laut.de-Kritik
David Bowies Entdeckung der "Krauts": Eine musikalische Zäsur.
Review von Ulf Kubanke"Sula vie dilejo. Solo vie milejo!" Warschau, April 1976. Der wenig gemütliche Zug von Zürich nach Moskau hält eine Weile in der noch unwirtlicheren Hauptstadt des sozialistischen Polens. Ein uns bekannter Londoner samt Kumpel Iggy Pop stapft tief beeindruckt durch eine Stadt voller Bombenkrater, Einschusslöcher und Kohlesmog. Ein Trip inmitten der "Low"-Sessions, der sich lohnen sollte. Derweil saß der andere Kumpel Brian Eno allein zu Haus und ersann die Grundmelodie von "Warszawa".
Jene dunkle, stoische Verzweiflung des Ostblocks sah David Bowie eins zu eins in den Ideen des früheren Roxy Music-Vaters wider gespiegelt. Hochinspiriert fügte er die schmerzerfüllten Vocals plus ein in Warschau kennengelerntes schlesisches Folkstück in Auszügen hinzu. Eno erwähnte erst später, dass das Grundthema des Liedes maßgeblich mittels Hilfe des vierjährigen Sohnes von Produzent Tony Visconti entstand. Als Eno auf das Kind aufpasste, setzte es sich ans Piano und loopte konstant A, B und C. Hierdurch, so heißt es, überkam Onkel Brian erst die Inspiration.
Eine von unzähligen, meist launigen Anekdoten über eines der finstersten Alben der Musikgeschichte. Ein Album, geprägt vom Leiden des entziehenden Kokain-Junkies Bowie. Eines, über das man Dissertationen schrieb; Phillip Glass sogar eine komplette Sinfonie. Dazu ein musikalischer Schnitt in David Bowies Karriere, wie es ihn weder vorher noch hinterher gab. Sehr viel Superlative für noch nicht einmal 40 Minuten Spielzeit. Gleichwohl berechtigt.
Mit dieser LP entdeckt er die Krauts samt ihrer Elektronika. Mit ein wenig Kraftwerk, deutlich mehr Neu! und La Düsseldorf sowie der gesamten Düsseldorfer Schule als Vorbild klingt der Thin White Duke dann endlich so "Weimarer Republic", wie er seit der vergangenen Station To Station-Tour bereits aussieht und sich gelegentlich auch präsentiert.
Denn obwohl sich mit Eno und Bowie hier zwei Taufpaten von Make Up und Glamrock treffen: Die Schallplatte ist das komplette Gegenteil des zumindest damaligen Medienbildes beider Künstler. Doch Enos Halsband samt Federboa sind längst eingemottet. Mit Neu!s Michael Rother samt Cluster hat er im Wald ein paar Ecken weiter - "ganz schlicht in schwarz" (so Rother) die Krautrock-Allstar-Combo Harmonia gegründet und das meisterhafte "Tracks And Traces" eingespielt.
Bowie steuerte den fragmentarisch schon vorhandenen Songs vor allem noch eine gehörige Portion Depression bei. Dazu verkroch er sich passenderweise in ein heruntergekommenes Loch in der Hauptstraße in Berlin-Schöneberg. WG-Kumpel von gegenüber: der angemessen chaotische Rockbarbar Iggy. Bowie saugt alle drogenschwangere Morbidität der Heroinhauptstadt Europas auf und wird zum nihilistischen Star der Punk- und aufkommenden New Wave-Szene. Surreal viel Underground-Credibility für einen Superstar. Mit einem Cameo-Auftritt in "Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo" wird Bowie es ihnen kurz drauf danken.
Wem der gefällige Singlehit "Heroes" immer ein wenig zu sehr das "Wind Of Change" einer ohnehin durchwachsenen Historie Berliner Wallsongs war, der findet in "Weeping Wall" eine verlässliche Alternative. Ein spaciges - indes vegebliches -Aufbäumen gegen das Unglück der Mauer. Kongenial symbolisiert durch das angedeutete Einflechten des britischen Traditionals "Scarborough Fair". Für die nicht minder monolithische Soundfläche "Subterraneans" ersinnt er die berühmt kryptischen und stets vergebens interpretierten Zeilen "Share bride failing star / care line care line / driving me / Shirley, Shirley, Shirley, own / share bride failing star". Das skalpellhafte Saxophon ist selbst eingespielt und klingt wie der einsam schreiende Zwilling des kaputten Orwell-Sax in "Diamond Dogs". Besser geht es nimmer mehr.
Wer das dauerhaft als zu melancholisch empfindet, sollte sich an die A-Seite mit den meist gesungenen Songs halten. Der knuffige Opener "Speed Of Life" ist eine dermaßen poppige Elektrokrautperle - Klaus Dinger wäre stolz gewesen. Mit "Sound And Vision" thematisiert Bowie die Paranoia seines Kokainkonsums. Hinzu kommt Carlos Alomars Gitarren-Hook aus der Hölle, der nackige Bass George Murrays und Enos Backing Vocals samt germanophiler Synthies. Mit Fug und Recht etabliert sich das schöne Lied als eine der Urhymnen der beginnenden Wavekultur. "Don't you wonder sometimes 'bout sound and vision? "
Mein ganz persönlicher Bowie-Höhepunkt im allgemeinen und "Low"-Gipfel im Besonderen ist der ebenso zarte with unbeirrbar voranschreitende Track "Always Crashing In The Same Car". Zeilen vom halluzinogen Burroughs'schen Bilderrausch bis zu echter Weisheit. "Jasmine, I saw you peeping / Oh, but I'm always crashing in the same car." Die nahezu gehauchte Stimme verleiht den dreieinhalb Minuten eine schwebende Atmosphäre, wie man sie in solcher Intensität nur selten erleben darf (außer eventuell im psychotischen "After All" von 1970).
