13. Februar 2014

"Man kann nicht mehr torkelnd auf die Bühne stolpern"

Interview geführt von

Spätestens seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums "Santa Muerte" im Sommer 2011 spielen die Broilers im Konzert der ganz Großen mit. Anfang Februar 2014 erscheint mit "Noir" der nächste Streich der Düsseldorfer Punkrocker.

Jahrelang blickte man innerhalb der nationalen Punkrock-Szene fast ausschließlich in fragende Gesichter wenn es um das kreative Branchen-Treiben hinter dem monströsen Ärzte-Hosen-Schatten ging. Zwar rumpelt und knarzt es schon seit Ewigkeiten in allen Ecken der Republik, doch so richtig durchstarten konnte bisher keine weitere Band. Mit den Broilers präsentiert sich nun endlich eine Combo, die den Spagat zwischen Mainstream und Underground scheinbar problemlos zu meistern weiß.

Nach Ansicht vieler Fans bilden die Rheinländer den perfekten Puffer zwischen dem Zeigefinger-Schaffen der Hosen und dem Spaß-Fundament der Ärzte. Über das Reich der Mitte nach ganz oben: Wir wollten wissen, wie sich die Tänze auf den großen Hochzeiten so anfühlen und ob das Wandeln auf diversen roten Teppichen bereits nachhaltige Risse im seit zwei Jahrzehnten geschützten Punkrock-Fundament hinterlassen hat. Und so trafen wir uns in Berlin mit den beiden Gründungsmitgliedern Sammy Amara und Andreas Brügge und plauderten über Kindheitsträume, Backgammon-Abende und wetzende Säbel.

Hi ihr zwei, aufregende 18 Monate liegen hinter euch. Was schießt euch als erstes durch den Kopf, wenn ihr an die vergangenen anderthalb Jahre denkt?

Sammy: Also ich erinnere mich immer wieder gerne an den Moment zurück, als wir nach unserem zweiten Abschluss-Gig der "Santa Muerte"-Tour in Düsseldorf von der Bühne gingen und ich endlich keine Schmerzen mehr im rechten Fuß verspürte.

Schmerzen?

Sammy: Ja, ganz seltsam. Ich hatte damals während der letzten Tour-Tage tierische Beschwerden. Ich war auch beim Arzt. Dort bekam ich sogar Einlagen und mir wurde gesagt, dass das in meinem Alter und aufgrund der hohen physischen Belastung völlig normal sei. Da macht man sich schon Gedanken. Ich meine, Hallo? Die Band startet endlich so richtig durch und meinem Körper fällt erst einmal nichts Besseres ein als schlapp zu machen (lacht). Das war schon ein bisschen beängstigend.

Aber wie gesagt: Als wir dann im Backstagebereich ankamen, war alles wie weggeblasen. Und dann gab es auch noch all die zahlreichen Momente, in denen man versucht hat, die ganzen Highlights irgendwie mental zu verarbeiten. Diese Augenblicke waren für mich teilweise intensiver und krasser als das Erlebte selbst.

Andreas: Ich muss ganz oft an die Minuten vor unserem ersten Gig in der Philipshalle denken. Das war schon echt derbe. Wir waren alle total nervös.

Ich las von der Erfüllung eines Kindheitstraums. Stimmt das?

Andreas: Ja, absolut. Als wir damals mit der Band anfingen, hatten wir eigentlich nichts Großes im Sinn. Wir wollten einfach nur Spaß haben. Bis auf die Sache mit der Philipshalle – Das war uns irgendwie wichtig. Dort hatten wir all die großen Bands gesehen. Da wollten wir unbedingt auch mal spielen. Naja, und wenn man dann irgendwann morgens aufwacht und einem klar wird, dass man die nächsten beiden Abende eben auf jener Bühne stehen wird, von der man schon seit zwanzig Jahren träumt, dann ist das schon ziemlich fett.

