laut.de-Kritik
Zwischen Unterleibsrotation und Hirnkrampf.
Review von Daniel StraubRhythmus und Wissenschaft? Das geht in meinem Kopf zunächst einmal gar nicht zusammen. Rhythmus kommt seit Alters her aus dem Unterleib und ist, seit unsere Vorfahren begonnen haben, mit Holzstöcken auf Baumstämmen rumzuklopfen, auch für selbigen konzipiert.
Nun erleben wir seit mehr als einem Jahrhundert den Boom der Wissenschaften. Alles wird analysiert, kategorisiert und mit viel Logik durchtränkt. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die Verwissenschaftlichung auch vor so altehrwürdigen Institutionen wie dem Rhythmus nicht mehr halt machen würde.
Mit Paul D. Miller aka DJ Spooky aka That Subliminal Kid vermittelt eine kompetente Fachkraft zwischen Unterleib und Gehirn. Dass er sehr wohl weiß, was die Hüften zum Kreisen bringt, hat DJ Spooky unzählige Male unter Beweis gestellt. Es seien hier nur seine Alben "Dubtometry" und "Songs Of A Dead Dreamer" erwähnt, ganz abgesehen von seinen beeindruckenden Skillz an den Turntables.
Doch auch die geistige Auseinandersetzung mit dem, was er mit flinken Fingern zusammen mixt, ist DJ Spooky nicht fremd. Postmoderne Zitathaftigkeit, der Mix als zeitgenössische Form der Kollage, die Theorien der klassischen Avantgarden, das alles geht dem Dozenten Paul Miller locker über die Lippen.
So war es eine große Freude für Spooky, als ihn das belgische Label Sub Rosa in die firmeneigenen Archive einlud, wo sich über die Jahre allerlei Interessantes und Geschichtsträchtiges angesammelt hatte. Ende der 80er machten sich die Belgier mit Releases von Laibach, Controlled Bleeding sowie der Samplerreihe Myth, auf der sich Tracks von SPK, Current 93 oder Coil fanden, einen Namen in der Industrial-Szene. Einem experimentellen Verständnis von Musik blieb man auch später mit Veröffentlichungen von Bill Laswell oder Scanner treu.
Diesen Traditionsstrang führt DJ Spooky mit "Rhythm Science" fort. In seiner knapp 80-minütigen Klangkollage verbindet er Musik aus dem Sub Rosa Archiv mit allerlei Textfragmenten klassischer Avantgardekünstler. Das Ergebnis ist ein über weite Strecken 'unerhörter' Mix, bei dem zusammengedacht wird, was bisher in keinem Zusammenhang stand. James Joyce liest mit stark irischem Akzent aus "Finnegans Wake", begleitet vom Elektro-Geblubber des Berliner Multimedia-Projekts Oval, das sich in der Folge auch prima mit Marcel Duchamps "Some Texts From 'A L'Infinitif'" verträgt.
Musik und Text befruchten sich hier gegenseitig und tauschen dabei immer wieder die Rollen. Mal funktioniert Musik wie Sprache. Zum Beispiel, wenn Markus Popp aka Oval mit seinen durchkonzeptionierten Tracks eine eigenen Welt aus Gegenstand und Bedeutung oder Signifikat und Signifikant, um Begriffe aus der Sprachwissenschaft zu benutzen, etabliert. Mal schlüpft die Sprache in die Rolle der Musik, wie bei Kurt Schwitters, dem deutschen Avantgardekünstler der 20er Jahre, der mit den Lautmalereien seiner Ursonate das traditionelle Sprachverständnis weit hinter sich lässt.
Klar, dass bei einer solch intellektuellen Herangehensweise mit Dutzenden von Referenzen und Querverweisen die Zuhörer bis zur Erschöpfung gefordert werden. Das macht "Rhythm Science" mit zunehmender Dauer anstrengend, vorausgesetzt, man will das diskursive Hin und Her aufmerksam mitverfolgen. Das schöne an "Rhythm Science" ist: niemand zwingt einen dazu. Man kann sich genauso gut in seinem Sessel zurücklehnen und sich am Spiel der unterschiedlichen Tonquellen erfreuen, ohne einem Hirnkrampf zu erliegen.
Noch keine Kommentare