laut.de-Kritik
Rappende Gewinnmaximierung in Spielfilmlänge.
Review von Yannik GölzEigentlich war mein Gameplan für diese Review, ein bisschen für Capital Bra in die Bresche zu springen. Ja, er hat in den letzten Jahren ziemlich viel lieblosen Pop-Rap verbrochen, aber bisweilen haben Leute getan, als wäre sein Erfolg ein unerklärliches Mysterium. Bislang hat er noch kein Album veröffentlicht, auf den seine Koks-induzierten Paranoia-Wellen, seine psychotische Aggression oder sein unfehlbares Ohr für Hooks nicht für ein paar taugliche Songs gesorgt haben. Ich war absolut bereit, den Hot Take zu machen, dass Capi - so er es denn mal will - Persönlichkeit und Sound mitbringt. Aber dann mache ich das Album auf, schaue auf die Tracklist und muss schlucken. 27 Songs, fast 80 Minuten? Gott steh uns bei.
Wisst ihr was? Mein Punkt steht trotzdem erst einmal. Wenn er auf dem Intro "Gott Ist Mein Zeuge" auf einem brettharten Horn-Beat mit einer recht ähnlichen Stimmung wie Bushidos "Gott Sei Dank" aufschlägt, dann müsste man sich schon dumm stellen, um den Reiz nicht zu verstehen. Ist er ein tiefschürfender Lyriker? Nein, seine Bars kommen simpel aus dem Bauch. Aber die Delivery stimmt. "Ich schreibe keine Hits, ich entscheide, was ein Hit ist", erklärt er da. "Der Bra bleibt Straße, auch wenn er Cheri Lady covert", heißt es später auf "DSDS". Immer wieder tauchen diese griffigen One-Liner auf, die zeigen, dass er den Kopf beim Texten nicht ganz auf Durchzug stellt.
Das 5-Tracks-in-einer-Nacht-Ethos schlägt durch seine Musik durch, wie es das auch bei einem Future und bei einem Thugger tut. Nicht unbedingt musikalisch, aber bei allen spürt man auch trotz ihrer Scheiße-an-die-Wand-werfen-bis-etwas-kleben-bleibt-Methode, dass es ihnen schon einfach verdammt viel Spaß machen muss, zu rappen. "Alle-le-le: Rollie, Glitter Glitter / Geh beiseite, Pisser, geh beiseite Pisser" ist wirklich kein lyrischer Kunstgriff. Aber er brüllt das so überzeugt, dass seine Energie überspringt. Charisma schlägt für mich das Textblatt. Vor allem, wenn man sich vorstellen kann, wie viele dieser Songs eine Hausparty absolut rocken würden.
So stell ich mir Capis Musik-Vorstellung eh vor: Er macht die Musik, die er hören wollen würde, wenn er mit zehn anderen Adidas-Anzügen auf dem Supermarkt-Parkplatz chillt. Und das ist ein liebevoll gemeintes Kompliment, denn damit meine ich, dass er im Rap-Modus oft erfrischend unkalkuliert klingt. Würde er nur diese hysterischen Banger machen, wäre ich an sich sogar okay damit, dass er ein ellenlanges Album veröffentlicht. Wenn man weiß, worauf man sich einzulassen hat, haben Songs wie "Diamonds", "Wir Sehen Gut Aus", "Aventador" oder "Hops" definitiv ihre Zeit und ihren Ort. Aber das war ja auch noch nie so recht das Problem. Einmal mehr liegt der Teufel in den nach Blaupause hingeschissenen, Streaming-freundlichen Balladen, die seine Alben befallen wie Schimmel.
Songtitel wie "Ich Will Nur Dich" oder "Ein Jahr" mit Montez verraten doch eigentlich schon, dass die nächsten drei Minuten länger dauern als die letzten drei Minuten. Hier verpuffen alle Verteidigungen, die ich bisher für Capital Bra angeführt habe, zu Schall und Rauch. Hier klingt sein Rap, als säße er seit zehn Jahren mit Bore-Out in einem Dahlemer Büro buckelnder Büroarbeiter, etwa zwei Stunden vor dem Feierabend. Das Songwriter-Team um das Produzenten-Duo muss jedes Jahr einen Zehnlitertopf mit beschissenen, austauschbaren Lyrics über schlechte Beziehungen kochen, einfrieren und dann nach Bedarf über diese immergleichen Songs verteilen.