"Punk definiert sich nicht über den Lärmpegel"

Verständlich. Seitdem sind zwölf Monate vergangen. Ihr steckt jetzt mittendrin im Big Business. Mal Hand aufs Herz: Wie viele jahrelang gepflegte Kanten wurden seitdem schon glattgebügelt?

Sammy: (lacht) Die wirklich fundamentalen Kanten sind immer noch da. Da wurde noch nichts glattgebügelt.

Ok, dann lass uns über die "Oberfläche" sprechen.

Sammy: Da hat sich mit dem Anstieg der Arbeit natürlich jede Menge geändert. Da wäre zum Beispiel der ungewohnte Drang nach Ruhe (lacht). Früher haben wir nahezu jede Stunde des Tages in die Band gesteckt. Da gab es eigentlich nichts anderes. Mittlerweile haben wir Familie und Kinder. Da freut man sich dann tierisch, wenn man am Wochenende nach Hause kommt und einfach mal im Kreise seiner Liebsten eine Runde Backgammon spielen kann.

Was auch noch ganz wichtig ist, ist die Tatsache, dass man sich nach einem Konzert nicht mehr so abschießen kann wie früher. Vor fünf Jahren haben wir noch ziemlich auf die Kacke gehauen. Heute stehen wir in einer ganz anderen Verantwortung. Wir spielen richtig große Shows vor tausenden Leuten, die viel Geld für ihre Tickets gezahlt haben, um eine Band zu sehen, die abliefert. Da kann man nicht mehr torkelnd auf die Bühne stolpern und nach dem dritten Song in den Fotograben plumpsen. Das funktioniert nicht. Da würde ich als Fan auch die Wände hoch gehen. Ansonsten geht aber alles genauso seinen Weg, wie früher. Oder ist dir etwas aufgefallen?

Nun, du grölst nicht mehr. Du hast eine richtige Gesangsstimme entwickelt, wobei das schon weit vor der Veröffentlichung von "Santa Muerte" angefangen hat.

Sammy: Ja, das stimmt.

Andreas: Ich denke, dass das eher etwas mit einer grundsätzlichen Entwicklung bei uns zu tun hat. Wir kommen ja aus einer sehr beengten Szene, in der es einem nicht gerade leicht gemacht wird, wenn man sich dazu entschließt, auch mal über den Tellerrand zu blicken. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie damals gleich viele auf die Barrikaden gingen, als Samy sich vermehrt mit dem Singen auseinandersetzte. Wir wollten uns aber nicht einschränken lassen. Punk definiert sich nicht über den Lärmpegel.

Es spielt auch keine Rolle, ob man eine stinkende Kutte, eine Bomberjacke oder einen schicken Zweiteiler trägt. Es geht eigentlich nur darum, einen eigenen Weg zu finden und sich von anderen nichts vorschreiben zu lassen. Und genau das haben wir getan. Wir haben halt irgendwann gemerkt, dass Offenheit und Mut zur Weiterentwicklung wichtige Bausteine des Ganzen sind, so lange man authentisch bleibt. Bei uns kam nie ein Plattenboss in den Proberaum, der uns anflehte etwas melodischer und offener zu Werke zu gehen. Das ging alles von uns selbst aus. Das ist Punk. Tu was dir gefällt. Folge deinem Herzen und kümmere dich nicht um das Gequatsche anderer Leute.

"Mit deutschem Punkrock hat man schlechte Karten"

Auf dem neuen Album "Noir" geht es wieder etwas härter zur Sache. Ein kalkulierter Schritt um die "Santa Muerte"-Gegner wieder zu besänftigen?

Sammy: Nein, gar nicht. Ich finde "Santa Muerte" auch gar nicht so weich, wie viele immer behaupten.

