16. Mai 2022

"Die letzten Jahre waren der blanke Horror"

Interview geführt von

Cold Years kommen aus Schottland, machen rotzigen Alternativ-Rock mit leichtem Punk-Einschlag und sind mit ihrem zweiten Album ("Goodbye To Misery") im Gepäck bereit für die großen Stadien dieser Welt.

Genervt von einem Virus, das alles aufhält, und einer konservativen Landesführung hauen Cold Years mit ihrem zweiten Studioalbum "Goodbye To Misery" aber mal so richtig auf den Tisch. Nach Ansicht von Sänger Ross Gordon und Co. müssen all die düsteren Aussichten endlich mal wieder wenigstens für eine Albumlänge beiseitegeschoben werden. Kantiger Rock mit Punk-Einschüben und einer Prise Pop soll wieder etwas Licht ins Dunkel bringen. Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Albums der Schotten trafen wir uns mit dem Band-Chef zum Interview und plauderten über Hoffnung, neue Arbeitsweisen und intensive Glücksmomente.

Hi Ross, die Zeiten sind düster. Überall auf der Welt türmen sich Leid, Elend und Not. Was machen all die furchtbaren News mit einem Musiker, der sich eigentlich gerade nur darüber freuen möchte, dass er mit seiner Band ein neues Album am Start hat?"

Ross Gordon: Die ganze Scheiße da draußen drückt natürlich auf die Stimmung, keine Frage. Auf der anderen Seite ist das Album aber auch genau das, was wir momentan ganz dringend brauchen – nämlich ein Hauch von Hoffnung und Musik, die versucht, dagegen zu steuern. Im Moment scheint alles nur bergab zu gehen. Covid, Boris Johnson, der Ukraine-Krieg: Das alles liegt uns schwer auf den Schultern. Wir hoffen, dass unser neues Album einigen Menschen wieder etwas Hoffnung schenken kann.

Du selbst hast auch eine schwere Zeit hinter dir ...

Ja, in der Tat. Ich habe in den letzten Jahren viele Dinge verloren, die mir etwas bedeutet haben. Ich habe eine Partnerschaft beendet, ich musste den Job wechseln und ich habe ganz viel persönliche Freiheit eingebüßt. Das Letztgenannte hat natürlich auch Millionen andere Menschen getroffen, das ist mir schon bewusst. Aber es war wirklich eine harte Zeit, in der ich oftmals nur noch die Musik hatte. Mittlerweile geht es mir aber wieder etwas besser. Ich bin von Aberdeen nach Glasgow gezogen, ich habe eine neue Freundin, die ich sehr liebe und wir haben endlich dieses verdammte Album draußen. (lacht)

Wann genau habt ihr die Arbeit an diesem "verdammten" Album begonnen?

Das war eigentlich mehr oder weniger direkt nach der Veröffentlichung von unserem ersten Album "Paradise". Ich kann mich noch gut an einen Anruf von unserer Plattenfirma erinnern. Wir waren damals gerade in Deutschland unterwegs. Dann kam der Lockdown und man teilte uns via Telefon mit, dass wir nun wahrscheinlich zwei Jahre Zeit hätten. Diese sollten wir doch bitte für das Schreiben eines neuen Albums nutzen. (lacht) Zuerst waren wir natürlich nicht so begeistert, schließlich sind wir eine Live-Band. Aber die Tour war durch, keiner wusste, wann und wie es weitergeht. Also haben wir den Rat befolgt und uns hingesetzt. Das lief dann auch ziemlich zügig und ohne große Probleme.

"Die neuen Songs sind simpler und eingängiger"

Der Albumtitel stemmt sich gegen all den Frust dieser Tage. Wann kam euch dieser Titel in den Sinn?

Ich war damals während des ersten Lockdowns mit meinem Hund am Strand spazieren. Ich hörte Bad Religion, sah aufs Meer hinaus und dachte mir: Was für eine Scheiße ist das hier? Ich hatte meine Freunde, meine Freundin und meine Familie lange nicht mehr gesehen. Ich war wirklich nicht gut drauf. Dann hatte ich plötzlich diese Zeile vor Augen.

Wie ging dann der Produktionsprozess von statten? Wie herausfordernd war das Ganze für euch?

Naja, die Pandemie hat uns die Art und Weise des Arbeitens ja quasi aufgedrängt und aufgezwungen. Wir haben ein knappes halbes Jahr lang jeden Wochentag nach unseren Daily-Jobs die Computer angeschmissen und an unseren Ideen und Visionen gearbeitet. Am Wochenende haben wir meist die Vocals eingesungen. Dann haben wir das Ganze zusammen mit unserem Produzenten Neil Kennedy irgendwie über Zoom bearbeitet, ehe wir uns irgendwann in Southampton im Studio getroffen haben, um das Album final zu mischen und zu mastern. Für die Studioarbeit später war der Vorlauf via Zoom sehr hilfreich. So hatten wir schon eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was wir am Ende erreichen wollten. Im Studio hatten wir dann eine sehr entspannte und fokussierte Zeit.

