laut.de-Kritik
Von wegen Lounge-Kasper: Musik wie Schwarzlicht in Absinth.
Review von Ulf KubankeVom 62-jährigen Ambient-Schöpfer Brian Eno erwartet man ja nicht mehr allzu viel, höchstens ein stylisch-routiniertes bis langweiliges Alterswerk. Doch weit gefehlt: "Small Craft On A Milk Sea" ist kein oberflächlich waberndes Selbstzitat für Lounge-Kasper. Der Engländer irrlichtert fast beiläufig durch die Jahrzehnte seiner bewegten Karriere und kommt schlussendlich in der Zukunft an.
Obwohl Eno seine Stücke selbst eher als Soundscapes denn als Songs wahrnimmt, kreiert er hier einen symphonischen Zirkel, dessen dramaturgische Spannungsbögen ebenso durchdacht wie erfühlt klingen. Mit "Emerald And Lime" geht die Reise scheinbar harmlos entspannend los. Ein schönes Liedchen, das die Errungenschaften Harmonias in die Gegenwart transportiert.
"Complex Heaven" klingt so psychedelisch soft wie die verschlabbert weichen Uhren in Dalis "Persistence Of Memory" aussehen. Doch schon im folgenden Titelstück regt sich erste Unruhe im warmen Nest. Nach und nach schwinden die wohligen Landschaften zu Gunsten fieser Rhythmusorgien, denen jeder Schönklang fremd ist.
Die überraschend einsetzende Dekonstruktion funktioniert prächtig. Auf den folgenden Tracks kreuzt eine Bauhaus-Gitarre der Marke "Bela Lugosi's Dead" die Klingen mit eruptiven Äxten vom Stamme Casper Brötzmann Massaker. Fiebrig, giftig und dabei trotz allem auf archaische Weise tanzbar. Das Duell zwischen der Sechssaitigen und Enos Beats schaukelt sich Stück für Stück hoch bis zu den neurotisch ausgefransten Rändern geistiger Gesundheit. Wie eine Übersetzung von Throbbing Gristle/Psychic TV in Eno'sche Klangkosmen. Großartig!
Bevor die Ekstase zur Reizüberflutung erwächst, fängt der Mann aus Suffolk den Hörer mit "Bone Jump" geschickt durch einen erneuten Ausflug in melodische Gefilde ab. Der Song klingt wie ein verschollenes Stückchen der freundlichen Seite von "Low", das Eno seinerzeit mit Bowie in Berlin fabrizierte. Doch es bleibt bei der kurzen Verschnaufpause. Die folgenden beiden Stücke toben erneut seltsam schillernd.
Mit "Calcium Needles” betritt er zum Ende sehr souverän die dunkle Seite von "Low". Eine sepiafarbene Nachtlandschaft voll depressiver Glut. Musik wie Schwarzlicht in Absinth. "Emerald and Stone" schließt den Kreis danach versöhnlich als kleine Nocturne mit Chopin-Schlenker, deren berückende Schönheit sich indes mühelos den Weg ins Herz des Hörers bahnt.
Hätte Eno hier aufgehört, wären dies klare fünf Punkte plus berechtigtem Kniefall meinerseits geworden. Die beiden Füllstücke am Ende ruinieren das klangmalerische Bild zwar nicht. Sie stehen gleichwohl dramaturgisch überflüssig in einem Rahmen, dem sie nichts mehr hinzufügen können. Da wäre weniger eindeutig mehr gewesen. Dennoch ist dies sicherlich die mit Abstand beste und überzeugendste Elektronik-Platte des Magiers seit "Music For Airports". Spielt es nicht unbedingt laut, aber spielt es im Dunkeln.
4 Kommentare
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Erwartungsgemäß, große Musik vom großen Meister. Was mir aber irgendwie fehlt, ist der Albumcharakter - der inhaltliche Zusammenhang der Stücke miteinander. In meinen Ohren haben das die anderen Urgesteine The Orb und David Gilmour bei ihrer Jamsession neulich wesentlich besser hingekriegt.
Cover erinnert an No Line on the Horizon....
Also von mir aus hätten die Tracks 4-9 (außer Bone Jump vlt.) rausgekonnt, astatt der 2 am Ende wie der Rezensent meint ^^.
Die japanische Edition hat noch nen zusätzlichen Track "Invisible", auch ganz nett.