20. Dezember 2011

"Der Tod von Amy Winehouse war wirklich schrecklich"

Interview geführt von

Mit dem Album "Mutual Friends" gelang Sonja Glass und Valeska Steiner 2011 ein nicht gerade kleiner, sehr feiner und von der Kritik gut aufgenommer Überraschungscoup. Dahinter steckt ein schweizerisch-deutsche Freundschaft.Gerade neue und junge Acts bekommen von Plattenfirmen bei Interviews gern mal einen unauffälligen Aufpasser zur Seitegestellt. Den haben die Damen Boy nicht nötig. Auch kein möglichst repräsentatives, teures Hotelzimmer - unser Gespräch findet in einem kleinen Café unweit des Bahnhofs Hamburg-Altona statt. Valeska und Sonja machen von Beginn den erwarteten unkomplizerten, freundlichen und offenen Eindruck.

Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?

Valeska: Wir haben beide 2005 an der Hamburger Musikschule den Konzertstudiengang in Popularmusik gemacht. Der wird kurz Popkurs genannt. Eine Art sechswöchiger Workshop, bei dem es darum geht, Kontakte zu anderen Musikernzu knüpfen, andere Musiker kennenzulernen, die auch im Kurs sind, und in den Proberäumen, die zur Verfügung stehen, einfach mal wild auszuprobieren. Wir haben uns relativ schnell gefunden und zusammen Musik gemacht.

Was denn für Musik?

Sonja: Wir haben zunächst ein paar ältere Songs, die Valeska bereits in der Schweiz geschrieben hatte, gemeinsam gespielt und dabei ganz schnell herausgefunden, dass wir einen ähnlichen Musikgeschmack haben.

Valeska, du bist ist erster Linie fürs Songwriting zuständig?

Valeska: Nein, wir schreiben die Songs gemeinsam, aber fürs erste Album hatten wir eine klare Aufteilung. Sonja machte eher den musikalischen Teil, ich vorwiegend die Texte. Dann haben wir alles zusammengelegt.

Und wie kommt man an den Drummer der französischen Band Phoenix?

Valeska: Wir haben uns fürs Album die Freiheit genommen, uns nicht an eine feste Band zu halten. Song für zu Song haben wir uns gefragt: Wer passt hier, oder mit wem würden wir dafür gern zusammenarbeiten? Für den Song "Oh Boy" dachten wir, wenn wir uns einen Schlagzeuger wünschen könnten, wäre das auf jeden Fall Thomas Hedlund. Eben weil er einen so besonderen Stil hat, und perfekt dazu passen würde.

Ich hatte ihn glücklicherweise bereits in Zürich kennengelernt, als Fotos, mit denen wir auch befreundet sind, als Vorband von Phoenix spielten. Dann sind wir alle mal zusammen weggegangen, und ich hab mich sehr nett mit Thomas unterhalten. Wir waren danach sporadisch immer in Kontakt, und deswegen kamen wir auf die Idee: Mensch, den könnten wir mal fragen! Aber zuerst haben wir ein bisschen gehadert und uns nicht getraut. Haben es schließlich aber doch gewagt, und er hatte Lust! So wurden dann vier Songs mit ihm eingespielt.

Wie kamt ihr überhaupt an euren Plattendeal? Wie muss ich mir das vorstellen? Man ist jung, ehrgeizig, und dann kommt jemand und sagt: Hey, ihr seid die Richtigen?

Sonja: Wir hatten schon früh unseren Manager, und der verfügt natürlich über eine Menge Kontakte. Der hat unsere Songs diversen Plattenfirmen angeboten. Grönland war die erste Plattenfirma, die wirklich Interesse hatte, sie fanden die Songs toll, und konnten sich vorstellen, die Platte zu machen. Alle anderen haben ...

... Pech gehabt?

(Alle lachen) Sonja: Es gab schon ein paar andere, aber die waren irgendwie zu schwierig, zu blasiert. Die wussten nicht genau, wie sie das alles einordnen sollten. Es gab schon einige Antworten auf unsere Angebote. Wir sind letztendlich froh, dass es ein wenig gedauert hat mit der Suche oder dem Finden, denn Grönland ist einfach unser Traumlabel. Da passen wir auch am besten hin.

"Hinter dem Album steht eine lange Entwicklung"

Ihr arbeitet bereits mit vielen verschiedenen Musikern zusammen - gibt es da noch besondere Wünsche für die Zukunft?

