laut.de-Biographie
Capleton
"More Fire!" Sein Schlachtruf eilt Capleton voraus. Nicht wenige sehen in dem Mann mit dem Turban eine schwelende Gefahr. Wird hier etwa zur Brandstiftung aufgerufen? Mehr als ein mildes Lächeln ringt dieser Vorwurf dem Fireman allerdings nicht ab: "Es geht hier doch nicht um Feuer im Wortsinne. Ich rede von spirituellem Feuer. Von Feuer, das in Worten steckt, und in Musik. Wenn ich sage 'More Fire!', dann fordere ich niemanden auf, die Tankstelle oder die Kirche abzufackeln. Aber die Leute sind verwirrt und legen es teilweise darauf an, mich misszuverstehen."
Clifton George Bailey III kommt am 13. April 1967 im ländlichen Umfeld von St. Mary, Jamaika zur Welt. Bereits in jungen Jahren zeichnet er sich durch analytische Beobachtungsgabe und ein ebenso scharfes Mundwerk aus. Bald ruft man ihn mit dem Namen eines ortsansässigen angesehenen Juristen: Capleton. Beeinflusst vom allgegenwärtigen Sound Bob Marleys, Bunny Wailers und Peter Toshs haben es dem Jungen die tingelnden Soundsystems angetan. Dass seine eigene Bestimmung in der Musik liegt, erkennt Capleton allerdings erst, als er mit 18 Jahren seinem Geburtsort den Rücken kehrt, um sich in Kingston niederzulassen.
1989 erregt er erstmals internationales Aufsehen: Stewart Brown von African Star, einem in Toronto ansässigen Soundsystem, fliegt den jungen Deejay nach Kanada ein. Capleton steht an der Seite von Ninjaman und Flourgon auf der Bühne. Die Welt erlebt die Geburtsstunde eines neuen Sterns am Dancehall-Himmel. Was Capleton anfasst, scheint zum Erfolg bestimmt: Mit "Bumbo Red", "Number One On The Good Look Chart" oder "Lotion Man" erschüttert er die Dances. Seine Wortwahl lässt dabei zart besaitete Zeitgenossen schaudern: Man wittert Gewaltverherrlichung, Rassismus und Sexismus in Capletons energiegeladenen Ausbrüchen.
Nach der Rückkehr auf die heimische Insel landet Capleton mit "Alms House" 1992 einen Riesenhit. "Music Is A Mission" folgt auf dem Fuße. "Music is a mission / Not a competition / Some men use the music / To cause confusion." Der Wandel von einst von Punchlines dominierten Tracks hin zu gehaltvollen, mahnenden Lyrics ist nicht zu überhören. Capleton äußert sich zunehmend respektvoll gegenüber Frauen. Gut möglich, dass die Geburt einer Tochter die Prioritäten zurecht gerückt hat. Die Sache der Schwarzen liegt ihm am Herzen: "Wir müssen über unsere Herkunft Bescheid wissen. Wie der Prophet Marcus Garvey sagte: 'Eine Nation ohne Kenntnis ihrer Herkunft ist wie ein Baum ohne Wurzeln.' Wenn du nicht weißt, woher du kommst, wirst du nicht verstehen, wohin die Reise führt.". Dennoch möchte sich Capleton keinesfalls als schwarzer Rassist verstanden wissen, denn: "Jah ist für alle da."
Etwa um 1994 entdeckt Capleton den Rastafari-Glauben neu. "I was once lost / Now I'm found / Selassie I live / Every Time", heißt es in "Dis The Trinity". Capleton fühlt sich - wie auch seine Kollegen Anthony B., Sizzla oder Perfect - den Bobo Ashanti zugehörig, einer strenggläubigen Fraktion, die der Dreieinigkeit von Prophet, Priester und König in Gestalt von Marcus Mosiah Garvey, Prince Emmanuel und Haile Selassie, anhängen. Bobo Ashanti-Jünger, unschwer zu erkennen an den auffälligen Turbanen, die die Dreadlocks vor den Blicken Ungläubiger bewahren sollen, genießen den guten Ruf höflicher und bescheidener Mitmenschen. Die Ideen des Rasta-Philosophen Marcus Garvey erhalten in Capleton einen wortgewaltigen Fürsprecher. Die hier tief verwurzelte Schwulenfeindlichkeit bricht sich entsprechend auch in Capletons Texten Bahn. "Blood out di chi chi / Burn out di chi chi." Im Ausland führt dies immer wieder zum Boykott seiner Shows.
