laut.de-Kritik
Viele Stars und mehr Tiefgang als gedacht.
Review von Philipp Kause"God Did" von DJ Khaled setzt weniger auf den gewohnten Trash-Trap, Pathos-Dancehall oder Seifenlaugen-Cloudrap, sondern auf twerky R'n'B und manch gut laufende Punchline-Steigerung. Dabei legt oft je ein Gast noch eine Schippe Flow auf die andere. Die Melodien springen einem recht überraschend ins Gesicht - womit nach den letzten Mixtapes kaum zu rechnen war.
"Fam Good, We Good ft. Gunna + Roddy Ricch" startet mit einem schnuckeligen Fanfaren-Sample. Und obwohl man nur auf diese einzige Idee baut und sich die Lyrics monoton im Kreis drehen, kommt bei den maschinellen Plumps-Beats Stimmung auf. An Content bietet die Atlanta-Connection jene alte Story auf, die meistens überzeugt: Einer aus dem Ghetto macht sich bewusst, "where I'm comin' from", und während er "my niggaz" befreit, fühlt er sich "standin' tall."
Die Hook "As long as the fam' good, we good" mausert sich in steter Wiederholung zur Mantra-Zeile, wobei Gunna "fam'" zu "found" vernuschelt. Statt ums Gefundene geht es viel mehr ums Verlorene, denn verlustig ging einst die Zukunftsperspektive, als die Mama daheim Dosenkost auftischen musste. "We was broke, now the fam good / In the hood eatin' canned goods." Heute hat man Status, Brands im Schrank und in der Garage, Fame und Influence. Zugleich spürt man die Ironie: Materielle Güter und Macht machen auf Dauer auch nicht glücklich, obwohl es in der Musik großteils nur noch darum geht, Ravioli und dicke Bohnen müssen so schlecht nicht sein.
In "Bills Paid ft. Latto + City Girls" bekommt die souveräne Alyssa Michelle Stephens a.k.a. Mulatto a.k.a. Latto angemessen viel Raum (ging ihr "Queen Of Da Souf" doch 2020 völlig zu Unrecht unter). Man muss Khaled lassen, dass er ein Händchen für Vocals hat und erkennt, welche kraftvoll spitten oder charmant schwirren - so können gar Females unter 30 bei ihm zu Stars reifen.
Kein Begriff dürften den meisten in Europa wohl die City Girls aus Miami sein. In den USA sind sie hingegen schon ein großes Ding und beeindrucken gar die Altherren-Rock-Presse. Caresha und Jatavia rappen sich zwischen den üblichen Klischees "curvy niggaz", "pussy juice", "big diamonds", Markennamen und dem Traum vom großen Palast konzentriert den Weg frei. Der Dollar wird in den Lyrics zum Sternzeichen. Ganz trocken auf dem Papier lesen sich Zeilen wie "My life is a movie" zwar fatal abgestanden. Was die Ladies auf dem fröhlich bouncenden Khaled aber stimmlich draufbrezeln, unterhält und groovt auf ganzer Linie.
Ein weiterer Pluspunkt neben Groove und Gästen, der für "God Did" spricht: Geschmackvoll ausgesucht, finden treffsicher Soul-, Funk- und Disco-Zitate ihren Platz. Das Eighties-Singalong "(My Girl Wants To) Party All The Time" von Rick James und Schauspieler Eddie Murphy für die Fortdauer eines ganzen Tracks unter einen ausgelassenen Rap zu legen, ist ein toller Einfall. Wenn sich die Migos-Verwandten dabei in "Party All The Time ft. Quavo + Takeoff" die Bälle zuspielen, steckt viel Fun drin. Nancy Grandquists christlichen Soul in "Grateful ft. Vory" zu nutzen, überrascht hinsichtlich der brokatenen Üppigkeit genauso wie aufgrund des Raritäten-Status.