Sonja: Ich glaube, wir schauen da immer sehr songorientiert. Wir schauen einfach mal, wie sich das entwickelt fürs nächste Album. Vielleicht eine Gitarre, bei der wir denken: Oh, das könnte doch vielleicht doch der und der machen"

Habt ihr im Vorfeld vermutet, dass "Mutual Friends" so einschlägt?

Valeska: Wir haben nicht damit gerechnet, dass die Platte mal so erfolgreich wird. Anderseits, ich weiß auch nicht: Ist das denn nun schon ein so krasser Erfolg? Andererseits war es für uns überhaupt ein sehr langer Weg bis zur Veröffentlichung, ein sehr intensiver und mühevoller. Irgendwie kam der Erfolg dann doch nicht so schlagartig, weil eine sehr lange Entwicklung dahintersteht.

Viele, die uns jetzt kennenlernen, denken vielleicht, 'Boah, die sind einfach plötzlich da', aber es steckt ein langer Weg dahinter. Und umso mehr freut man sich, wenn dann Anerkennung kommt, Aufmerksamkeit, die gute Presse und so weiter. Wir staunen ein bisschen und freuen uns sehr. Aber nehmen es nicht für selbstverständlich, auch wenn wie gesagt viel Arbeit dahintersteckt. Man muss das alles auch ein bisschen relativieren.

Sonja: Das kann man vorher alles gar nicht so vorhersehen. Es entwickelt einfach ein Eigenleben. Für uns ist es, seit die Platte draußen ist, so wie mit einem Kind, bei dem man die Hand losgelassen hat. Und jetzt läuft es von alleine. Und beobachtet, wo es hinläuft. Das ist total spannend!

Wie seid ihr eigentlich zum Musikmachen gekommen?

Valeska: Ich habe mit 13 begonnen, Gesangsunterricht zu nehmen. In einer Schule, die von sich aus schon sehr früh Konzerte für die Teilnehmer organisierte. Mit Bands, die dann Begleitung gespielt haben. Daraus haben sich eine Menge Kontakte ergeben. Nach der Schule und am Wochenende haben wir uns getroffen und zusammen gespielt. Oder ich habe dabei Background gesungen. Musik war schon immer ein wichtiger Teil in meinem Leben.

Nach dem Abitur habe ich den Popkurs gemacht, bin danach aber erst wieder zurück in die Schweiz. Da habe ich dann konkret überlegt: Willst du was Anständiges lernen, oder willst du bei der Musik bleiben? Dann bin ich nach Hamburg gezogen, und habe nach einem kurzen Uni-Ausflug in Sachen Musikstudium gemerkt, dass sich das irgendwie nicht vereinbaren lässt.

Welche Fächer hattest du belegt?

Kultur und Medien-Management. Aber es war einfach die falsche Sache. Und ich merkte schnell: Es war zu zeitaufwändig, um wirklich Musik machen zu können. Seitdem bin ich mit Boy beschäftigt!

Sonja: Ich hab' eigentlich mit Cello angefangen. Wollte es auch studieren, aber mit 18 dachte ich: Nee, Cello ist nichts für mich, und Klassik auch nicht. Denn davon konnte man nicht leben, ich wollte immer Musik machen, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdienen kann. In Holland habe ich dann E-Bass studiert, drei Jahre, bin wieder zurückgekommen nach Hamburg und belegte den Popkurs. Nebenbei habe ich bereits als Bassistin gearbeitet, immer mehr Engagements bekommen, und konnte davon sogar leben. Dann erst habe ich Valeska kennengelernt. Ich stand also schon voll im Berufsleben als Bassistin!

Eine weibliche Bassistin, noch immer eine Besonderheit ...

Stimmt. Es war auch nicht immer leicht. Es gab genügend Phasen, in denen ich wenige Engagements hatte und wenig spielen konnte, das war hart. Dann läuft es mal wieder besser, und man denkt: Geht doch! Aber es war eine sehr unstete Zeit.

Valeska: Ich glaube, dass sowas aber auch sehr hilfreich sein kann, man bekommt da eine Menge mit.

Sonja: Ja, man lernt was fürs Leben. Man steht auf anderen Füßen, auf Füßen, die einem selbst gewachsen sind, die einem nicht drangeschraubt wurden.

"Lettland war ein Kulturschock"

Gibt es in Sachen Künstler oder Musiker allgemein jemand, der bei euch - vielleicht gerade in diesem Jahr - einen besonderen Eindruck hinterlassen hat?

Valeska: Der Tod von Amy Winehouse. Ich weiß noch, ich war im Kino, da bekam ich eine SMS von einer Freundin ...