Andreas: Wir haben die Dinge auch diesmal einfach nur laufen lassen. Das dabei einige härtere Stücke entstanden sind, ist reiner Zufall. Da steckt keinerlei Konzept dahinter. Mit Musik, die sich bewusst anpasst und letztlich nur deswegen entsteht, um eine große Masse an Menschen zu erreichen, fällt man irgendwann zwangsläufig auf die Fresse. Man wird dann nämlich ganz schnell vom Hype eines anderen blutleeren Gesäusels gefressen und in irgendeiner dunklen Ecke wieder ausgeschissen. Dazu kommt - was, wie ich finde, noch viel schlimmer ist – dass man seine komplette Eigenständigkeit einbüßt. Wie gesagt, uns ist es einfach nur wichtig, dass wir das machen, worauf wir, und nur wir, richtig Lust haben. Wir wollen abends in den Spiegel gucken können. Das konnten wir nach der "Santa Muerte" und das können wir auch diesmal.

Apropos Spiegel: Nur den wenigsten Punkrock-Bands gelingt der Sprung in die breite Öffentlichkeit, ohne dafür an Authentizität einzubüßen. Woran liegt das?

Andreas: Mit deutschem Punkrock hat man von vornerein schlechte Karten. Es gibt auch heute noch keine richtig funktionierende Punk-Lobby hierzulande. Das ist sehr schade, aber so ist es nun mal.

Sammy: Man muss sich als junge Punkrock-Band darüber im Klaren sein, dass die Chance, irgendwann einmal im großen Industrietopf zu landen, kleiner ist, als in fast jedem anderen Genre.

Sammy: Wenn man sich dessen bewusst ist, die Musik liebt und den ganzen Scheiß von vorne bis hinten durchziehen will, dann, und wirklich nur dann, kann man irgendwann einmal mit viel Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Leider bringen aber nur die wenigsten das nötige Maß an Disziplin mit, um diesen Weg zu gehen. Die meisten packen schon die Koffer, sobald die ersten Nackenschläge kommen.

Andreas, du sprachst eben von der nicht vorhandenen Punkrock-Lobby hierzulande. Müsste in Zeiten, in denen auf der 'anderen' Seite Bands wie Freiwild und Co. mobil machen, nicht Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt werden, um einen entsprechenden Gegenpol an den Start zu bringen?

Andreas: Da passiert auch einiges. Der Untergrund rumort. Es gibt viele junge Bands, die dieser Tage motivierter denn je zu Werke gehen.

Zum Beispiel?

Andreas: Wie hieß diese Combo aus Hamburg nochmal?

Sammy: Irgendwas mit Arrested, glaub ich.

Andreas: Arrested Develop…

Sammy: Quatsch, das waren andere. Arrested Denial heißen die. Da haben wir letztens im Bus ein Video gesehen. Ganz fettes Zeugs. Die klingen wie eine deutsche Version von Rancid. Richtig gut.

Andreas: Absolut. Das sind aber nicht die einzigen. Auch bei uns in Düsseldorf bewegt sich was.

Sammy: Man sollte diesem ganzen Freiwild-Scheiß aber eigentlich gar nicht so viel Beachtung schenken. Das Ganze jetzt zwanghaft zu pushen, nur weil ein paar Südtiroler mit massenkompatiblem Halbrechts-Müll um die Ecke kommen, hilft der Szene langfristig auch nicht weiter. Ich persönlich beschäftige mich erst gar nicht mit so Zeugs. Wenn ich irgendwo in Kacke trete, dann geh ich zum Bordstein, streif den Haufen ab und gehe weiter. Punkt.

Die Kacke dampft gerade aber ganz schön gewaltig, findest du nicht?

Sammy: Ja, mag sein. Aber mitunter auch nur deswegen, weil sich jeder darüber auslässt. Es gibt viel zu viele Pseudo-Rechtschaffende, die momentan medienwirksam die Säbel wetzen nur um von ihrem eigenen Müll abzulenken. Das führt letztlich nur dazu, dass eine Band wie Freiwild permanent im Gespräch bleibt und bei jüngeren, noch etwas orientierungslosen Konsumenten Neugierde weckt.

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