12. Dezember 2024

"Wie, ich muss diese Songs jetzt live performen?"

Interview geführt von

Sarah Walk hat sich die Brüste amputieren lassen. Top surgery heißt das, eigentlich ein Prozess, der oft von Transmännern im Rahmen ihrer geschlechtsangleichenden OPs geschieht.

Breymer, wie Walk sich künstlerisch nennt, hat das getan, ohne sich grundsätzlich von ihrem weiblichen Geschlecht zu distanzieren. Sie fühle sich als Butch ohne die Brüste grundsätzlich besser. Es tut mir ein bisschen leid, zur Vorstellung einer Person so mit der Tür ins Haus fallen zu müssen. Aber ihr müsst all das wissen, denn ihr neues Album "When I Get Through" erzählt genau diesen Prozess nach. Man sollte ja meinen, es wäre jetzt verpönt, auf all das mit einem "Hä, versteh ich nicht" zu reagieren - aber tatsächlich hat sie mit dem Album ein Dokument geschaffen, das diese Fragen in Teilen durchaus beantwortet.

Im Gespräch via Zoom erzählt sie davon, wie das Machen dieses komplexen Albums mit untypisch klarer Storyline sie kreativ in ihren Bann geschlagen hat. Es geht darum, was es mit dir macht, so persönliche Dinge so öffentlich auszutragen, dass man sie eventuell sogar vor fremdes Publikum bringt.

Ich musste gerade echt lachen: Ich hab auf dein Insta geguckt, und gesehen, dass du letzte Woche in Berlin gespielt hast. Kurz habe ich mich gefragt, warum wir uns dann nicht in echt treffen, bis mir klar geworden ist, dass du nicht in Berlin, sondern in einem Laden namens "Berlin" gespielt hast - in Minneapolis.

Oh ja, ich wurde auch schon darauf angesprochen. Es ist so lustig. Ich glaube, die haben den Laden so genannt, weil sie so tun wollen, als wäre es so etwas wie ein classy Berliner Jazzclub. Aber jetzt hab ich den Stress, weil egal, wie groß ich Minneapolis daneben geschrieben habe, die deutschen Hörer von mir waren jedes Mal verwirrt.

Es ist doppelt lustig, weil der Laden im Tour-Plakat direkt obendrüber "Wohnzimmer" heißt. In Los Angeles.

Ich musste auch lachen. Scheint wirklich so, als gäbe es gerade den Trend, dass amerikanische Venues ein germanisches Gefühl vermitteln möchten.

Das verwirrt mich ein bisschen. Was macht uns denn so hip für euch?

Ich denke für Musikerinnen und Musiker in den Staaten gibt es schon diese Faszination mit deutschem Publikum, das eine besondere Wertschätzung oder ein besonderes Interesse an Kunst hat. Mir kommt es vor, als würde da Wert auf Artists gelegt werden, wie es in den USA nicht passiert.

Leute gehen einfach mal in eine kleine Bar und riskieren es, sich jemand Kleines anzugucken, von dem sie gar nichts wissen. Hier ist es dagegen schwer, Leute für unbekannte Musik aus dem Haus zu kriegen. Aber ja, ich fand es auch echt lustig, die haben mir auch erklärt: Wohnzimmer, das ist deutsch für "living room" – wir wollen hier so einen deutschen Vibe. Und ich dachte mir nur – nicht schon wieder! (lacht)

Wie liefen die neuen Songs denn live?

Ach, ich würde sagen, gut, obwohl sie sehr intim sind. Ich frage mich immer wieder, wie viel und wie sehr ich vor den Songs Kontext dafür geben möchte. Ich halte es für wichtig, ein bisschen einzuordnen, und es könnte Leuten helfen, den Ansatz besser zu verstehen, damit es sie härter trifft. Aber irgendwie mache ich es auch mehr für mich als für sie. Ich will mich richtig verstanden wissen, deswegen denke ich, sollte ich nochmal genau herausstellen, aus welcher Richtung ich da gerade komme.

Naja, am Ende hoffe ich einfach, dass die Musik auch ohne Kontext funktioniert. Dass die Sachen, über die ich singe, auch ohne meine partikuläre Erfahrung zu kennen, universelle Ideen und Gefühle erwischen. Manche Songs sind totale Zooms, manche nicht so sehr. Ich hoffe einfach nur, man kann da etwas für sich rausziehen, und eigentlich sollte ich die Leute dafür nicht an der Hand für halten müssen. Aber man versteht sicher, ich will eben, dass meine Geschichte gehört wird – und dass es deswegen auch Leuten in der selben oder in einer ähnlichen Situation zeigt, dass genau dieses Thema relevant ist.