Du liest eine SMS im Kino? Also ...

Sonja: Das hab' ich auch noch nie gemacht! (lachen)

Valeska: Ja, aber es war ein wirklich langweiliger Film, das Handy war lautlos, und deshalb habe nur mal so nachgeschaut. Da stand dann die Mitteilung, dass Amy tot ist - ich war wirklich tief erschüttert.

Sonja: Es ist schrecklich. Ich finde, irgendjemand hätte früher eingreifen müssen, ihr richtig helfen müssen.

Valeska: Man hätte sie auch nie so auf die Bühne lassen dürfen, wie zuletzt. Es war so tragisch. Auf YouTube habe ich dieses Video gesehen, da konnte sie noch nicht mal richtig stehen, das war schlimm.

Eine Frage, die ihr wahrscheinlich ohnehin oft gestellt bekommt: Zwei junge Damen nennen sich Boy. Warum?

Sonja: Stimmt, die Frage kommt immer! Es ist nur schade, dass es keine wahnsinnig gute Geschichte dazu gibt. Wir haben schon versucht, uns eine auszudenken. Einen Namen zu finden, ist wohl für jede Band ein Drama. Wir haben auch lange gesucht und haben versucht, etwas zu finden, was uns beschreibt. Doch da war nichts Gescheites, und wir haben dann konsequenterweise einfach das Gegenteil davonn genommen: Boy. Es ist einfach wie ein Logo. Wir dachten, das bleibt hängen. Die Leute denken vielleicht: "Häh? Zwei Mädchen, und die heißen Boy?" Das funktioniert!

Derzeit stürzt eine Menge über euch herein, die Tour wurde verlängert, jede Menge Termine und Stress, dennoch macht ihr einen sehr glücklichen und gelösten Eindruck ...

Sonja: Ja! Das sind wir auch! Wir wollen uns überhaupt nicht beklagen.

Valeska: Manchmal haben wir zu wenig Schlaf ...

Ansonsten brav? Ohne Zigaretten, ohne Alkohol?

Sonja: Genau! Gut, wir trinken schon mal ein Gläschen Wein, rauchen aber beide nicht.

Eine Schweizerin und eine Deutsche - passt das gut zusammen? Oder gibts unterschiedliche Befindlichkeiten?

Sonja: Mag sein, dass da gewisse Sachen mit reinspielen. Ich finde es schön, dass es ein bisschen international ist. Aber ich weiß nicht, ob das die Musik färbt.

Valeska: Ich könnte in Sachen Pop auch nichts typisch Schweizerisches oder typisch Deutsches benennen. Es ist alles sehr vermischt.

In einem Artikel über euch las ich, dass gerade für dich als Schweizerin hier doch viel gewöhnungsbedürftig war ...

(Lacht) Ja, aber es war kein Kulturschock! Eher so, dass es mir vorher gar nicht so bewusst war, dass es zwei verschiedene Kulturen sind. Es sind so kleine Sachen. Ich glaube, die Schweizer sind schon irgendwie höflicher, haben mehr die Samthandhandschuhe an, was natürlich angenehm ist. Aber es dauert deswegen manchmal auch länger, um tatsächlich auf den Punkt zu kommen. Der Tonfall hier ist direkter und schneller, gerade in Gesprächen. Freundlichkeit ist auf beiden Seiten da, gerade in Hamburg wird man sehr zuvorkommend behandelt.

Sonja: Ich glaube, dass die Deutschen die Schweizer lieben. Ich freue mich immer, wenn ein Schweizer kommt, wenn ein Schweizer den Weg nicht findet ....

Valeska: ... ein Schweizer fragt mich nach dem Weg! (lachen)

Sonja: Ich war mal in Lettland. Nicht in Riga, sondern in Liepaja, das ist die zweit- oder drittgrößte Stadt dort. Meine Mutter hatte dort unterrichtet, sie war an einer erweiterten deutschsprachigen Schule. Mich hat einfach schockiert, wie arm diese Stadt ist. Wenn die Leute dort ihre Heizung nicht bezahlen konnten, wurde einfach das Warmwasser abgestellt, wenn sie den Strom nicht bezahlen konnten, wurde er ebenfalls sofort abgedreht. Da waren ganze Straßenzüge ohne Licht. Als ich da war, war es Winter und sehr kalt. Ich weiß nicht, wie es derzeit ist, aber damals war es sehr schlimm. Das war ein echter Kulturschock.

Valeska, Sonja: Herzlichen Dank fürs Gespräch, und alles Gute für die Zukunft!

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