laut.de-Kritik

Das Ende einer Ära.

Review von

Das Debüt von Danzig ist zwar zweifelsfrei ein Meilenstein, jedoch nicht ihr bestes Album. Dieser Titel bleibt dem vor genau 30 Jahren erschienenen "4P" (aka "Danzig 4", "Danzig 4ᴾ" oder "Danzig 4p" aber niemals "IV"!) vorbehalten, dem letzten Album der Band mit Rick Rubin und einem, bei dem Glenn Danzig die Zügel mehr übernahm, samt Co-Produzentenrolle.

Gerade angesichts der Schandtaten des nach dem unterschätzten "Circle Of Snakes" seit nunmehr 20 Jahren scheinbar komplett geschmacksverirrten Glenn, bei dem man manchmal erwartet, dass er sich die versteckte Kamera aus dem Arsch zöge, ist es wichtig, sich klarzumachen, wie unverschämt gut das Quartett der ersten vier Alben war. Das erschien alles andere als ausgemacht: Die Misfits sind, nüchtern betrachtet, eher cool als gut, Samhain ließ zumindest aufblitzen, was da kommen könnte, und dann kitzelte der Rubin aus dieser Kombo einen Blues-Rock heraus, den es so seitdem nie wieder zu hören gab.

Das erste Album war eine bluesige Überraschung sondergleichen, mit ihren dunklen, sehnsüchtigen Motiven, "Lucifuge" ein Doubling-Down auf die dunkle Seite des Blues und "How The Gods Kill" das definitive Hard Rock-Bluesrock-Amalgam. Die Chuzpe, die Kaltschnäuzigkeit im Wissen um das eigene Können, unterscheidet "4P" primär von den ersten drei Alben, die alle ihre Meilenstein-Würdigung verdient hätten. Das mag etwas heißen, für eine Band, die gefühlt mit Alter-Mann-Hoden auf die Welt gekommen ist.

Auf "4P" aber gingen Dinge, die vorher eben nicht gingen. Das gilt auch für eine Veränderung des Sounds. Die beginnt mit dem Opener: Das punkige "Brand New God" rangiert mindestens unter den Top drei der Band. Die Struktur ist so wahnsinnig gut, der Song wäre auch noch der Hammer, gesungen einer Fünfjährigen und begleitet von einer Melodica.

"4P" markiert über Rubin hinaus eine Zäsur in der Bandgeschichte. Von, Biscuits und Christ verließen kurz danach die Formation. Bei den letzteren beiden sollte es (fast) das letzte bleiben, das man von ihnen hörte, eine Tragödie für jeden Musikliebhaber. Warum das so ist, demonstriert unter anderem "Bringer Of Death": die perfekte Balance zwischen Tempo, Tiefe und Aggressivität. "4P" erscheint weniger homogen als die vorherigen Alben. Das zeigt schon die Hitsingle "Cantspeak": Der kommerziell zweiterfolgreichste Song der Bandgeschichte ist in Fankreisen teils verhasst ob seiner blasphemischen Effekte auf Glenns Engelsstimme, seiner fürchterlich arroganten Neigung, das Duett Biscuits-Glenn ein klein wenig off zu tanzen, und der repetitiven Wellen, auf die Christ dieses verquere absolute Mörderstück bettet.

"Sadistikal" ist einer der erste Ausflüge Glenns in Richtung Industrial, den Bluesfaktor schraubt er generell ein klein wenig zurück. Erstens bleibt er gleichwohl immer noch im schlumpfig-blauen Bereich, zweitens geht diese Änderung nicht, wie bei späteren Werken, zulasten von Glenns Rolle als Sänger. Der ekstatische Schlusspart des großartigen, kitischigen, trotzigen, pubertierenden "Until You Call On The Dark" gilt als eine der besten Leistungen seiner Karriere. Drittens umfasst dieser Deal mit dem Teufel auch ein Mehr an Struktur im Sound und Freiheit für alle Beteiligten.

Insgesamt tritt John Christ in seiner auf dem Vorgänger noch dominanten Rifffront etwas zurück, muss weniger Verantwortung für den Groove schultern und nutzt das genüsslich aus. Das ganze Album wirkt mehr wie Kunst und weniger wie ein Jam. Dabei kommt es mit seiner tollen Balance mehr denn je wie ein Bandalbum rüber, auch wenn Glenn weiterhin der Songwriter bleibt.

