger geht es in "Kong" und "El Toro" zur Sache. Dem Jazz, der in abgespeckter Form ohnehin irgendwie immer immanent ist, huldigt das von einem Bläser getragene "Animals". Ganz gleich, welchen Stil Bonobo mit welchen Instrumenten zuvorderst füttert und mit welchen kleinen technischen Raffinessen er die Titel anreichert, alle hallen sie für sich nach. So entsteht ein Wiedererkennungswert, der bereits nach den ersten paar Takten einsetzt.
Nicht nur, dass er die meisten Instrumente selbst einspielt, er hat auch ein bemerkenswert gutes Händchen für die passenden Vokalisten. Was vor vier Jahren Bajka mit ihrer markant tiefen Stimme war, ist anno 2010 die nicht minder soulige Andreya Triana. Die Sängerin, die sich auch für ihr in der Entstehung begriffenes Solodebüt unter Bonobos Produzentenfittiche begeben hat, macht da weiter, wo sie bei Flying Lotus und Mr. Scruff aufgehört hat: Mit einer zurückhaltenden, zuweilen gar fragilen und doch enorm einprägsamen, geradezu erotisierenden Untermalung der Beats.
Das gilt für das wabernde, basslastige "Eyesdown" ebenso wie für die von einem Glockenspiel begleitete, funkigere Singleauskopplung "The Keeper". Dass Triana auch flotter kann, zeigt das polyrhythmische "Wonder When".
Es deutet sich ein musikalisches Traumpaar an, das in seiner perfekten Abstimmung an TM Juke und Alice Russell erinnert. Damit meistert Bonobo sein eigenes Erbe zwar, gleichzeitig bürdet er es Andreya Triana auf. Da hängt die Latte abermals enorm hoch.
6 Kommentare
JAAAAAAAAAAAAAAA! sehr schönes review, auch wenn es einfach nicht stimmt, er hätte anfang der 2000er nicht aus der masse rausgestochen. "animal magic" hat mehr als nur hohe wellen im bereich des downtempo geschlagen. vor allem in der englischen fachpresse
Jo, aber das war bei den genannten Quantic, Blockhead und wie sie alle heißen ebenfalls der Fall. Bleibt letztlich wohl Geschmackssache
klar, vielleicht deute ich die stelle des rezensenten auch falsch, es kam mir nur wie eine allgemeingültige äußerung vor, die die musikpresse teilt. aber was ich gar nicht wusste, dass days to come so abgefeiert wurde. muss ich direkt nochmal reinhören ^^
In typischer laut.de-Schlampigkeit einfach mal wieder die Trackliste der Promo-CD abgeschrieben.
Die richtige Liste unter: ninjatune.net/ninja/release.php?id=1649 oder bei Amazon als MP3-Download.
Nette Platte übrigens...
auf jeden Fall ganz großes Ohren- und Kopfkino. Neben Gorillaz "Plastic Beach", These New Puritans "Hidden" DAS Album des ersten Quartals in diesem Jahr. Bravo!!
@Lagrange78 (« auf jeden Fall ganz großes Ohren- und Kopfkino. Neben Gorillaz "Plastic Beach", These New Puritans "Hidden" DAS Album des ersten Quartals in diesem Jahr. Bravo!! »):
gorillaz war für mich nicht ohne längen aber bei allem anderen sind wir uns einig