Die mehrminütige "Jadakiss Interlude" dient zu mehr als nur einer Überleitung. Es markiert eine Programmansage, signalisiert: Hier rotiert ein Eastcoast-Mixtape. Das Star-Aufgebot auf "God Did" jubelt dermaßen oft Lobpreisungen der Miami-NYC-Connection unter, als würde der DJ von den Tourismuszentralen dieser Metropolen gesponsert. James Browns "Down And Out In New York City" läuft in der "Jadakiss Interlude ft. Jadakiss" als Basis-Sample, während der Rapper an lieb gewonnene Kollegen erinnert: DMX (gestorben 2021), an Mobb Deeps Prodigy (erstickt an einem Ei, 2017), an Big Pun (gestorben 2000) und Notorious B.I.G. (erschossen 1997) - alles local heroes mit internationaler Strahlkraft. Der Funkrock-Crossover in dieser "Jadakiss Interlude" knüpft an alte Ruhmestaten von Cameo und den - wiederum New Yorker - Boogie Down Productions an, blendet dabei aber alle Bässe aus.
"Way Past Luck ft. 21 Savage" groovt auf einer 50 Jahre alten, Kenner-Soul-Rarität, Barbara Jean English, "All This" - die männlichen Background-Vocals des Originals sind auf High Speed im Donald Duck-Quäk-Stil gesampelt. In der melancholischen Ballade erzählt 21 Savage in einem surreal verschwommenen, inneren Monolog von Vertrauen, Privatem, Freundschaften und vom Musikbusiness - ein Highlight an Emotion, Flow, konzentrierter Ruhe und Stimmigkeit zwischen Melodie und Rap. Bei dieser Inventur der eigenen sozialen Identität kommt heraus, dass er ein rastloses Arbeitstier, ein "hustler" ist, der nie genug materielle Absicherung und Selbstvergewisserung bekommen kann und immer mehr braucht.
Schön fühlt sich hier insbesondere das gleichmütige Anhalten der Zeit an, das im Videoclip seinen optischen Ausdruck findet. Das relativ kurze Lied verabschiedet sich zu früh. Wer noch nie einen Khaled-Track erlebt hat, den man weiter hören und nicht loslassen will, sollte "Way Past Luck" ausprobieren.
Sowohl 21 Savage als auch Roddy Ricch mischen im aufgewühlten "Keep Going" mit, in dem Beat-Härtegrad und Spit-Vehemenz perfekt miteinander einhergehen. Das melodramatische und zarte "Let's Pray ft. Don Toliver + Travis Scott" ist ebenfalls leider geil. Selbst dann, wenn man diese Zeitgeist-Trapbeats ablehnt, muss man den Stimmen und den Beats Feingefühl attestieren, sodass für die an dieser Stelle alljährlich üblichen Verrisse wenig Anhaltspunkte übrig bleiben. bei den starken Tunes überzeugt auch der Beziehungs-Track "Beautiful" mit SZA, Future und gut programmierten Bässen.
Das stringente und ebenfalls sauber produzierte "It Ain't Safe ft. Nardo Wick + Kodak Black" erweist sich als klassische Gut-Böse-Story mit Nardo Wick als Mädchen beeindruckendem Statussymbol-Jäger und Kodak Black als Vertreter der Motorrad fahrenden Drogengang mit Grillz überm Gebiss, dessen Metallzähne ihn noch erstickter als sonst klingen lassen. Wobei man die Worte klar versteht: Wir werden dir die Kehle durchsäbeln, wenn du nicht spurst.
An der Stelle sei erwähnt, dass sich Jay-Z und Meek Mill Anfang des Jahres für ein Gesetz auf New Yorker Ebene einsetzten, das Morde, die in Rap-Songs dargestellt werden, nicht als Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen herangezogen werden dürfen und grundsätzlich der Annahme der Fiktion unterliegen. Mittlerweile haben sich Jay-Zs Roc Nation-Label und Rapper Meek getrennt, und darum geht es off topic in einer Line im Titelsong "God Did ft. Rick Ross, Lil Wayne, Jay-Z, John Legend, Fridayy" ("Me and Meek could never beef / I freed that nigga from a whole bid").