Zum Beispiel "Sag Mir Wo Du Gerade Bist" mit Juju: "Ich bin ohne dich alleine unterwegs / Sag mir, Baby, wo du grade bist / Bitte, Baby, frag mich nicht: 'Wie geht's?' / Du weißt doch, dass ich dich vermiss'", heißt es da auf Capis Einstieg. Der Beat dudelt kurz vor dem Wachkoma vor sich hin, bummsegal, ob man da gerade einen alten Hit jeder Seele beraubt oder einfach nur irgendwelche vier Akkorde drischt. Schnarch! Diese immer gleichen Beatzarre-Narkoleptika fühlen sich so komplett zynisch und nutzlos an. Niemand der Beteiligten findet wirklich geil, was er da tut, und man hört so offensichtlich auch komplett die Niedrigschätzung des Publikums heraus. Aber die Playlists fressen diese Scheiße, also wirds gemacht. Capi ist keiner, der gegen den freien Markt arbeiten würde. Auch wenn es höchstens ein halbes Dutzend dieser Tracks gibt, fühlt es sich an, als würden sie eine Stunde der 80 Minuten Laufzeit ausmachen.
Abgesehen davon bekommen wir ein Album, das die Idee von Ausfiltern ohnehin komplett aufgegeben hat. Tatsächlich würde ich das abseits der Balladen aber eher positiv beurteilen. "8" hat ein paar genuin bizarre Songs zu bieten. Zum Beispiel lädt Capi auf "Steig Ein" Haftbefehl für eine Runde Koks-Disco auf einem EDM-House-Instrumental im Wert von zwei Center Shocks ein, und das macht absurd viel Bock. Sofort auf die Playlist für jede Bad-Taste-Party. Farid Bang kommt auf "Bitcoins" für ein paar witzig-ignorante Lines gegen Crypto-Bullshit vorbei. "Schach Matt" sampelt irgendetwas, das wie die Mittelalter-Episode aus Spongebob klingt, und macht dann fünf Minuten FL Studio-Arbeit damit, bevor Savas einreitet. Der sagt Sachen wie "Rap ist wie Schach ohne Würfel" oder "Rapper wechseln die Seiten als gäb's eine Pendlerpauschale", Capi sagt Sachen wie "Nicht Capital, ich bin eure Majestät". Großartig.
Auch die vielen Nummern, in denen er seine Signings und Homies NGEE und Kalazh44 anpreist wie ein extrem enthusiastischer Marktschreier, sind irgendwie süß. Das Ding ist: "8" mag ein chaotisches und überlanges Album sein, aber für Capital Bra in Spielfilmlänge ist es überraschend wenig langweilig. Er ist einer der wenigen Typen auf diesem Mainstream-Level, die wirklich für eine Überraschung gut sind. Irgendeine Form von Kuration wäre trotzdem ein okayer Schritt gewesen. Oft wird über Alben gesagt, man könnte in der Fülle an Material ein richtig gutes Tape finden. Aber ich habe noch nie ein Album erlebt, bei dem es so leicht zu unterteilen ist. Die guten Songs haben ihm nämlich offensichtlich richtig Bock gemacht, aber Sachen wie die Balladen könnte man wahrscheinlich mit ihm selbst hören und er würde kommentieren mit "Ja, hahaha, der Song ist scheiße", "ja, haha, krass, dass sie das aufs Album genommen haben" oder "ich erinnere mich nicht mal, das aufgenommen zu haben".
So steht hier eben offensichtlich der kommerzielle Anspruch über dem Willen zum guten Produkt. Aber für einen Rapper, der eh nie ernstgenommen und zudem kritisch zerrissen wurde, ob er sich Mühe gab oder nicht, kann ich irgendwie verstehen, dass er es gar nicht mehr versucht. Dann wird er eben zur rappenden Gewinnmaximierung. Würde ich irgendjemandem konkret empfehlen, diese Monstrosität von eine Album in einem Stück durchzuhören? Auf gar keinen Fall. Aber insgeheim behalte ich mir doch die Meinung vor, dass Capital Bra in seinen lichten Momenten interessanter und unterhaltsamer ist als ein sehr großer Teil dieser Rapszene.
