laut.de-Kritik

Kunstlederjackenrock für angehende Buchhalter.

Review von

Und es ist wieder Pitch-Day im Hause Universal zu Berlin, wo die Hits von morgen schon heute erdacht werden. Selbstredend gibt es da eine Horde Kreativer, denen der Bratan einfach nicht genug ist. Beziehungsweise gibt es eine Käuferschicht, welche sich mit der Koksticker-Dada-Lyrik der Zugpferde nicht identifizieren kann, dafür aber über die Fernsehwerbung der großen Privatanstalten noch zu erreichen ist. "Wisst ihr was geil ist? Die Onkelz. Die sind geil. Die Leute mögen sowas. Wisst ihr, was die Leute noch mögen? Motorräder. Die sind mindestens genauso geil." Oder so. Die zufürderste Frage, welche dieses Release aufwirft, ist die, was es geritten hat, so zu sein, wie es ist. Denn immer wieder vermutet man dahinter eine Band, die sie selbst wäre, hätte nicht der Mensch vom Label im Studio beständig mit dem großen Geld gewedelt.

Wobei man über die Onkelz sagen kann, was man will, an Wiedererkennungswert mangelt es ihnen nicht. Wo Karambolage-Kevin und seine Instrumentalisten die eigene geistige Ödnis lustvoll als Selbstbehauptung zelebrieren, weiß man bei Brenner schlicht nicht, ob sie in ihrer Freizeit nicht eigentlich Freejazz spielen, oder professionell Go, oder vielleicht auch im Fernsehgarten auftreten, oder alles zusammen. Nicht, weil die Darbietung auf "Brenner" so vielfältig wäre, sondern weil sie sich völlig dem unterordnet, was offensichtlich Maßgabe war: Lederjacke, Motorrad, E-Gitarre. Ihr wisst, schon, dieser Rock, von dem immer alle behaupten, dass er sich in bestimmten Bevölkerungsschichten noch gut verkauft. Nichts klingt eigen, alles wirkt unmittelbar irgendwoher geklaut, und das in einer technisch tadellosen Dienstleistermanier, dass es etwas von Selbstaufgabe hat, wie die Musiker hier stumpf den Stiefel runterspielen, für den sie bezahlt werden. Die zwölf Songs dieses Albums klingen wie ein zweites Semester Buchhaltungswesen, Spezialgebiet Musikindustrie, Interessenschwerpunkt Dienstag-Nachmittag-Rock.

Beispiel? "Wochenende, zehn Uhr Abends in Deutschland": Brenner drehen auf. Amtliche Partykracher, um die sechste Runde Captain Morgan Cola einzuläuten, das können sie, auch wenn es an der Eigenleistung hie und da etwas hapert. "Die Jungs" ist "The Boys Are Back In Town" ist "We Dem Boyz" ist einer von etwa zwölfeinhalb Millionen Songs über uns, Jungs. Weil wir Männer auf Motorrädern sind, und nicht etwa Müllmänner oder Blödmänner, nein, einfach nur Männer. Auf Motorrädern. Ihr wisst. Dazu dieser Stampfbeat und die Bon Scott-Manier des Sängers, welche mehr "Ich bin eigentlich etwas anderes" schreit, anstatt den Text. Zumindest schreien will.

Ein Song wie "Dann lachen die uns aus" könnte ein astreiner Tote Hosen-Arenaklopper sein, wäre er nicht mit der Brechstange zu diesem Zwecke zurecht geprügelt. Die "Oooohooohoooo"-Chöre, der Text, die von der Produktion glattgezähmten Gitarren, das würde alles als anspruchsloser Rocksong funktionieren, wäre es nicht so völlig offensichtlich als Kopie gedacht.

Oder man höre die kurze Surfrockgitarren-Figur, die "Richtung Alaska" auflockern soll, dabei aber so offensichtlich geklaut ist, dass man noch nicht einmal mehr genau weiß woher eigentlich. Es drängt sich der Anschein auf, dass kreative Eigenleistung den Musikern hier schlichtweg verboten worden ist.