Nichtsdestotrotz sieht Capleton in der Musik eine internationale Sprache, derer er sich bedient, um über Barrieren hinweg seine Botschaft zu verbreiten. "Tour" eröffnet ihm zudem ein komplett neues Publikum: Ein Remix der Nummer, die ein Paradebeispiel für das Roots-Revival im Dancehall bildet, schafft es in die US-Charts und führt Capleton eine breit gefächerte, Hip Hop-affine Hörerschaft zu. Def Jam veröffentlicht die Alben "Prophecy" und "I Testament" und ermöglicht Capleton Kollaborationen mit Rap-Größen wie Method Man und Q-Tip.
Dennoch: Capleton hält eine Rückkehr zu seiner angestammten Hörerschaft für angebracht. Diese dankt es ihm: Um die Jahrtausendwende befindet sich Capleton, The Prophet oder, wie er auch genannt wird, King Shango, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, und das nach über zehn Jahren im Geschäft: Für die schnelllebige Dancehall-Szene eine kleine Ewigkeit. Er predigt in intelligent gewählten Worten gegen Gewalt, fordert respektvolle Behandlung von Frauen ein. Seine Waffen: "Word, Sound and Power". Capleton glaubt an die Macht der Gedanken, die sich im gesprochenem Wort, dem Atem des Lebens, manifestiert.
"More Water!" karikiert Beenie Man den Kampfschrei Capletons: Bei der Rivalität dieser beiden dreht es sich um weit mehr als nur persönliche Antipathien. Der Streit nimmt Ausmaße einer religiösen Grundsatzdebatte an: Capleton unterstellt Beenie Man in seinem Glauben Beliebigkeit. Umgekehrt versucht Beenie Man, Capleton als Fundamentalisten hinzustellen. Ein Anlass für ein Duell findet sich immer, nicht umsonst sind Clashs aus dem Dancehall ebenso wenig wegzudenken wie Battles aus der Hip Hop-Tradition.
Erst Mitte der 2000er Jahre führt sein Weg den "heißesten Entertainer in der weltweiten Reggae-Bruderschaft" erstmals nach Europa. Im Interview mit MKZwo zeigt er sich begeistert von den ihm entgegen schlagenden Vibes, denn: "Es geht darum, von Herzen zu singen, nicht um Geld oder Ruhm. Es geht nicht um Hype sondern um die Message." Die da lautet: "Me still never give up!"
Durchhaltevermögen braucht der 'Fyah Man' dann auch. Denn der Traum vom europäischen Ruhm platzt schnell, als gegen zahlreiche jamaikanische Dancehall-Musiker Homophobie-Vorwürfe laut werden. Queere Interessenverbände finden etliche kritische Textstellen. Die Abteilung "Wissenschaftliche Dienste" des deutschen Bundestags listet in einer Recherche die Capleton-Songs "Bun Out Di Chi Chi", "Hang Dem Up", "Whoa!", "Buggering", "More Prophet (Give Har)" und "Pure Sodom" mit Zitaten auf.
Auch andere Dancehaller wie die Gruppen T.O.K. und Ward 21, kommen in jenem Dokument mit dem Namen 459/09 vor, weil sie sich über den so genannten "battyboy", "chi chi man", "fassy boy" oder "fassyman lustig machen oder zu dessen "Verbrennung" aufrufen; all diese Wörter stehen im Patois gleichbedeutend mit "Homosexueller", "Schwuler".
Capleton nimmt für seine Texte in Anspruch, dies sei nur ein Missverständnis. Ihm gehe es um das "System" von "Babylon", die kapitalistische Weltordnung. Diese bekämpfe er. Die gedankliche Brücke zwischen Homosexualität und Kapitalismus ist genauso schwer nachvollziehbar wie die permanente Wiederkehr der Metaphern "Feuer" und "Verbrennung" in seinen Lyrics. Generell klingen die Texte in den Ohren Außenstehender erst einmal Gewalt verherrlichend. Capleton will sich die frisch errungene Europa-Präsenz nicht nehmen lassen und unterzeichnet den "Reggae Compassionate Act" als Zeichen des guten Willens.
