laut.de-Kritik

Gelungene Symbiose aus Rap und Indierock.

Review von

"Tür Zu" heißt der erste instrumentale Track auf Chakuzas Album "EXIT" – ein passender Titel angesichts der Tatsache, dass er auf seinem fünften Soloalbum musikalisch völlig neue Wege einschlägt. Vom reinen Rapper-Dasein entfernt er sich ganz bewusst und experimentiert mit neuen Klängen, die sich wohl am ehesten dem Indierock-Bereich zuordnen lassen.

"Kann sein dass das mein letzter Satz ist, das wars mit dem Rapper", so Chakuza in "1000 Dinge". Diese Drohung erweist sich zum Glück als unbegründet, denn so ganz kann es der gebürtige Österreicher eben doch nicht lassen. So rappt er schonungslos über sein Innenleben, das von Melancholie und Desillusion geprägt ist. Er selbst scheint die "Drehscheibe" zu sein, "die sich eine Weile lang dreht, dann stehen bleibt, leer".

"EXIT" sollte man nicht einfach so nebenbei dudeln lassen. Die Texte erfordern genaues Hinhören und befördern einen auf beeindruckende Art und Weise in dieses dunkle Loch aus längst vergraben geglaubten Erinnerungen, die einen beim Erwachsenwerden zwangsläufig ereilen: "War nur warme Luft, unser Indianerehrenwort." Wie jeder andere hat auch Chakuza mit "Gegenwind" zu kämpfen – doch es gibt eben auch den "Windschutz", die Musik.

In dieser Hinsicht hat sich Chakuza weiterentwickelt: Statt düsteren, basswummernden Beats dominieren jetzt Schlagzeug, Gitarre und Klavier. Etwas wuchtiger und energetischer hätte es stellenweise aber ruhig zugehen können, etwa wenn im Titeltrack "das Luftschloss namens Welt" mit einem Knall in die Luft gesprengt wird.

Die Refrains, von Hooks kann man hier kaum sprechen, geraten lyrisch mehr als solide und durchweg eingängig. Vereinzelt werden sie aber derart oft wiederholt, dass man den entsprechenden Songs den Lückenfüller-Stempel aufdrücken möchte ("Stück Für Stück").

Viel besser kommen die kleinen Geschichten: In "Charlie Brown" erzählt der Rapper davon, wie er sich vom trostlosen Dasein als "Schatten einer Comicfigur" ins Licht bewegt und bunt anmalt. Weder was Inhalt noch Vortragsweise angeht, beschreibt "bunt" das Album treffend. Doch schonungslose Ehrlichkeit und ausdrucksstarke, kreative Sprachbilder gestalten den Longplayer so evident wie authentisch.

Flow- und reimtechnisch hat Chakuza nichts von seinem Talent eingebüßt. Auch wenn er von Punchlines und aggressivem Gespitte die Finger lässt, kommt er bei schnellerem Tempo regelrecht ins Rollen und lässt sich nicht so leicht bremsen. Im Zusammenspiel mit den sanfteren Stimmen seiner Singer/Songwriter-Kollegen Jonathan Walter ("RBM") und Maxim entfaltet sich die kantige, raue Stimme des Wahl-Berliners voll. Obwohl beide Kollaborationen eher balladesk daherkommen, steckt insbesondere in "Glas - Beton" echtes Hit-Potenzial.

Neben vielen melancholischen Momenten blitzen auf "EXIT" immer wieder Hoffnungsschimmer auf: "Halbzeit" markiert den Aufbruch in ein besseres Leben, die zweite Halbzeit nach einem Leben, in dem "die gute Fee und ich [...] nie ein Traumpaar" waren. Der Song lässt erahnen, dass die schwermütigen Texte eine Befreiung von inneren Zwängen markieren und Energie freisetzen, die sich im Studio schließlich vollkommen Bahn bricht.

"Off" behandelt auf eindrucksvolle Weise das Thema Trennung und Ex-Beziehung ohne kitschige Klischees. Chakuza rechnet mit ehemaligen Liebschaften ab, über die sich nach vielen Jahren so viel Wut angestaut hat, dass sie seinetwegen "so krass in der Hölle schmoren" können. Humor lässt er zwischendurch aber trotzdem aufblitzen: "Sag mal, war ich mal in Hulk verliebt? Du platzt aus den Jeans."

Die Reaktionen auf seine ausgeprägte Sensibilität thematisiert er ebenfalls und nimmt Hatern damit schonungslos den Wind aus den Segeln: "Jetzt kommen die Prolos und meinen 'Oh, Schwuli is' traurig' und ja, genau, [...] das bin ich auch, unglaublich."

Chakuza steht zu seinen Gefühlen und präsentiert sich in "Roofer" als "König der Hausdächer" und "ausgegrenzter Traumtänzer". "Raupe" zusammen mit Kumpel RAF Camora beschreibt die Entwicklung vom kleinen Kriechtier zum Schmetterling. Dabei wirkt der Song ebenso hoffnungsvoll wie der starke "Anfang des Traums", den das englischsprachige Sample zu einem besonderen Höhepunkt macht. Das Blatt hat sich gewendet: "Keine Tränen fließen mehr, steh' mit den Füßen im Meer und fühle mich gestärkt, als wär' ich aus der Wüste zurückgekehrt."

"EXIT" stellt den Werdegang eines Künstlers dar, der von Selbstzweifeln und Melancholie geprägt ist, über die Musik aber zu sich selbst findet. Auf diesem Weg hat er keine Angst vor der schonungslosen Offenbarung seines Innenlebens. Finden sich in der ersten Hälfte ein, zwei schwächere Songs, wird es später nicht nur durchgehend gut, sondern stellenweise so hoffnungsvoll, dass man schon fürchtet, Chakuza mache in Zukunft fröhliche Musik. Doch der Rapper gibt Entwarnung: "Lustig wirds nie." In diesem Fall ist das auch verdammt gut so.

Trackliste

  1. 1. Tür Zu
  2. 2. 1000 Dinge
  3. 3. Drehscheibe
  4. 4. Dunkel - Hell
  5. 5. Licht Aus
  6. 6. Gegenwind
  7. 7. Exit
  8. 8. Stück Für Stück
  9. 9. Charlie Brown
  10. 10. RBM ft. Jonathan Walter
  11. 11. Halbzeit
  12. 12. OFF
  13. 13. Glas - Beton ft. Maxim
  14. 14. Roofer
  15. 15. Raupe ft. RAF Camora
  16. 16. Anfang Des Traums
  17. 17. Tür Auf

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8 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    richtiger Abturn was aus Chakuza geworden ist, hatte eigentlich gehofft er würde nach Zodiak mal wieder etwas auf die Prollschiene zurückkehren und sich mehr an seinen alten Alben orientieren. Naja leider ein weiterer Rapper meiner Jugend der für mich gestorben ist.

  • Vor 10 Jahren

    Finde das Album nicht uebel, kommt zum aktuellen Berlinwetter gerade recht. Aber kann mich ganz gut mit vielem identifizieren, bin ja auch nur 2-3 Jahre oder was aelter als er. Fand den schon immer gut.

  • Vor 9 Jahren

    Finde das Album echt gut gemacht und besser als den Vorgänger. Die neue Band ist geil und diese depri-Songs sind definitiv Chaks Stärke. Könnte nur etwas abwechslungsreicher sein...