Bei "Let It Be Captured" versteht man das am besten. So viel Zeit für einen Aufbau hätte sich die Band früher einfach nicht gegönnt, so konsequent hätte sie keine Idee großgezogen, und wenn Christ die Bühne betritt, vergießt man eine Träne beim Bestaunen solcher Schönheit. Der "Stalker Song" verweist am deutlichsten auf circa das zweite Album und gerät in einer fast perfekten Reihe zum nur sehr guten, da ein wenig vorhersehbaren Stück. Das passt nicht zur Unbedingtheit, mit der die Band Songs wie "Dominion" wie selbstverständlich anlegt und auf allen Abzweigungen die richtige Entscheidung trifft, bis zum Schluss ein Hardrock-Donnerwetter allererster Güte mit Blues-Fundament steht.

Dazu speit Glenn, wie auf dem ganzen Album, wenig Satanisches, dafür sehr viel Verletztes: "See how love unholy lies." Fast alle der Tracks wirken wie eine Sekunde nach einer ganz üblen Trennung geschrieben, es wird gekeift, verflucht, selbstgegeißelt, gewütet gegen sich und diese eine. Das brachte dem Album eine Charakterisierung als "dunkel" ein. Im Gegensatz zur Musik wirken die Lyrics aber keinesfalls bewusst konstruiert, sondern mit großer Dringlichkeit ausgespuckt, mit allen unmittelbaren Unzulänglichkeiten, Sprachlosigkeit ("Cantspeak"), Hilflosigkeit ob des Fatalismus des Gegenübers ("Going Down To Die", "Until You Call On The Dark", "Bringer Of Death"), Trotz ("Son Of The Morning Star": "Do I need thoughts so cold?"), Rachephantasien (wieder "Dominion": "'Cause if the heart is dead / I can take your soul", "Brand New God": "Woah, it ain't so lonely / Oh, without your heart", der sprichwörtliche "Stalker Song") und schließlich sogar das Ausmalen einer Reunion ( "I Don't Mind The Pain": "Will I come to you again? Remember that I don't mind the pain").

Was wurde sich über "Sadistikal" lustig gemacht, mit seinen Tribal Drums, der ewig knallenden Peitsche und Danzigs Lautgesang. Aber hört die Scheiße mal im Keller mit Licht-aus, mich fröstelt es dabei schon, wenn ich mit Kopfhörern auf der Couch liege. Danzig versucht nicht nur hart, gruselig zu klingen, er klingt einfach gruselig. Bei "Little Whip" besteht akute Schwängerungsgefahr, einen sleazieren Song, der nichts als pure Lust verkörpert, wird man schwerlich finden.

Diesen millimeterdünnen Grat wandern Danzig auf "4P" ab, ohne mit der Wimper zu zucken, und es gelingt ihnen einfach alles. Pathos statt Kitsch, Sex statt Notgeilheit, Groove statt Stillstand im eigenen Bluesrock. Sprechen wir endlich über "Son Of The Morning Star": Wie cool klingt dieses aufschäumende Stück Selbstbehauptung, wenn Glenn gegen Christs Gitarre ansingt, und wie findet sich alles, das "4P" ausmacht, in diesem säuberlich konstruierten Song. Nie nimmt er die einfache Route, sondern zieht seine Kraft aus seiner, oberflächlich betrachtet, ungelenken Verrenkung.

Der Titel, den Glenn gar nicht wollte, weil das Artwork für sich stehen sollte - an optischer Geschmacksverirrung litt der Verotika-Knilch halt schon immer - bezieht sich auf das Four Pi Movement, eine historisch ziemlich irrelevante satanistisch/neo-gnostische Gruppierung. Dazu passt der Closer "Invocation". Da betet der Barde dann endlich einmal Satan direkt an, in Form eines Warngedichtes, das ein Großteil der Fangemeinde mit Inbrunst hasst, aufgrund des wunderschönen schrägen Gesangs aller Bandmitglieder über eine Orgel, für die John Maynard Keynes töten würde. Warte, betet der wirklich? "Beware that you don't pleasure one", warnt er vor Dämonen, und am Ende kriegt doch die Alte noch einmal ihr Fett ab.

"4P" zeigt: Nicht alle Kinder kommen im Erwachsenenleben zurecht, aber Rick Rubin tat wirklich alles, damit Glenn die besten Voraussetzungen bekam. Vielleicht hat Evil Elvis seine Nummer ja noch.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Brand New God
  2. 2. Little Whip
  3. 3. Cantspeak
  4. 4. Going Down To Die
  5. 5. Until You Call On The Dark
  6. 6. Dominion
  7. 7. Bringer Of Death
  8. 8. Sadistikal
  9. 9. Son Of The Morning Star
  10. 10. I Don't Mind The Pain
  11. 11. Stalker Song
  12. 12. Let It Be Captured
  13. 13. Invocation

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