laut.de-Kritik

Das Album nach der Ego-Therapie.

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Vier Jahre ist das jetzt schon wieder her, seit Dave Gahan sein Solodebüt "Paper Monsters" veröffentlichte. Eine für ihn, seine Hauptband und Teile der Musikpresse unvergessene Ego-Therapie.

Ständig hatte der Sänger seinerzeit zu kämpfen, auf der Bühne gegen die Songs von Martin Gore, abseits der Bühne gegen die als Journalisten getarnten Martin Gore-Fans. Doch Zeit heilt alle Wunden: Zwischen damals und heute liegt das erste Depeche Mode-Album, an dem sich Gahan als aktiver Songwriter beteiligte. Und was ihm bis dahin kaum jemand zugetraut hatte: Er schrieb für "Playing The Angel" mitunter bessere Songs als Gore.

Und genau hier macht Gahan weiter. Der ätherische Opener "Saw Something" beginnt reduziert mit minimalen Beats und bekommt alsbald Gesellschaft von einer gesampleten Soundschleife. Hoppla, klingt ja beinahe wie ein "Exciter"-Track. Ein schönes Cello-Arrangement und das pointierte Gitarrensolo runden den perfekten Auftritt ab.

An den Mollakkorden hängen derweil (mal wieder) Zentnerlasten und künden (mal wieder) von einem echten Seelenstriptease. Ein Versprechen, das Gahan prompt einlöst: "After the storm / Had passed / I wondered how long / The break in the clouds would last." Hier geht's also nicht etwa um Hurricane Katrina, sondern um all die Themen, die Depeche Mode bereits Anfang der 90er im Pop etablierten.

Nah am Phrasenwasser gebaut war Gahan allerdings schon 2003, und stellenweise gibt's auch auf "Hourglass" manch heiklen Moment zu überstehen. Etwa wenn er in "Deeper And Deeper" wieder und wieder vermeldet: "I wanna love you / I wanna love you / I want your love". Oder Zeilen ersinnt wie "Watching the hourglass / On that night / We touched the stars / And reached the moon", die in dieser Form eigentlich auch einer Aguilera-Ballade entnommen sein könnten.

Apropos Albumtitel: Schon im Vorfeld erahnt man, von welcher Art die Gefühle und Ängste sind, an denen uns Gahan diesmal teilhaben lässt. Die Sanduhr als Metapher für den Zeitbegriff, als unbarmherziger Reflektor der eigenen Vergänglichkeit, des eigenen Scheiterns womöglich, der eigenen Existenz. So weit, so plakativ.

Zum Thema Zeit muss aber auch angemerkt werden, dass Gahan überraschend schnell zu Potte gekommen ist. Nach eigener Aussage war ein Album zunächst gar nicht geplant, als plötzlich ein Haufen Songs vor dem Trio Gahan, Andrew Phillpott und Christian Eigner lag. Letztere vertätigen sich hauptberuflich als Programmierer und Drummer im Depeche Mode-Tourtross. Songs, die es 2005 nicht auf "Playing The Angel" schafften, wurden gleich ganz weg gelassen.

Mit "Kingdom" legt Gahan im Stil seiner Hauptband die Nummer Sicher-Single vor. Trademark-Sounds, treibender Sequencer, sägende Gitarren, Strophen mit hohem und eine Hookline mit noch höherem Wiedererkennungswert. Nach diesem Muster hat Gore auch "Precious" komponiert. Leider fehlt hüben wie drüben der finale Kick.

Ganz anders "21 Days": Über einen schleppenden Grundbeat purzeln gesamplete Gitarrenfeedbacks und Störgeräusche - da hat der gute Phillpott sicher ein paar Nachtschichten am Rechner geschoben. Gahan selbst beeindruckt derweil mit erdiger Performance in den Strophen und experimentiert im Refrain textfrei allein mit seiner Stimme. Davon hätte man gerne mehr gehört.

Auch im bereits erwähnten "Deeper And Deeper" setzt er zu einem peitschenden Percussion-Beat herkömmliche Popsong-Schemata außer Kraft. Nach gutem Beginn vermag der Refrain das Versprechen des Distortion-Kickstarts allerdings nicht einzulösen, was auch den äußerst fragwürdigen und an keiner Stelle ironisch gebrochenen Macho-Lyrics von Bondage-Dave geschuldet ist. Besser funktioniert es bei "Use You", so gut wie sicher die nächste Single und einer dieser noisigen Rock-Brocken im Stile von "Bottle Living"... singt da etwa Martin im Hintergrund? Nur Spaß.

Mit reinen Balladen tut sich Gahan nach wie vor schwer. Stets schwingt dort eine flüchtige Beiläufigkeit mit, eine überflüssige Trägheit. "Miracles" etwa ist solch ein Moment, ebenso "Endless", das damit aber wenigstens seinem Titel alle Ehre macht - während ziellos wabernde Synthie-Spuren in "Insoluble" jeden tieferen Sinn geschickt verhüllen.

Im Lichte der Erfahrung von zwölf Studioalben (und 26 Berufsjahren im Dienste staatstragender Melancholie) lässt Dave dann "Little Lie" von der Leine, ein hallgetränktes 80er-Gothic-Pop-Konstrukt, das gar die alten Hansa Studio-Zeiten anklingen lässt. Herrschaftszeiten, die 80er waren schon geil.

Mit "Down", einem von der Gesangslinie leicht an Radioheads "Creep" erinnernden, äh, Downer, beendet Gahan seine insgesamt ansprechende Vorstellung. Fürwahr, er ist "nicht nur Martin Gores Marionette", der gute Dave. Vielmehr hat er seinem Kompagnon anscheinend jahrelang genau auf die Finger geschielt, um dem Passionsbegriff von Depeche Mode mit eigenen Songs neue Facetten hinzuzufügen. Mittlerweile profitieren davon alle Parteien.

Trackliste

  1. 1. Saw Something
  2. 2. Kingdom
  3. 3. Deeper and Deeper
  4. 4. 21 Days
  5. 5. Miracles
  6. 6. Use You
  7. 7. Insoluble
  8. 8. Endless
  9. 9. Little Lie
  10. 10. Down

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