Ein Beispiel, wo ich diesen Kontext zum Beispiel schon interessant finde, ist "Part Of Me". Ich habe den Song an dem Tag geschrieben, als ich endlich das Datum für die OP in meinen Kalender schreiben konnte. Davor war ich konstant beschäftigt mit praktischen Fragen: Wie viel zahlt die Versicherung, wie bezahle ich den Rest, welcher Arzt oder welche Ärztin wäre gut?

Aber als das alles aus dem Weg war und ich ein Datum hatte, da ging erst die wirkliche Nervosität los. Die Logistik hat mich nicht mehr abgelenkt. Jetzt war es nur noch ich und diese Sache, die passieren wird. In diesem Mindset habe ich "Part Of Me" geschrieben, und ich wollte, dass der Song mit Männlichkeit und Weiblichkeit spielt.

"Es war, als würde ich Puzzle spielen"

Es ist ja schon so: Würde Kontext gar nicht interessieren, dann wäre es auch nutzlos, dass wir uns hier gerade unterhalten. Aber ich finde das einen spannenden Punkt: Dein Album produziert ja unter anderem deswegen so viel biographischen Kontext, weil es sehr konzeptuell etwas aus deinem Leben erzählt. Es ist eins der dichteren Konzeptalben, die ich in einer Weile gehört. Aber moderner Indie funktioniert ja ganz viel über Playlisting: Würde es dich stressen, wenn ein Song vom Tape via Playlist ein isoliertes Eigenleben annehmen würde?

Ja, war ich, aber erst, nachdem das ganze Album fertiggeworden ist. Das klingt jetzt vielleicht naiv, aber als ich das Album geschrieben habe, habe ich über nichts davon nachgedacht. Ich hatte ehrlich nicht einmal erwartet, dass die Songs wirklich rauskommen würden. Das war alles sehr verwundbar, anders als die bisherigen Alben, viel persönlicher.

Erst nachdem feststand, dass das das Album ist, das ich gemacht habe, musste ich damit klarkommen, das ich diese Songs jetzt auch performen muss. Leute hat das gewundert, dass ich wirklich dachte: Wie, ich muss diese Songs jetzt live spielen? Aber ich war so tief in diesem kreativen Prozess absorbiert, es war, als würde ich Puzzle spielen.

Und das war toll: Ich hatte selten so sehr das aktive Gefühl zu wissen, wo ein Projekt anfangen und enden wird, wann ich genug gemacht habe. Wenn die Idee fertig war. Aber mit dem Wissen um Spannungsbogen und Geschichte, wurde mir ganz klar: Ich habe eine Liste an Gefühlen, die für diesen Prozess kritisch waren – und ab da ging alles wie von selbst.

Aber zur Frage: Diese ganze Welt der kleinen Playlist-Häppchen irritiert mich generell ein bisschen. Jedes Album hat doch eine gewisse Geschichte, die man eigentlich nicht zerlegen will. Aber ich versuche einfach, mich nicht davon verunsichern zu lassen. Das ist Zeug, über das ich keine Kontrolle habe – und ich denke, die Songs stehen schon für sich selbst. Es sind Momente, es sind Vignetten. Am Ende des Tages ist es eh immer ein Stress.

Aber ich finde diese Album-Anordnung sehr faszinierend: Wann wusstest du, dass das der Endpunkt sein würde? Dass die Geschichte mit dem Moment enden muss, an dem du in die Narkose gehst?

Seit ich wusste, dass das die Geschichte ist, die ich erzählen wollte, wusste ich, dass es auf diesen Punkt zusteuern muss. Ich habe mir überlegt, diesen ganzen Prozess in ein Konzeptalbum zu fassen – und am selben Tag habe ich "Anesthesia" geschrieben. Manchmal ist es so, dass das bloße Wissen, dass eine Show ansteht, mich total kreativ macht. Ich mag die Idee, dass ich dann alles spielen können werde, das ich geschrieben habe.

