laut.de-Kritik
Mord und Totschlag, Lüge, Verrat und Gedöns. Geil!
Review von Alexander CordasDie Chancen, dass die Anime-Serie "Captain Future" auch in Deutschland ein Publikums-Hit würde, standen denkbar schlecht. Zum einen wendete sich das ZDF, in dem die Serie damals lief, an ein Kinder-Publikum. Schaut man sich die Folgen heute an, würde so manch ein Sittenwächter und ein nicht unerheblicher Teil der Propeller-Elternschaft einen mittelschweren Herzinfarkt bekommen. Mord und Totschlag, Lüge und Verrat bekamen die Kleinen damals im Vorabendprogramm geboten. Geil! Protestiert wurde damals zwar, geholfen hat es indes nichts. Gut so.
Zudem schnitten die Verantwortlichen die Original-Folgen derart zusammen, dass ganze Handlungsstränge aus dem Kontext flogen. Dass man in der Serie überhaupt eine zusammenhängende Geschichte verfolgen konnte, grenzt an ein Wunder. Den Arsch gerettet hat dem eigentlich unheilbar verhunzten Space-Kram aber der Soundtrack von Christian Bruhn.
Der Produzent und Musiker schneiderte dem Helden der Pulp-Romane von Edmond Hamilton einen Score auf den Leib, der zahllose Kinder und Jugendliche begeisterte. Auch über 30 Jahre, nachdem die erste Folge der Weltraum-Saga über die Bildschirme flimmerte, hat die Musik der Serie rein gar nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Christian Bruhn blickt mittlerweile auf ein beträchtliches Lebenswerk zurück. Neben den Schlager-Evergreens "Ein Bisschen Spaß Muss Sein" und "Marmor, Stein Und Eisen Bricht" gehen auch die Titel-Lieder von "Heidi" und "Wickie" auf sein Konto. Des Weiteren zeichnet er für diverse Serien-Soundtracks verantwortlich, unter anderem für "Sindbad", "Marco", "Timm Thaler" und "Silas", und auch in der Werbung hat er seine Spuren hinterlassen ("Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt", "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – LBS").
Im Gegensatz zu den antik anmutenden Bildern im 4:3-Format rettet sich Bruhns Musik scheinbar schwere- und mühelos in die Jetztzeit. Zu den unterschiedlichen Szenarien der Handlung schrieb er die passende Untermalung.
Da wären zum einen Intro und Outro, die die Tracklist wie eine Klammer umschließen. Das Intro stellt den unbesiegbaren Helden vor, der sich unermüdlich für Frieden und Gerechtigkeit im Weltall einsetzt. Grindene Keyoboard-Effekte untermalen stakkatohafte Klavier-Klänge, ehe Christian Bruhns Ehefrau Erika mit Elfengesang vom Planeten Megara die Szenerie bereichert. Bassist Günther Gebauer pumpt den Track dann mit einem funky Slap-Basslauf für die Space-Disco auf.
Gegen einen Superhelden, der so vorgestellt wird, hat keine böse Macht eine Chance. Das gleiche Thema, in abgespeckter Version und einen Halbton höher, markiert das Ende ("Auf Wiedersehen, Captain Future").
Bevor der Held aber wirklich in Aktion tritt, schwebt er mit seiner Mannschaft mit "Vor Dem Start" groovend in sein Raumschiff Comet ein. Ein Hybrid aus überdimensioniertem Vibrator und einem Apfelschäler, sieht trotzdem klasse aus. Die Truppe, die Future (wer hat schon so einen Nachnamen?) begleitet, besteht aus Professor Simon Wright (einem fliegenden Gehirn, wie geil ist das denn bitte?), Grag (einem Roboter) und dem Formwandler Otto. Daneben tauchen noch zwei Nervensägen auf. Ken, ein Blag, dem morgens bis abends der Arsch versohlt gehört, und die Klischee-Trulla Joan Landor. Beiden ist jeweils ein Track gewidmet. Letzterer eine Ballade voller sehnsüchtiger Klänge mit Keyboard-Orgeleien, die nach Future-Panflöte klingen. "El Condor Pasa", ick hör' dir trapsen. Ersterer darf sich eine recht flotte Jazz-Funk-Nummer ans Revers heften, obwohl er sie nicht verdient.
Der echte Star aber waren immer schon die Tracks, die Captain Future in Aktion beschrieben. "Feinde Greifen An"! Können sie gerne versuchen. Eine Chance haben sie sowieso nicht. Zumal dann nicht, wenn ihnen der Titelheld mit pumpendem Bass, Alarm-Sirenen und geschickt gesetzten Breaks entgegen tritt.
Nicht nur rhythmisch zieht Bruhn in seinem Score alle Register. Melodien wie die aus dem famosen "Hurra, Wir Fliegen" holt der gebürtige Norddeutsche immer dann aus dem Köcher, wenn triumphale Flugsequenzen anstehen. Einmal mehr glänzt Frau Bruhn mit himmlischem Gesang. Synth-Pluckereien und -Effekte setzt der Musiker immer recht akzentuiert ein. So vermeidet er es, dass der Soundtrack überladen klingt.
