laut.de-Kritik

Rap - für die verkehrsberuhigte Straße.

Review von

Es ist nicht unbedingt so, dass in der Redaktion blutige Stellungskriege ausgefochten werden, wenn es um den Zuschlag für die Besprechung der neuen Bushido-Platte geht. Stellt sich die Frage, warum man es dann überhaupt macht. Voilà: Damit sind wir mitten drin in der Problematik – und damit der Plattenkritik.

Die Marke Bushido ist vielmehr längst auf einem Level angekommen, auf dem du über sie sprechen musst. Und obwohl ich nicht glaube, dass die Ferchichis und die Diekmanns insgeheim im stillen Villengärtchen zusammen Käffchen trinken, dürfte es Anis Ferchichi – entgegen seiner Klage in "Euer Bester Feind" – auch nicht all zu sehr stören, hie und da despektierlich in der Bild-Zeitung erwähnt zu werden.

Dass er es soweit geschafft hat, darauf darf der Deutsch-Tunesier gerne stolz sein. Er ist, worauf hinzuweisen er auch nicht müde wird, der zahlenmäßig erfolgreichste Deutsch-Rapper. Aber was hat er nach 13 Jahren im Rap-Geschäft zu erzählen? Entgegen der Ankündigung in episch lang(weilig)en Interviews mit den einschlägigen Hip Hop-Medien leider nicht viel:

Es ist schade, dass man seine Metamorphose zum Gut- bzw. Spießbürger nicht wahrhaben will und ihn lieber weiterhin als Rüpelrapper abstempelt. Die Frage bleibt, als was er denn lieber abgestempelt werden würde. Singer-Songwriter?

Dass er neuerdings verheiratet sowie taufrischer Vater ist und sowohl Kind als auch Kegel jeweils ein Lied widmet. Ich möchte in diesem Zusammenhang keinesfalls taktlos erscheinen, aber das letzte Mal haben mich Grup Tekkan so weit aus meiner musikalischen Komfortzone herausgezerrt.

Dass man im Fall der Fälle die legendäre Cordon Sport aus dem Schrank zöge und mit dem jüngst versöhnten Kumpel Eko dann halt wieder 'im Untergrund' musiziere. Ebenfalls schwierig: Mit "B.M.W." hat man das ja unlängst versucht – Betonung auf 'versucht'. Die rohe Battleattitüde, die vor neun Jahren den Urknall markierte, ist bereits vor geraumer Zeit einer zahnlosen Überheblichkeit gewichen.

Und natürlich lässt uns Anis Ferchichi wieder an seiner Generaleinsicht teilhaben, dass überhaupt alles nicht so leicht und das Leben an sich eine Zumutung ist. Trotz der ganzen Kohle. Aber es hilft halt nix, man hat seinen Mann zu stehen. Wenn man so will, ist das der rote Faden auf Anis Ferchichis Gesamtwerk: Jammern auf hohem Niveau.

Ein technisch interessanter Rapper war Bushido nun ebenfalls nie. Das ist ein umso größeres Problem, wenn man wenig Spannendes zu erzählen hat: Im Rap sollte entweder die Art oder der Inhalt des Vortrags unterhalten – im besten Fall beides. Im vorliegenden Fall weder noch. Zumindest nicht, wenn man gerne und entsprechend oft Rap hört und sich der vielen Alternativen bewusst ist.

Am ehesten aufhorchen lassen die beiden Kollaboration mit MoTrip und Joka: Bei "Snare Drum Ich Rap" machen ein sportlich klatschender Beat, ein gewohnt lockerer Aachener und ein davon profitierender Gastgeber die Sache klar.

"Theorie Und Praxis" kann man ebenfalls im Loop hören, weil erstens der treibend-klimpernde Unterbau Spaß macht und zweitens Joka seine erfreulich lebensnahen Zeilen souverän abliefert.

"Das Echte Leben" mit Sido hingegen dürfte schon bei der Arbeit für "23" abgefallen sein: Eine grundsolide Koop zweier plakativer Rapper auf einem nebligen Damals-Gangster-Heute-Pate-Beat, aber leider auch meilenweit von einem deutschen "Niggas In Paris" entfernt. Schade.

Der Rest klingt im Schnitt wie die letzten Alben: Sauber, aber wenig originell produziert. Die Straße, die Bushido mir mit seinen Synthie-Beats und der Rückschau aufs Electro Ghetto verkaufen will, ist maximal eine verkehrsberuhigte. Dazwischen lässt mich besinnlich klassische Instrumentierung in regelmäßigen Abständen wissen: "Achtung, Klavier! Bereitmachen zum Mitfühlen!"

