10. Februar 2017

"Der Mainstream-Pop hält schön die Schnauze"

Interview geführt von

Drei Jahre nach ihrem Düster-Meisterwerk "Noir" graben die Broilers mit "(Sic!)" noch tiefer. Diesmal stürzen sich die Rheinländer auf eine Gesellschaft, die sich immer weiter in Richtung Abgrund bewegt.

In den drei Jahren seit unserem letzten Broilers-Interview festigte die Band hierzulande ihren Status als dritte treibende Punkrock-Kraft neben den Ärzten und den Toten Hosen. Die Texte auf "(Sic!)" sollen die Fans in Zeiten von rechtspopulistischen Tendenzen und fehlender Offenheit vor allem zum Nachdenken anregen. In Berlin treffen wir vor der Albumveröffentlichung Sänger Sammy Amara und sprechen mit ihm über leere Akkus, soziale Verkümmerung und dumme Säue.

Sammy, vor drei Jahren hattet ihr eine heftige Zeit hinter euch. "Noir" auf Platz eins, eine Tour durch die größten Hallen der Republik. Jetzt sitzen wir wieder hier und wie es aussieht ...

Sammy Amara: (unterbricht mich) ... hat sich nichts verändert. Wolltest du das sagen? (lacht)

So in die Richtung. Siehst du das anders? Im Grunde würden wir ja über eine tolle Entwicklung sprechen, wenn es so wäre, oder nicht?

Auf jeden Fall. Du hast ja recht, wir sind mit "Noir" durch die großen Hallen getourt.

Und mit eurem neuen Album "(Sic!)" werdet ihr wahrscheinlich wieder ganz oben in den Charts landen.

Möglich. Aber wer weiß das schon vorher? Fakt ist: Uns geht's gut. Wir sind glücklich und zufrieden. Fasst man alles zusammen, waren die letzten fünf, sechs Jahre der Hammer. Aber wir hatten auch vorher schon ne geile Zeit. Ich meine, wir waren ja nie darauf aus, irgendwann einmal von ganz oben zu grüßen. Das hat sich einfach so entwickelt. Sicher, jede Band hat eine interne Wunschliste, auf der man gerne monatlich etwas Neues abhaken würde.

Da sind wir nicht anders. Aber wir haben uns nie verbogen, um unsere Ziele zu erreichen. Bodenständig zu bleiben war uns immer wichtig. Insofern können wir den momentanen Erfolg auch sehr gut einordnen. Wir genießen den Moment. Wir würden aber auch nicht sofort in ein dunkles Loch fallen, wenn es mal nicht so laufen sollte.

War diese Bodenständigkeit, von der du sprichst, auch ausschlaggebend für die Entscheidung, nach der letzten Tour mal eine längere Pause einzulegen?

Ich denke schon. Der Akku war einfach leer. Und letztlich hat man in so einer Situation nur zwei Optionen. Entweder man scheißt drauf und versucht ohne Rücksicht auf Verluste nachzulegen. Oder man fährt runter, schaltet in den Verarbeitungsmodus und gönnt sich eine Auszeit. Wir haben uns bewusst für Letzteres entschieden. Allerdings haben wir nicht lange durchgehalten.

Warum?

Scheinbar können wir nicht mehr ohne einander. Ich habe einfach gemerkt, dass ich trotz der vereinbarten Pause jeden Morgen am Schreibtisch saß. Irgendwann hatte ich dann die Nase voll und habe in unserem internen Band-Chat nachgefragt, ob wir wieder loslegen. Da reichte ein kurzes "Oi!?" und alle waren wieder Feuer und Flamme.

Getreu dem Motto "So und nicht anders!"

Genau.

"Das Miteinander hat sich in die virtuelle Welt verabschiedet"

Ist der Albumtitel "(Sic!)" als Ohrfeige an all jene Leute zu verstehen, die euch aufgrund der stilistischen Entwicklung immer wieder gerne an den Karren pissen?

So in etwa. Im Grunde wollen wir den Menschen mitteilen, dass wir mit uns im Hier und Jetzt im Reinen sind. Jede Entscheidung, die wir bisher als Band getroffen haben, hat sich zum jeweiligen Zeitpunkt richtig und gut angefühlt. Vielleicht hätten wir es uns in vielerlei Hinsicht einfacher machen können. Aber dafür hätten wir uns verbiegen müssen. Und das wollten wir nicht.

"Noir" war auffallend düster, "(Sic!)" beeindruckt mit einer noch intensiveren Atmosphäre. Diesmal geht es allerdings mehr um gesellschaftliche Themen. Was bereitet dir dieser Tage die meisten Sorgen?

Da weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll. Grundsätzlich würde ich sagen, dass wir gerade in einer Zeit leben, in der es den Menschen unheimlich schwer fällt, empathisch zu sein. Das ist ein ganz großes Problem. Ich meine, wer geht morgens noch mit einem Lächeln zur Arbeit? Wer hält einem fremden Menschen die Tür auf? Wer verteilt einfach mal so ein Kompliment? Es sind die kleinen Dinge, die für eine bessere Grundstimmung sorgen. Das haben die Menschen aber irgendwie nicht mehr auf dem Schirm. Das Miteinander hat sich in die virtuelle Welt verabschiedet. In den sozialen Medien sammeln die Leute Likes, Herzchen und imaginäre Freunde. Aber draußen in der richtigen Welt sind sie nicht mal mehr in der Lage, einem Fremden die Hand zu schütteln.

Das Internet als Hort der sozialen Verkümmerung?