Neben actiongeladenen Untermalungen hat Bruhn diverse andere Tracks parat, mit denen er eine breite Palette an Stimmungen erzeugt. "Der Einsame König" driftet in melancholische Gefilde ab, "Planet Der Kranken" findet auch abseits von Siechtum immer dann Verwendung, wenn eine diffus gefährliche Situation eine akustische Begleitung erfordert.
"Eingeborene" bedient mit rhythmischem Trommelwerk und einer flötenden Keyboard-Melodie das Klischee vom Buschmann, "Fremde Schöne Landschaft" spricht und klingt für sich, und "Ein Trauriger Fall" bietet Raum für Captain Future, um sich als guter Kämpfer in Szene zu setzen, der in Wahrheit aber ein einsamer Space-Cowboy bleiben muss und der nie echte Bindungen zu seinen Mitstreitern aufbauen kann. Deshalb bleibt Joan Landors Werben um den smarten Typen auch (gottlob) vergeblich.
Bei der Wiederveröffentlichung des Soundtracks wurden drei Bonus-Songs draufgepackt. Unter anderem "Space-Wind", in dem Bruhn das Sowjet-Lied "Poljuschko Pole" eingebaut hat, Teil der Sinfonie "Die Ballade Vom Kämpfer-Komsomolzen" aus dem Jahr 1934. Da hat er ganze Arbeit geleistet, die Melodie bettet sich ganz vorzüglich in die Surfgitarren-Szenerie des Liedes ein. Was uns dann mit "In Einer Bar Auf Einem Anderen Stern" entgegen schallt, stammt ungefähr aus der gleichen Nonsens-Kiste wie die Beschallung mittels des "Cantina Themes" aus Star Wars, wo diverse nasenlose Nasenbären einen Ragtime zum Besten geben.
Wer sich die Mühe machen möchte, darf sich im Netz gerne nach den Titelmelodien umschauen, die Sender anderer Länder für die Serie benutzten. Im direkten Vergleich kackt wirklich jeder einzelne Versuch ab, den Space-Cowboy in adäquates Licht zu rücken. Der Japaner Ohno Yuji komponierte sich seinerzeit einen recht hübschen Jazz zusammen, der für sich genommen musikalisch hochwertig klingt, jedoch zu den Bildern der Serie passt wie Grindcore zu Tampon-Werbung.
Die Lobeshymnen, die sich Christian Bruhn seit 1980 anhören durfte, sind allesamt gerechtfertigt. Eigentlich ist es längst an der Zeit, die ganze Serie einem Rundum-Update zu unterziehen. Neue Animationen und die Vervollständigung der fehlenden Handlungs-Sequenzen wären wirklich nett. Nur eines braucht es ganz sicher nicht: einen neuen Soundtrack.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
15 Kommentare mit 13 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Ganz viel Liebe für Christian Bruhn und Captain Future. Bester Soundtrack wo gibt.
War ja klar, dass auch mal wieder so ein Unsinn kommen würde. Damit ist die a-ha Rezension nun als größter Makel der Meilenstein-Rubrik abgelöst.
feine greifen an!
... sollen sie mal probieren!
feinDe!
feine feinde?
Genialer Meilenstein, hab ich erst letzthin wieder im Ohr gehabt. Die fehlenden Sequenzen sollten definitiv ergänzt werden, aber die Animation zu überarbeiten könnte nach hinten losgehen. Der 70er Charme hat doch was!
Phänomenaler Meilenstein,
dank des genialen Soundtracks hat die Serie eine absolut geniale Atmosphäre. Höre mir selbst heute noch gelegentlich den Soundtrack an. Habe die Songs auch gefeiert, als diese im Vorprogramm neulich beim ZDF Neo Magazin im Studio von Jan Böhmermann gespielt wurden. Auch mich hat die Serie damals zum SciFi bekehrt
Wäre cool wenns mal davon nen neu aufgelegten Remix geben würde. Denke, er würde alle Guettas und Wankelmüter aus den Charts bomben.
Tipp: Schaut euch mal den Film "Interstellar 5555" an. Da haben Daft Punkt mit dem Captain-Future Zeichner ein Anime-Musical erstellt. Ebenfalls genial und absolut sehenswert.
Hab mir das aus Spaß an der Freude mal gegönnt und bin, obwohl Serienfremder, echt schwer angetan. Verspielt, melodiös, unprätentiös - jawollah.
So ein bisschen krankt zwar auch der hier an typischen Soundtrack-Problemchen - einen "Planet der Kranken" z.B. kann ich mir zum zugehörigen Track wunderbar vorstellen, dass ich den nochmal zu Ende höre eher nicht - aber das gleichen die vielen schmucken Melodien ("Space Wind"!!!) rundrum locker aus.
Unterm Strich 4 Dingsdas und die dringende Bitte, auch weiterhin immer mal wieder ein paar "Exoten" (najaa, aber ihr wisst schon, was ich meine) mit persönlichem Bezug des Autors hier vorzustellen.
Sind häufig die besten Rezis und bleiben (zumindest bei mir) auch eher kleben als das 100ste Must-have für den Kenner.