Der Tune setzt viel Insiderwissen voraus. Stammgast Jay-Z hakt sich jedes Mal auf diesen Compilations bei Label-Homie Khaled Khaled a.k.a. DJ Khaled unter. Nun fügt die Rap-Ikone - anders als üblich - keine nebenbei gerappte pflichtschuldige Namedrop-Zeilen ein, sondern einen ziemlich langen, vielschichtigen Part. Darin rechnet der New Yorker mit der Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte in seiner Metropole ab und bewertet den Staat trotz "drakonischer" Gesetze als hilflos. Wer Rauschmittel dealen will, findet Bezugsquellen und Versorgungswege, etwa für Fentanyl, eine aus aufgeschnittenen Schmerztherapiepflastern ausgepresste, starke Betäubungssubstanz, und "The shit is all legitimate".
Demgegenüber, wie sich erheblich härtere Drogen ihren Weg durch den Underground bahnen, lacht Jay-Z sarkastisch über die lange währende Kriminalisierung von Cannabis und tunkt Kokain in seinen Champagner: "Now the weed in stores, can you believe this, Ty?" Er rappt in Richtung Gesetzgeber: "For those who make the laws / I always have a smoke for them / I got lawyers like shooters".
Die Haltung des Tunes - oder eher von Jay-Zs Anteil daran - nimmt diesen ganz gewissen 'Wir-fühlen-uns-als-self-fulfilling-prophecy-Loser-stigmatisiert' Blickwinkel ein: Keiner hat an uns geglaubt, heute haben wirs allen Hatern gezeigt und sind Billionäre, namentlich drei, wie er aufzählt, Kanye, Rihanna und er: "They wanted us down / But look at us now / They counted us out / They didn't think that we would make it / They didn't believe in us". Die klassische alte Erzählung punktet zwar nicht mit dem neuem Esprit, wohl aber spickt der 52-Jährige sie mit Abkürzungen, Bildern, Referenzen, Insider-Wortwitzen, Bibel-Anspielungen und multiplen Bedeutungen auf metaphorischer und direkter Ebene. Und driftet es zu wild ab, bremst der RocNation-Overhead sich selbst: "(Haha) that's another topic!"
Wenn er Frau Fenty (Rihanna) mit Fentanyl in einer Zeile kreuzt, zählt das wohl zu seinen leichtesten Übungen. Statements wie "Somehow, I'll out-fox every box / they'll try to throw me in / with great ceremony" haben sich auch inhaltlich gewaschen. Die Schwäche des Titeltracks liegt in der kitschigen Verpackung: John Legends Rolle beschränkt sich auf die eines Chorknaben. Er trällert gospeligen Background in Hook und Outro. Auch der Anteil von Rick Ross kommt über Versatzstücke ("Lord forgive me, I'm a sinner", "Better listen when I tell you") in seinem sehr kurzen Abschnitt nicht hinaus, bis er mit Legend Seite an Seite säuselt.
Dass der "Use This Gospel Remix ft. Kanye West, Eminem, prod. by Dr. Dre + ICU" keine organische Produktion für dieses Tape ist, sondern nach zwei Jahren der Moment, in dem Kanye endlich einen Remix aus seinem geplanten "Jesus Is King II" zum offiziellen Release freigibt - das tut der Qualität des Tracks keinerlei Abbruch. Produziert hat lediglich eben nicht DJ Khaled, sondern Dr. Dre.
Selbst auf dem einzigen Dancehall-Beitrag mag man Geschlechtsteil-Experte Skillibeng genauso wie seine Elders und Vorbilder Buju, Capleton, Bounty Killer und Sizzla aus diversen ethischen Gründen radikal ablehnen. Hier marschiert gleich eine Armada an Bad Boys auf, oft der Homophobie bezichtigt, zu Recht oder Unrecht, mindestens einer wohl mit stichfesten Belegen. Khaled mimt die Resterampe für solche Veteranen, die in manchen Ländern sicher niemand mehr bucht. Allerdings gab es anno 2022 noch keinen Dancehall-Track, der so viel Energie versprüht.
Die Reihenfolge im Track: Der Jüngste macht die erste Strophe, Buju den Chorus. Strophe Zwo röchelt der Fyaaaaman Capleton, seines Zeichens ein Artist, der mit Sturheit und brutalen Zeilen viel in der Szene kaputt gemacht hat, und das Image von Reggae und Dancehall ruinierte. Er äußert das Übliche, Satan müsse brennen, Babylon betreibe moderne Sklaverei.