So sieht's aus. Dieses anonyme Versteckspiel ist für die grassierende antisoziale Entwicklung teilweise verantwortlich. Und am Ende bleiben nur Hass und Angst übrig. Das ist die Spirale, in der wir uns gerade befinden. Von allen Seiten wird man über vermeintliche Bedrohungen informiert. Das Ergebnis: Plötzlich ist jeder anders Aussehende ein potentieller Terrorist.

Oder ein vermeintlicher Ladendieb, so wie du.

Genau. (lacht)

Zur Erklärung: Du bist im letzten Jahr in deiner Heimatstadt Düsseldorf von einer Verkäuferin des Ladendiebstahls beschuldigt worden, nur ...

... aufgrund meines Aussehens. Das ist doch krank.

Ein Einzelfall?

Schön wär's. Ich meine, es ist jetzt nicht so, dass ich jeden Tag komisch angeguckt werde. Aber in diesen Tagen hinterlässt es schon andere Spuren.

"Ich selbst nehme mich nicht als Exoten wahr"

Wie hast du reagiert?

Ich habe nichts gesagt. Ich bin einfach raus aus dem Geschäft und habe mir gedacht: Du dumme Sau! Ich weiß nicht, ob die Dame mich wegen meiner irakischen Wurzeln oder der Tattoos auf dem Kieker hatte. Das ändert aber auch nichts am Grundproblem. Es war einfach offensichtlich, dass sie mich wegen meines Aussehens angemacht hat.

Du bist danach nicht noch einmal rein in den Laden?

Nein. Die hat mich völlig kalt erwischt. Ich selbst nehme mich ja gar nicht so als Exoten wahr. Das tun ja nur andere. Solche Momente sind für mich immer vergleichbar mit einem Textaussetzer auf der Bühne oder dem Stolpern auf der Rolltreppe. Man hat das nicht im Kopf und ist dann umso perplexer, wenn es wirklich mal passiert. Ich hatte auch gar nicht das Bedürfnis noch mal das Gespräch zu suchen. Das war mir in der Situation einfach zu absurd.

Helene Fischer wurde bestimmt noch nie für eine Ladendiebin gehalten.

(lacht) Unwahrscheinlich.

Bist du der Meinung, dass die Musikbranche hierzulande mit all ihren Fischers und Bendzkos genug Alarm macht, wenn es um gesellschaftliche Aufklärung geht?

Du machst Scherze, oder? Da kommt doch gar nichts rüber. Es sind immer die üblichen Verdächtigen, die das Maul aufmachen. Der Mainstream hält schön die Schnauze. Das Problem ist, dass der Fischer-Clan natürlich weiß, dass Helenes Musik viele verschiedene Menschen anspricht. Und wenn man sich dann politisch äußert, riskiert man natürlich, Hörer zu verlieren. Und diesen Preis scheint weder Helene noch ihr Umfeld bezahlen zu wollen.

Ich will ja keinem verbieten, gute Laune zu verbreiten. Wir feiern auch gerne. Aber es brodelt auch in uns. An jeder Straßenecke ist die Kacke am Dampfen. Man muss nur mit offenen Augen durchs Leben gehen. Und dann hat man meiner Meinung nach als Künstler auch die Pflicht, die Dinge auf der Bühne oder in einem Song beim Namen zu nennen.

Typen wie Lemmy oder Wölli haben zu Lebzeiten stets ihre Meinung kundgetan. Ein neuer Song von euch heißt "Ihr Da Oben" und beschäftigt sich mit eben jenen Heroen. 2016 haben sich ja ziemlich viele bekannte Gesichter verabschiedet. Wen vermisst du am meisten?

Zunächst mal: "Ihr Da Oben" beschäftigt sich nicht ausschließlich nur mit prominenten Verlusten. Sicher, in dem Song singe ich von Liedern, Noten und Bildern. Aber in meinen Augen ist jeder Mensch ein Künstler. Es geht also nicht so sehr um die Gesichter, die man vielleicht zuerst vor Augen hat. Mir war wichtiger, mich mit dieser kindlichen Vorstellung zu befassen, dass hoch oben im Himmel alles rosarot ist, und alle eine große Party feiern, während wir hier unten Tränen vergießen.

Der Tod von Wölli ging mir sehr nahe. Letztlich ist aber natürlich jeder Verlust tragisch. Ich bezweifle, dass im letzten Jahr mehr Promis gestorben sind, als in den Jahren zuvor. Das kommt einem nur so vor.

Facebook, Twitter und Co. machen es möglich.

Genau. Nichts auf dieser Welt scheint mehr im Verborgenen zu bleiben. Alles wird eingefangen, verpackt und gestreut. Und das aus Millionen Wohnzimmern und Redaktionen.

Diese geballte Nachrichtenflut kann aber in bestimmten Bereichen auch von Vorteil sein. Mittlerweile dürften beispielsweise alle Broilers-Fans wissen, dass es nicht mehr allzu viele Tickets für eure kommende Tour gibt, eben dank Facebook, etc.

Ja, da ist was dran. (lacht) Aber wir brauchen das nicht, um als Band glücklich zu sein. In großen Hallen zu spielen macht schon Spaß, keine Frage. Und wenn die Dinger auch noch voll sind, ist es noch geiler. Aber wir funktionieren auch im kleinen Rahmen. Demnächst werden wir drei Warm-Up-Gigs in kleineren Clubs spielen. Da freuen wir uns alle schon tierisch drauf. Das sind auch die Broilers. Und daran wird sich auch nichts ändern. Da gebe ich dir mein Wort drauf.

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