Keines der namhafteren Labels wie Greensleeves/VP, DefJam, Heartbeat oder Nocturne, die zuvor mit ihm arbeiteten, trägt Alben wie "Free Up" oder "Bun Friend" mit; es distanziert sich aber auch keines von ihnen öffentlich vom Sänger. Die meisten der in der Kritik stehenden Lieder waren bei No Name-Labels erschienen, die teilweise zu jener Zeit schon gar nicht mehr existieren, als der Bundestag über das Thema berät. Der Song "Pure Sodom" erschien zwar beim renommierten Label VP, Capleton meint aber durch den biblischen Kontext herleiten zu können, dass es sich bei solchen Formulierungen wie "yuh head a roll pon di street" um den Gedanken der Reinigung durch Gott, nicht um Tötung handele.
Das Lager der Reggae- und Dancehall-Fans bleibt bei keinem Künstler so nachhaltig und tief gespalten, wie bei Capleton, und keiner taucht so oft in der besagten Index-Liste der kritikwürdigen Texte auf. Zum Vergleich: Während Buju Banton besonders durch die tragische Geschichte seiner Verhaftung, durch seine politischen Texte, sein Charisma und seinen Gesangsstil enorme Sympathien genießt, gilt Bounty Killer überwiegend als der ungebildete, uneinsichtige Junge mit Dirty Lyrics, gleichwohl viele internationale Acts mit ihm zusammenarbeiteten. Während Beenie Man sich bezüglich seines Rufes und der Vorwürfe gegen ihn erholen kann, nehmen die jahrelangen Vorwürfe gegen Elephant Man kein Ende mehr und beenden seine Karriere, übrigens auch in der Heimat, jäh.
Andere Künstler wie Mavado und (Baby) Cham tauchen eine Zeitlang unter, übernehmen Gast-Features oder Produzenten-Aufgaben, bis die mit nur je einer einzigen Liedzeile unterlegten, kaum haltbaren Anschuldigungen gegen sie verblassen. Spragga Benz oder T.O.K. bekommen in Europa nie wieder ein Bein auf den Boden; letztere Gruppe trennt sich.
Im Falle von Capleton prallen extreme Positionen aufeinander. Die einen halten ihn für den veganen, pazifistischen Rastafari, als der er sich selbst darstellt. Die nächsten finden ihn langweilig, seine Performances abgespult, seine Songs mittelmäßig und seine Entschuldigungs-PR-Statements gelogen. Die dritte Fraktion verabscheut ihn. Weil er Hass auf Bühnen, auf CDs und auf YouTube säe. Eine neue Chance würden manche Leute ihm nicht einräumen.
Seinen Auftritt beim Chiemsee Reggae Summer 2007 kommentieren LaBrassBanda zwei Jahre später vor Ort in einer Mischung aus verkrampftem Humor und Political Correctness mit ihrem Live-Stück "I Like Da Battyman (Batty Me Banana)". Ob sie dabei gemerkt haben, dass sie ihr eigenes Genre ansäuern und zu einem miesen Ruf von Dancehall aktiv beitragen?
Stärker noch provoziert die Band Frittenbude im Jahrgang 2011 des Festivals den Veranstalter und sagt ihren Auftritt kurzfristig ab. Es sei ihr nicht genehm, mit Capleton das Line-Up zu teilen. Dem Veranstalter geht das auf die Nerven, man trete für Meinungsfreiheit ein und wolle keine Künstler zensieren. Der Druck bleibt aber. 2014/15 dreht das Festival auf ein anderes Konzept, streicht den Dancehall aus den Line-Ups, das Wort Wort 'Reggae' aus dem Namen und lädt immer weniger jamaikanische Acts ein, bis es 2017 letztmalig stattfindet und wegen Sturmschäden vorzeitig abbricht.
Capleton hat also eines sicher geschafft: Er hat die Konzertlandschaft in Deutschland nachhaltig verändert, heftig provoziert und dafür gesorgt, dass das Nischenthema 'Reggae' in der Bundespolitik ankam. Im August 2018 tritt der 'Fyah Man' nicht nur als Headliner beim Reggae Jam-Festival im niedersächsischen Bersenbrück auf, er wird sogar als erster Act im Vorverkauf angekündigt. Dort im Norden nimmt kaum einer daran Anstoß - wäre das mal in Berlin, Bayern oder in der Schweiz passiert...
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