Musikalisch habt ihr in allen Bereichen eine Schippe draufgelegt. Was war euch bezüglich des Sounds diesmal besonders wichtig?

Wie schon gesagt, wir fühlen uns auf der Bühne am wohlsten. Das ist unser Territorium. Wir wollten ein Album machen, das genau diese Haltung und die damit verbundenen Vibes innerhalb der Band perfekt und ungefiltert einfängt. Im Grunde haben wir alle Erwartungen und Vorstellung von außen aus unseren Köpfen verbannt. Dieses Album haben wir in erster Linie für uns geschrieben und produziert. Das ist genau die Musik, die uns antreibt und die uns am Leben hält.

Du hast vorhin erwähnt, dass du gerne mal mit der Musik von Bad Religion im Ohr spazieren gehst. Ist das eine Band, die dich auch fürs eigene Songwriting inspiriert und beeinflusst?

Ross: Absolut. Bad Religion habe ich schon als Kind abgefeiert. Ich hatte während des Lockdowns so viel Zeit. Die habe ich mit viel Musikhören verbracht. Ich habe unzählige Vinyls gekauft, mich wieder mit den Bands befasst, mit denen ich aufgewachsen bin und auch ganz viele neue Sachen entdeckt. Früher habe ich viel Bad Religion, The Clash, Ramones und NOFX gehört. Es war schön, all diese Erinnerungen wieder zu beleben. All diese Songs habe ich in Gedanken natürlich auch mit in den Songwritingprozess einbezogen, ganz klar. Ich finde auch, dass man das hier und dort auch raus hört. Die neuen Songs sind wesentlich simpler und auch eingängiger.

Ihr habt erneut mit Neil Kennedy als Produzent gearbeitet. Was ist das Besondere an Neil?

Neil ist unglaublich clever. Er weiß genau, was er will und er hat ein ausgeprägtes Gespür für gute Songs. Außerdem lebt er in Southampton, wo er auch sein Studio hat. Das ist vielleicht eine der schönsten Ecken in England. Im Sommer ist es dort schön warm, du hast das Meer vor der Tür und irgendwie ist alles immer ganz chillig. Ist es einfach schön, in dieser Atmosphäre zu arbeiten. Man hat nicht dieses Gefühl, dass man sich mit der Arbeit beschäftigt. Man lebt und genießt einfach. Das wirkt sich natürlich auch auf die Musik aus.

"Das Touren steht immer an erster Stelle"

Klingt wie ein Rock'n'Roll-Urlaub.

Ja, so war es auch. Wir haben tagsüber musiziert und uns nachts an einen großen Tisch gesetzt und zusammen gekocht und gelacht. Es war wirklich eine ganz unbeschwerte und unvergessliche Zeit.

Toppt so eine Phase manchmal auch die Zeit während einer Tournee?

Nein, das Touren steht immer an erster Stelle. Ich könnte mir kein Band-Leben ohne Konzerte vorstellen. Dieses Gefühl auf der Bühne, das ganze Adrenalin: Das ist mit nichts auf Welt zu vergleichen. Die letzten beiden Jahre waren wirklich der blanke Horror für mich. Ich bin so froh und glücklich, dass dieser Scheiß nun endlich ein Ende hat und wir wieder auf Tour gehen können. Mit der Band unterwegs sein, sich am Merch-Stand nach den Shows mit den Fans austauschen, Konzerte spielen: das ist mein Leben.

Wie wichtig ist es dabei, die richtigen Menschen um sich zu wissen? Was schätzt du an deinen Band-Kollegen am meisten?

Wir sind eine Einheit, in allen Belangen. Es geht ja nicht nur darum, dass man gemeinsam auf der Bühne funktionieren muss. Es geht auch um die Zeit davor und danach. Die meiste Zeit auf Tour verbringt man außerhalb von Clubs und Hallen. Dann ist es wichtig, dass man sich schätzt und vertraut. Die Freundschaft untereinander steht über allem. Das war schon immer so. Und das wird auch immer so bleiben.

Erinnerst du dich noch an den Moment, als die Musik das erste Mal in deinem Leben wichtig und präsent war?

Da war ich noch ganz klein. Ich saß bei meinem Vater im Auto, ich war noch sehr jung, vielleicht vier oder fünf. Wir hörten "Even Flow" von Pearl Jam. Mein Vater hat mir immer seine Lieblingsstücke vorgespielt. "Ten" war sein damals sein absolutes Lieblingsalbum. Ich erinnere mich auch an "Rebell Yell" von Billy Idol und an Songs von Dire Straits und The Police.

Hört ihr heute immer noch gemeinsam Musik?

Ja, das ist total verrückt. Es hat sich irgendwie nichts geändert. Wir sitzen manchmal draußen, trinken ein Glas Whiskey und hören uns alte Alben an. Das sind ganz wunderbare Momente für mich, die ich nicht missen möchte.

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