Wobei man natürlich auch nicht ausschließen kann, dass Brenner schlicht richtig viel Bock hatten, reichlich von diesem geilen Geld ihr Eigen nennen zu können. Zumindest gehört ein gewisses Maß an devoter Ader dazu, sich auf Albenlänge derart einer kommerziellen Vision unterzuordnen, die da heißt: Gitarre und so, was richtig rockiges, wie Motorräder und so, und wenn es mal nachdenklich werden soll, geht es textlich immer, immer, immer ans Lagerfeuer.

Die großen Zweieinhalb aller kühl durchkalkulierten Musikprodukte werden hier mustergültig bedient: Was Fetziges, was Nachdenkliches, das fetzt, und was Nachdenkliches, das so richtig lagerfeuermäßig tiefsinnig kommt. Oft klingen die Instrumentals in all ihrer Plagiatswut dabei aber so knackig produziert, dass man nur bedauern kann, wie hierzulande Acts in den Charts aufs Billigste verheizt werden, beziehungsweise was für einen feuchten Schiss die Majors auf die Qualität der deutschen Charts geben.

In Spanien zum Beispiel baut Sony mit Rosalía einen Act auf, zu dem die Oma ihren traditionellen Flamenco tanzen kann, während das Großstadtpublikum die frische Mischung aus Volkstümlichem und modernen Beats feiert. In Deutschland bekommen wir so etwas wie Brenner vorgesetzt: Aufgesetzter Rock, aufgesetzte Lederjacken, auf Motorräder aufgesetzte Musiker, aufgesetztes Gefühl.

Trackliste

  1. 1. Alles Was Ich Will
  2. 2. Die Jungs
  3. 3. Richtung Alaska
  4. 4. Wo Du Herkommst
  5. 5. Das Leben passiert
  6. 6. Der Letzte Song
  7. 7. Halt Dich Fest
  8. 8. Hauptgewinn
  9. 9. Dann Lachen Die Uns Aus
  10. 10. Wo Auch Immer Du Grad Bist
  11. 11. Noch Lang Nicht Alles
  12. 12. Nichts Ist Mehr Wie Früher

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Was haben Bahnhöfe mit Rockmusik zu tun? Im Fall von Brenner eine ganze Menge. Bassist Volcer Schlag erwarb einen solchen und machte daraus eine Kneipe …

16 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Die Jungs sind in der Stadt! BRENNER sind die Band der Stunde. Eine Band aus Freunden, aus fünf Musikern, die zwei große Leidenschaften miteinander verbindet: die Liebe zur Musik und ihren Bikes. Die Sehnsucht nach Abenteuer und Freiheit ist das zentrale Thema.
    Die Anfänge von BRENNER sind in einem ausrangierten Bahnhof zu finden. Den hat Bassist Volker Schlag erworben und daraus einen angesagten Live-Club gemacht. Gitarrist Marc Beierstedt ist sein langjähriger Kollege. Und hier trafen die Beiden die anderen drei durch Gigs oder einen, der einen kennt — Szene eben: die zwei Sänger und Gitarristen Markus Siebert und Martin Goldenbaum sowie Schlagzeuger Mario Enrico Oliva.
    Dass sich ausgerechnet diese Fünf fanden, ist kein Zufall. Denn die charismatischen Musiker sind Brüder im Geiste. Ihr gemeinsames Faible ist schweißtreibender, unverfälschter Rock. Energetisch, ungekünstelt, mit Ecken und Kanten. Bei BRENNER sind all diese oft missbrauchten Begriffe nicht zu Attitüden verkümmert. Die Band lebt von ihrem Zusammenspiel auf Augenhöhe, von ihrer unkonventionellen Herangehensweise sowie von der Schnittmenge aus schmissigen Hooks und emotionalem Tiefgang.
    Die Wucht des deutschsprachigen Rocks trifft dabei auf die staubige Roughness des amerikanischen Southern Rocks. Das ergibt ein Gefühl, welches in unseren Breiten nach wie vor sehr selten ist und ihren Sound wirklich eigenständig macht: Druck trifft auf Dynamik, ehrliche Emotion auf unaufgeregte Coolness. Das klingt widersprüchlich? Im Gegenteil: Das klingt unwiderstehlich!

  • Vor 5 Jahren

    Ui ist das schlimm. Die Toten Hosen-Resterampe, das findet garantiert sehr viele Abnehmer.

  • Vor 5 Jahren

    Wenn Mike The Bike und Sancho ne Band gründen würden, käme exakt so ne Scheiße bei rum.