laut.de-Kritik
Die Grande Dame des Jazz läuft mit ihrem Trio zu Höchstform auf.
Review von Dominik Kautz"Ich verstehe Musik nicht im Geringsten" sagt Carla Bley. Eine gewagte Feststellung der majestätischen Künstlerin, die sich selbst nur zu einem Prozent als Jazzpianistin und zu 99 Prozent als Komponistin begreift. Manchmal aber braucht es das Zusammentreffen solcher Gegensätze, damit ein magisches Klang-Universum entstehen kann. Im Falle der mittlerweile 83-jährigen Grand Dame des Jazz trifft dies voll und ganz zu. Vor allem dann, wenn sie gemeinsam mit ihrem seit 26 Jahren existierenden Trio spielt, zu dem neben ihrem E-Bass zupfenden Lebenspartner Steve Swallow auch der Tenor- und Sopransaxophonist Andy Sheppard gehört.
In dieser Besetzung legt sie mit "Life Goes On" nach "Trios" (2013) und "Andando El Tiempo" (2016) jetzt die dritte Platte einer fortlaufenden Reihe vor. Die drei von Bley komponierten Suiten des Albums spielte das Trio im Mai 2019 nach dreijähriger Vorbereitung in Lugano im Auditorio Stelio Molo (RSI) unter der Leitung von Produzent und Gründer des Münchner Traditionslabels ECM Manfred Eicher ein.
Um die Stücke so lebendig wie möglich zu gestalten, ging das Trio vorab extra auf Tour, probte die Suiten allabendlich, verfeinerte sie innerhalb ihres Grundgerüstes aus dem Stegreif und brachte sie so annäherungsweise in ihre definitive Form – sofern das bei dem unerschöpflichen Improvisationsgeschick dieses Trios überhaupt möglich ist. Dem hiesigen Publikum präsentierte Bley einen Teil der Stücke schon vergangenen Herbst auf einer Tour zum fünfzigsten Jubiläum von ECM, in deren Rahmen sie mit ihrem Trio und Special Guest Billy Drummond am Schlagzeug auch beim Eröffnungskonzert bei Deutschlands größtem Jazzfestival Enjoy Jazz gastierte.
2018 erkrankte Carla Bley ernsthaft und zog sich daraufhin weitgehend von der Bildfläche zurück. Doch Bley wäre nicht Bley, würde sie dieser Erfahrung nicht mit Trotz und Humor begegnen. Den Verlauf des Lebenseinschnitts vertont sie geistreich mit so spitzbübischem wie tiefsinnigem Witz im viersätzigen Eröffnungsstück. Folgerichtig beginnt der erste davon, "Life Goes On", als langsamer, melancholischer Blues. Dessen Motiv stellt die Pianistin mit wenigen, aber sehr getragenen Noten im Bassregister ihrer Klaviatur vor. Mit lyrisch singendem Bass und klagendem Tenorsaxophon greifen Bleys musikalische Konversationspartner das Tonmaterial auf und führen es bei wechselnder, gleichberechtigter instrumentaler Führungsrolle mit großer Tranquilität weiter.
In "On", dem zweiten Teil der Suite, führt Swallow sein malerisches Solospiel mit exzellentem melodischem Entwicklungsvermögen über Bleys elegischer Tastensprache fort. Sheppard setzt erst am Ende des Stückes ein und leitet in das walzende "And On" über, das urplötzlich eine ganz andere Grundstimmung transportiert und von Sheppards freudestrahlendem Solospiel lebt. Das Lamento der ersten beiden Sätze weicht spätestens jetzt einem unbeugsamen Optimismus.
"And Then One Day" beginnt zunächst als lebhafter, freudesprühender Tango. Sheppard unterstützt das gegenwärtige Sentiment und wechselt zum Sopransax. Erst im Verlauf des Stückes verlangsamt Bley das Tempo und bildet so die Rückkehr zur Normalität nach dem Genesungsprozess ab. Die Dramaturgie der Suite beschreibt Bley auch in den Liner Notes treffend: "Life goes on. On and on. And then one Day... Carla was hit by a bucket of shit and the band played on."
Als Quell der Inspiration für das äußerst amüsante "Beautiful Telephones" diente Bley das Zitat der ersten Beobachtung Donald Trumps nach Betreten des Oval Office. Passend zum Schock, den Trumps Wahl zum US-Präsident auslöste, beginnt die Komposition mit einer desolaten, tristen Grundstimmung, die ein wenig an Frédéric Chopins Trauermarsch erinnert. Im Verlauf der drei von Gegensätzen geprägten Suiten baut sie süffisant ironisch eine Reihe patriotischer, musikalischer Zitate von "Yankee Doodle Dandy" über "Your're A Grand Old Flag", "Hail To The Chief", "Battle Hymn Of The Republic" bis hin zu amerikanischen Hymne "Star Spangled Banner" ein. "Ein Stück, in dem alles aufgeregt - und dann ungeduldig - und dann wieder aufgeregt wird und sich dann erneut verändert. Nichts bleibt so, wie es ist, denn angesichts der Aufmerksamkeitsspanne des Präsidenten müssen wir auch die Musik schnell ändern" kommentiert Bley den Charakter der Suite.
Mit dem beschließenden, dreiteiligen "Copycat" lotet das "monströseste Chamäleon, das der Jazz kennt" wie Jazzkritiker und FAZ-Musikredakteur Wolfgang Sandner Bley beschreibt, das Call-and-Response auf eine ganz eigentümliche Art und Weise aus. Im improvisatorischen Trialog laufen Bley, Swallow und Sheppard hier bravourös 'in the mood' unaufgeregt zu einer fabulösen Höchstform auf, die von Brillanz und vollendeter instrumentaler Perfektion zeugt.
Bleys virtuoses Spiel auf "Life Goes On" wirkt zu jeder Zeit absolut zwanglos und wohl durchdacht. Mit einem Fokus auf unvorhersehbare Melodielinien und pendelnd zwischen der Fragilität eines Thelonious Monk, dem verträumt-romantischen Minimalismus eines Erik Satie und der transzendentalen Intensität von John Coltrane reduziert sie die Stücke auf das Wesentliche. Dabei schält sie aus ihren transparenten, tonalen Architekturen ein Maximum an Raumwirkung heraus. Entbehrliche Noten sucht man hier vergebens. "Life Goes On" zeigt drei kongeniale Seelenverwandte, die auf höchstem Niveau miteinander musizieren. In den Worten von Carla Bley: "Wir haben gelernt, gemeinsam zu atmen, wenn wir spielen."
2 Kommentare mit einer Antwort
An die 1* Bewerter: findet ihr die CD wirklich schlecht? Ich habe den Verdacht, dass ihr einfach Jass nicht mögt. An diesem Werk kann man sicher kritisieren, aber Schrott ist es sicher nicht.
Schade, wenn die CD-Bewertungen durch Daumen-runter-Klicks verwässert werden.
Und ich mag Menschen nicht die Jazz nicht richtig schreiben können.
Das Album solide 4 Sterne.
Sehe ich absolut genauso. Höre mir das Album heute Abend in aller Ruhe mal an. Carla Bley liefert im Grunde so gut wie immer Qualität. Da macht auch dieses Werk wahrscheinlich keine Ausnahme.