laut.de-Biographie
Capital Letters
Wir befinden uns in der Zeit, in der Jamaika unabhängig von England wird. Gewalttätige Unruhen brechen aus. Die Dekolonialisierung geht mit scharfen Brüchen und heftiger Erschütterung einher. Aus diesem Brodeln entsteht unter anderem der Reggae, den Ska gibt es schon einige Jahre länger.
Die Eltern der sechs Jungs, die 1972 in den Reihen einer Band zusammenfinden sollen, stammen aus der Karibik. Sie suchen ihr Glück im Mutterland des United Kingdom: die Einwanderer-Generation der späten Sechziger Jahre. Capital Letters nennen sich nicht von Anfang an "Großbuchstaben". Bis 1979 heißen sie zunächst The Alphabets.
Sie zählen nicht zur TwoTone-Welle, auf die Genre-Häuptlinge The Specials haben Capital Letters aber trotzdem großen Einfluss: Bandleader Jerry Dammers erklärt 2011 in einem BBC-Interview, ein Song der zu diesem Zeitpunkt bereits völlig in Vergessenheit geraten Capital Letters habe ihm bewiesen, dass auch die Musik der Specials in England funktionieren könne.
Das geht so: Der Riecher von John Peel, in den bewegten Zeiten Ende der 1970er Jahre eine DJ-Legende bei der BBC, gilt selbst bei den Punkifizierten der Gesellschaft als überaus vertrauenswürdig. In Musiker- wie Hörerkreisen herrscht Konsens: John Peel muss man einschalten.
Eben dieser John Peel entdeckt "Smoking My Ganja" für sich und spielt den Song und seinen Nachfolger "Run Run Run", auch in unterschiedlichen Versionen, je eine gute Handvoll Male in seiner Show. Das macht die Capital Letters groß.
Unter den Verehrern der Gruppe findet sich der erste Schlagzeuger der Ska-Band The Selecter, der 2018, viele Jahre später, auf dem Capital Letters-Album "Judgement Day" trommeln wird.
Zu Beginn der 80er Jahre brechen die Capital Letters zunächst einmal aber auseinander. Deshalb laufen sie einem anderen wuseligen Herrn der englischen Reggae-Szene nicht über den Weg: Noel Browne, zunächst Session-Keyboarder im Studio One in Kingston, später Mitglied bei den Maytals und Tastenmann für Toots, danach in diversen Bandkontexten und als Produzent aktiv.
Bei ihm finden sich Capital Letters erst 2014, zur Wiedervereinigung der Band, ein. Ihr Comeback-Album nennen sie nach der Stadt, aus der sie stammen: "Wolverhampton", in der Nähe von Birmingham gelegen, gilt als eine der am stärksten multikulturell geprägten Städte Großbritanniens.
Gegenüber der Originalbesetzung der Siebziger und Achtziger gibt es 2014 einige Unterschiede im Line-Up: Eine Auswanderung, ein Todesfall und eine Änderung des Konzepts haben Spuren hinterlassen. Kopf der Band ist inzwischen, wie auf dem Cover von "Judgement Day" zu sehen, Bassist JB. Als Drummer tritt 2018 Harrington Bembridge in die Band ein, er gehörte ehedem ebenfalls zu The Selecter.
In Frankreich feiern die Capital Letters 2015 einige Liveerfolge, in Deutschland dagegen rührt sich jahrelang nichts. Wiederveröffentlichungen der alten Alben "Headline News" und "Vinyard" folgen, ersteres inklusive einiger 12"-Versionen.
Die Compilation "Reality" birgt frühes Material in aufpolierten Abmischungen, zahlreiche alternative Dub-Versionen und einen einzelnen Live-Mitschnitt ("No Job"). Im August 2018 erscheint mit "Judgement Day" ein ausgeklügeltes neues Studioalbum.
Hätten sie sich nicht zwischendurch für drei Jahrzehnte getrennt: Die Capital Letters zählten zur Top Ten der weltweit dienstältesten Reggae-Bands.
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