Der Clou: Trotzdem läuft der energisch peitschende Riddim wie geölt. Das Posse Cut-Prinzip auf den Dancehall zu übertragen, hat in den letzten Jahren an Routine gewonnen, und so teilen sich die fünf Schreihälse die Jobs sinnvoll auf und halten die Spannung aufrecht. Bountys Zeile "Buss head like condom, all blood a leak out 'pon them glock" Wort für Wort zu übersetzen, ist schwierig - grob gesagt, hat der böse Betreiber des kapitalistischen Unterdrückungssystems wohl einen Kopf wie ein Kondom, und mit einer Schusswaffe kann man ihm das dort gestaute Blut rausschießen.
Weniger verschwörungstheoretisch äußert sich Sizzla, dessen momentaner Status in der Slackness-Debatte eher ungeklärt ist; etliches von ihm steht in Deutschland auf dem Index des Verfassungsschutzes. Er toastet donnernd (und im atemberaubend geschnittenen Video zappelnd) gegen Korruption an.
Die fragwürdigen Biographien besagter Akteure in diesem einzelnen Song und die minimalen Schwächen in ein paar anderen reichen indes dafür aus, um "God Did" wegen des grenzwertig telegen tanzenden Gastgebers zu verspotten. Doch, ja, man kann es ruhig zugeben: Das gesamte Ding ist einfach musikalisch und in Teilen sogar lyrisch sehr gut.
11 Kommentare mit 14 Antworten
Witz des jahres, hoffe ich.
Dieser Fake-Bart ist einfach zu geil.
Album werde ich natürlich nicht hören, kann mir das Gequäke nicht geben...
4 Sterne für ein DJ Khaled Album und das nicht von YK? Da muss ich mal reinhören. Würde mir schon wünschen dass der gute Musik macht. Ich mag den nämlich. Klar sein Geheule wegen der Nr.1 von Tyler war lächerlich. Aber der ist einfach ein witziger Typ. Ob es nun unfreiwillig geschieht ist mir da egal. Alleine sein nächtlicher Ausflug auf dem Jetski ist so viel besser als der Scheiss den 1000000 andere Promis (ich wollte erst Musiker schreiben) posten. Bin gespannt.
Sorry, das hab ich nicht mitbekommen, wieso hat der geheult ? Weil ein Album von Tyler, the Creator über seinen war oder was ?
Er hat gesagt, dass er Musik macht die Leute überall hören und keinen "Mysterious Shit". Was ja auch bezeichnend ist für sein musikalisches Verständnis, dass er Musik die ein bisschen anspruchsvoller ist als seine, gleich mysteriös findet... Ich denke mal Kendrick wäre für ihn dann das Werk eines bösen Zauberers!
Er denkt halt von sich selber, er ist der coolste Dude… Denken Kanye oder Drake aber auch…
Bin ja kein übertriebener YE Fan, aber allein ihn in einem Atemzug mit diesem Sprühhaar-Trottel zu nennen ist echt Blasphemie.
Kanyes Instagram ist im Moment sehr interessant. "I know youre sitting on the Toilet while texting this". Der scheisst! Gerade auf alles!
@Der Weise Hai: naja er ist aber auch auf dem Album vertreten Also arbeitet er sogar mit ihm…
hab das album aus diesem grund bis dato nicht gehört, um ihn nicht auf die 1 zu pushen. hat ja leider nichts bewirkt
Ey... WAS!? Leude? 4 Punkte? Come on! Never!
Verdiente 4/5. Khaled bester DJ alive.
Quark, Johnny
werde mir das album niemals auf ernst durchhören können. ich wünschte big pun würde noch leben und würde ihm einen big clap geben, sodass er mal ein wenig bodenständiger wird.
über die producerfähigkeiten auf dem track mit hova, rozzay john legend und lil wayne war ich aber mehr als positiv überrascht. eine solche platte von ihm mit durchweg ernstzunehmenden künstlern, ohne dj khaled floskeln am anfang, würde ich mir gerne anhören