"Bohlen ist der Pop- / aber ich bin der Rap-Titan". Ich weiß nicht, wieviele Gedanken sich Bushido über die verschiedenen Lesarten dieser Aussage gemacht hat – mir jedenfalls blieb sie als der treffendste Vergleich des gesamten Albums im Gedächtnis.

Im Endeffekt erinnert "A.M.Y.F." an die Filme, die im Flugzeug vor dem Start laufen: Inhaltlich gehts um Leben und Tod, nur wurde das so grandios unspektakulär verpackt, dass man spätestens beim dritten Mal nicht mehr zusehen mag - und wir sprechen hier von Album Nummer zehn. Nichtsdestotrotz wird die Scheibe Gold holen. Mit ihrer Qualität als reine Rap-Platte hat das dann allerdings nicht unbedingt zu tun.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Selbst Ist Der Mann
  3. 3. Lebende Legende
  4. 4. Anis Ferchichi
  5. 5. Lass Mich Allein
  6. 6. Das Echte Leben (feat. Sido)
  7. 7. Ihr Habt Mich Gemacht
  8. 8. Kleine Bushidos
  9. 9. Snare Drum Ich Rap (feat. MoTrip)
  10. 10. Mitten Im Leben
  11. 11. Nicht So Wie Ihr
  12. 12. Theorie Und Praxis (feat. Joka)
  13. 13. Hass
  14. 14. Aaliyah
  15. 15. Grenzenlos (feat. Julian Williams)
  16. 16. A.M.Y.F.
  17. 17. Euer Bester Feind
  18. 18. Untergrund (Part II) (feat. Eko Fresh)

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357 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 12 Jahren

    Paradox, dass das Cover eine komplizierte Matheformel darstellen soll, denn simpler kann ein Rap-Album gar nicht mehr sein. Aber wie jedes "Bubu"-Album musste ich es mir anhören und ich kam zu dem Entschluss, dass es besser ist als "Jenseits von Gut und Böse" - das hätte ich aber sowieso mit einem halben Stern bewertet.

  • Vor 12 Jahren

    Perfekte Review! So und nicht anders sieht es aus. Und natürlich kann man sich rausnehmen ein Bubu-Album zu ignorieren. Muss man nicht, aber kann man durchaus, er ignoriert ja auch genügend Medien, warum also nicht andersrum, einfach machen.
    Das Lemminge ohne Geschmack das dennoch zur Gold-Platte machen.. gut, Andrea Berg holt tripple-Platin, so whut.
    Die einzigen Songs die ich mir anhören werde sind die Kollabos, alles andere ist belanglos wie "kleine Bushidos".
    Der Erfolg sei ihm natürlich gegönnt, gönnen muss man immer!

  • Vor 12 Jahren

    Deluxe Edition deutlich besser, die hätte 3/5 verdient.

  • Vor 11 Jahren

    AMYF ist schon vom Titel her wohl das persönlichste Album von Bushido. UNd bei diesem Album überzeugt Bushido denn auch am meisten, wenn er persönlich wird und persönliche Themen anspricht. Etwa seine Tochter in "Aaliyah" oder seine Frau in "Grenzenlos" oder sich selbst in "Lebende Legende" und "Intro".

    Die Featuring Parts können eigentlich allesamt überzeugen, Sido in "Das wahre Leben" etwas weniger als MoTrip "Snare Drum ich rap", aber keiner so wie Joka in "Theorie und Praxis", dass dank dem Featuring Part auch der BEste Song des Albums ist. Eko Fresh ist eine Bereicherung, genau so wie J_-Luv, alle Featurings machen Sinn und heben die Qualität des Albums an, so sollte dass sein.

    Das Album hat durch und durch gute Tracks, ab und zu ein paar Highlights (siehe oben), aber fast keine wirklichen Durchhänger. DAS Lowlight ist für mich der Beat von "Snare Drum ich Rap".

    Fazit: Bushido ist durch und durch sowohl textlich wie auch flowtechnisch solid, es gibt viele durchschnittliche Songs und durchwegs gute Beat. Da es kaum Lowlights gibt, dafür ein paar Highlights gebe ich dem Album sogar 4 Sterne.

  • Vor 9 Jahren

    Meiner Meinung nach einer seiner besten Alben

  • Vor 9 Jahren

    Im Zuge des Releases von AMYF war Bushido vielleicht so unrelevant wie nie. Da musste er sich tatsächlich Leute wie JokA und MoTrip auf die Platte holen, um bei den jungen Leuten wieder punkten zu können. Klappte aber nicht. Hat er danach ja auch erkannt und sein Image wieder zum Gangstarapper abgeändert. Wie dem auch sei: AMYF hat ein paar ganz nette Songs, ist über weite Strecken aber eigentlich auch viel zu langweilig - eben die Handschrift von MoTrip. Hätte er nach dieser LP so weitergemacht, würde wohl heute niemand mehr über Bushido reden. 2/5.