Und genauso hat die Idee, das alles so zu sortieren, mich gepackt. Ich hatte einen Stapel Tracks, und irgendwann wurde mir klar, dass sie ausnahmslos alle sich darum drehen. Das waren sieben oder acht Stück. Also musste ich nur noch durchziehen – und dann hatte ich zwei drei Wochen intensive Inspiration und habe das ganze Writing fertiggemacht.

Ich wollte meine Hörer an die Hand nehmen und mich fragen, wie möglichst nah ich sie an diesen Endpunkt bringen könnte. Am selben Tag kam das Piano zustande, es sollte hypnotisch und repetitiv klingen, damit es auf diesen musikalischen Release zusteuern kann. Und irgendwo ist es doch auch cool, in einer Welt, in der alles verfügbar ist, jeder Sound, jedes Instrument, etwas zu haben, das dich dazu zwingt, diese Möglichkeiten einzuengen.

"Ich wollte, dass dieses Album die Unsicherheit transportiert"

Aber ich check das – und ich glaube, meine Lieblingsmomente kommen aus dieser Engführung. Zum Beispiel diese Spannung zwischen "The Night Before" und "Anesthesia" – im Track davor geht es um dieses seltsame, spannungsgeladene Essen, das Zeug bleibt stehen, der große, vierzig Minuten aufgebaute Moment passiert – und wir wissen nicht, wie es weitergeht, aber wir wissen, dass das kalte Essen vom Vortag noch im Kühlschrank steht. Irgendwie macht es das alles sehr lebendig.

Oh, es freut mich total, dass du dieses Detail mitgekriegt hast! Das war tatsächlich neu für mich – ich habe bisher selten mit so einem Zoom geschrieben. Als ich das geschrieben habe, habe ich einen Artist namens Andy Shauf gehört, der gerade erst ein Album gemacht hat, auf dem er all diese extrem detaillierten Songs gemacht hat. Die Momente, die Zeit, das ist alles so präzise und detailverliebt.

Und es hat mich total gekriegt, wie er diese Vignetten des Lebens herstellt. Diese zwei Songs, die du nennst, sind definitiv so "Moment in time"-Song. Aber mir gefiel die Idee, diese momentären Songs mit Tracks wie "Wrong Path" zu kontrastieren, auf denen der Zoom rausgeht, große Fragen gestellt werden, viel "vielleicht" und viel Unsicherheit drinsteckt.

Ich wollte, dass dieses Album die Unsicherheit transportiert, diese Graubereiche und die Fragen, die der Prozess mir gestellt hat. "The Night Before" ist da übrigens ein bisschen das Gegenstück zu "The Truth". Beides sind Songs, in denen ich jemandem am Tisch gegenübersitze, aber der Kontext verändert sich sehr. In "The Truth" tue ich so, als wäre ich okay, aber bin es nicht.

Am Ende sitze ich meiner Mutter gegenüber, aber bin dieses Mal in der Lage, sicher genug zu sein, um jemand anderem Sicherheit zu geben. Für mich sind zwei Punkte, die die Entwicklung über das Album gut zusammenfassen. Und das geht zum Beispiel in einer Playlist nicht. Ich hoffe wirklich, dass Leute sich die Zeit nehmen und sich darauf einlassen.

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1 Kommentar

  • Vor 10 Tagen

    Ragism MUSS das lesen lal:

    Es ist doppelt lustig, weil der Laden im Tour-Plakat direkt obendrüber "Wohnzimmer" heißt. In Los Angeles.

    Ich musste auch lachen. Scheint wirklich so, als gäbe es gerade den Trend, dass amerikanische Venues ein germanisches Gefühl vermitteln möchten.

    Das verwirrt mich ein bisschen. Was macht uns denn so hip für euch?

    Ich denke für Musikerinnen und Musiker in den Staaten gibt es schon diese Faszination mit deutschem Publikum, das eine besondere Wertschätzung oder ein besonderes Interesse an Kunst hat. Mir kommt es vor, als würde da Wert auf Artists gelegt werden, wie es in den USA nicht passiert.

    Leute gehen einfach mal in eine kleine Bar und riskieren es, sich jemand Kleines anzugucken, von dem sie gar nichts wissen. Hier ist es dagegen schwer, Leute für unbekannte Musik aus dem Haus zu kriegen. Aber ja, ich fand es auch echt lustig, die haben mir auch erklärt: Wohnzimmer, das ist deutsch für "living room" – wir wollen hier so einen deutschen Vibe. Und ich dachte mir nur – nicht schon wieder! (lacht)