11 Kommentare mit 6 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Ein Rapalbum mit 27 Songs kann nicht gut sein wenn es keinen roten Faden besitzt. In diesem Fall ist es wie eine 80 Minuten Playlist statt wie ein Album. Kann auch den Zuspruch gegenüber Capi nicht verstehen. Seine härteren Songs klingen alle gleich und die Texte kauft man ihm auch nicht mehr ab. Die Tracks mit Autotune sind nicht nur langweilig sondern unterirdisch schlecht. Capi weiß einfach nicht wie man den Effekt sinnvoll einsetzt, er weiß nicht welche er Töne treffen will etc. Am Ende kommt da irgendein komisches Geflüster bei raus. Ja mag sein dass Capi „kreativ" damit ist wie er Autotune verwendet aber ich denke dass ist eher auf Grund des nicht könnens und nicht weil er so klingen will. Würde irgendein Newcomer mit genau diesem Sound anfangen würde er bestimmt nie in irgendeine Playlist kommen und vermutlich gehatet werden. Aber auf Grund capis Standing im Game wird das gar nicht mehr wahrgenommen wie schlecht dass eigentlich ist.
1/5
Besonders ein 27-Tracks-Album von Capi kann unmöglich gut sein. Das reicht ja locker für das dreimalige Wiederholen seines kompletten Wortschatzes.
Allein schon beim letzten Album gab es teilweise Songs, die hintereinander gespielt (!) genau gleich klangen, bis auf eine leicht veränderte Grundmelodie.
Ich habe auch seit einiger Zeit nicht mehr das Gefühl, dass er in der Popkultur noch richtig vorkommt. Sicher, er macht noch Zahlen, aber was sind die Wert, wenn die sowieso ganz gut frisiert werden können. Und irgendwie fehlte auch in den letzten Monate dieser Nerv-Hit den er über einen längeren Zeitraum immer mal wieder gemacht hat.
Ich glaube, der Witz hat sich auserzählt und wie bei der Spongebob-Folge zieht die Nummer mit dem Hose reißen nicht mehr, in Capis Fall wäre das schlecht mit Autotune über langweilige Beats mit einem gewissen Selbstbewusstsein zu rappen. Hat ein paar funktioniert, nutzt sich aber so langsam ab, da seine 14-jährigen Fans von 2018 als "Berlin lebt" rauskam so langsam 18 werden und sich mehr vom Leben erhoffen als ironisch Lieder von einer fragwürdigen Persönlichkeit zu hören.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Hab nur 20 Sekunden von "Gott ist mein Zeuge" ausgehalten. Erinnert mich an den Anfang von "Pistole" von Banjo. Auf dem Niveau sind wir also mittlerweile, damals war's noch lustig...
Mucke für den Fisti
Nachdem du mir den Scheiß mit solch eleganter Wortgewandtheit angetragen hast, darfst du mir deine persönlichen Anspieltipps nennen. Ich vermute mal du trägst die Playlist als Tattoo über deinem Steiß, damit dein Zureiter nicht Alexa fragen muss beim romantischen Zusammensein.
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Das achte Album von Capital Bra konnte nicht an seinen vorherigen Erfolg anknüpfen, seit seinem Debüt "Kuku Bra" war kein Album so niedrig und kurz platziert wie "8".
Das Album beinhaltet gute Songs, aber auch sehr schwache.. Außerdem besitzt es keinen roten Faden und funktioniert eher wie eine Art Playlist.
Highlights: Steig ein (ft.Haftbefehl), Die Wahrheit ist kein Hit, Schach Matt (ft. Kool Savas)
Lowlights: Diamonds (ft. Luciano), Aventador (ft. Jamule) oder auch Hula Hoop.
Neues hört man von Capi auf diesem Album wenig, es folgt dem gleichen Konzept wie "CB6" oder "CB7", wo dieses jedoch noch funktioniert hat.
Fürs neunte Soloalbum sollte sich Capital eventuell in Sachen Namensgebung wieder etwas mehr kreativ ausleben.