Trotz aller Marter des Drogenentzugs: Großartig, wie der Brixtoner die zerstörte Entfremdung der ehemaligen Reichshauptstadt aufsaugt und konzeptionell als roten Faden in gefroren tönende Neonklänge formt. Wie er das alles trotz Stooges-Iggy schafft, ohne im Heroinsumpf der alten Nutte Berlin zu versacken. Nach Bowies bestechend englischer Logik jedoch kein Problem: "Klar zog ich vom 'coke center of the world' ins 'smack center of the world'. Aber das war zum Glück kein Ding, weil ich nie eine Schwäche für Heroin hatte."
Auch wenn mit den Sequels "Heroes" und "Lodger" noch zwei Teile seiner Berlin-Trilogie ausstehen sollten; außer einem brillianten Robert Fripp hatte Bowie dieser perfekten Neuerfindung nichts mehr hinzu zu fügen. Die Platte funktioniert ohne jedes Hintergrundwissen genauso gut wie umgekehrt. Bowie als Postpunk-Papst samt wundervoll erhabenem Cover, einem Foto aus Nicholas Roegs "Der Mann, der vom Himmel fiel". Ein stilles Gegenstück zu Munchs "Der Schrei", dabei aber genau so negativ.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
49 Kommentare mit 16 Antworten
!!!
Hut ab. Schöne Rezi für einen gut ausgesuchten Meilenstein.
Gruß
Skywise
Meilenstein geht in Ordnung.
Aber: Nachdem das neue Album von Bowie ansteht riecht das ganze doch ein ganz klein wenig nach Schleichwerbung....
kein kommentar vom lautuser, ich bin irritiert
Aber dafür ein absoluter Sancho Classic!
Behauptet, David Bowie hätte mal nen Song mit Meat Loaf aufgenommen, um zweiteren bei dieser Gelegenheit mal wieder zu jubelpersern und es stellt sich raus, dass das Bullshit war.
natürlich hätte er nie etwas mit meatloaf gemacht.
letzterer hatte zwar auch seine momente, manch gutes album.
aber alles, was in seinem werk je gut war, hat er zu 90% seinen mentoren todd rundgren und jim steinman zu verdanken.
Reg dich nicht auf Morpho. dein_böser_Anwalt ist ein Feigling, der entweder denkt, nur weil er jemanden kennt, der Meatloafs Diskographie auswendig weiß, kann er hier auf einen Bowie'esken Kreuzzug gehen und alles anprangern was vermutlich bowiefeindlich ist oder er denkt, mit mir kann er es ja machen. Für letzteres spricht auch die Tatsache, dass er nur einen von drei Personen geantwortet hat, welche sich abfällig über David Bowie äussern. So oder so, es ist mir scheiss egal was so ein Möchtegern schreibt. Wers braucht.
"feigling" ist ja wirklich mal was neues. man hat mir ja von trollseite schon viel blödsinn an den ava getakkert. aber das ist echt ne premiere.
ansonsten muss ich dich ob es inhalts deiner wirren zeilen schon fragen, ob du noch richtig ....ne?
...
Ich wüsste jetzt auch eigentlich nicht, worüber ich mich hätte aufregen sollen. Toolibrudi wieder übern Sternburgkasten am hocken?!
würde schon helfen, wenn er zwischen "bestätigung" und "anprangern" unterscheiden könnte. aber vielleicht habe ich da einfach zu hohe erwartungen.
Kommt euch das denn wirklich nicht bekannt vor?
Ich frage mich auch, wie das denn sein kann, dass hier der voellig offensichtliche Sancho-Duktus nicht erkannt wird.
Steelers NFL Club #1. Haha, Morpho, du bist so ein Wichser dafuer.
Wir sollten Zynikergate viel öfter vercopypasten, dann würde es auch jeder checken. Props an toolibrudi!
Neeeiiin, sorry! Das war ja der Zynigate-Kommi schlechthin. Dabei hatte ich mir den Thread neulich erst wieder bei einem Glas Rotwein und Kerzenlicht zu Gemüte geführt.
ach echt? dann sorry...ich bin nicht so drin in diesen gates. zyniker = sancho? ah, ok.
na dann sorry, lieber metoo', dass ich deine satire nicht verstand....aber im grunde ist es dadurch eigentlich noch komischer geworden.
vielleicht kann mir jemand mal nen stammbaum als diagramm klar machen, wer hier wer ist und in welcher inkarnation. dass genrefremdi = lauti ist, habe ich mittlerweile mitbekommen.
...was ein paralleluniversum hier
Der_Zyniker war halt Sancho und alle anderen Fakes müssten so ungefähr molten universe gewesen sein. Ganz sicher weiß man das aber nur über den Levitenleser.
Ich glaube bis jetzt, das einige Fakeaktionen wegen mir erst entstanden, ich habe das Forum aufgemischt und das bis heute. Die sind alle irre an mir geworden. Einige dieser Fakes sind heute noch böse und wünschen mir manche Überdosis bis heute. Wie ein Buddha ertragen.........
Natürlich wird keiner der Protagonisten das eingestehen. Wo komen wir den dahin. Morphologe ist auch ein Fake von Molten. Braucht ihr noch Kübel?
Glaube, hier ueberschaetzt jemand seine Rolle auf laut.de.
Keine Sorge ich halt mich aus dem Thread raus, dafür ist mir das nicht wichtig genug. Übrigens egal welche Rolle man in einem Forum spielt, macht ein Forum erst zu dem was es ist. Ein langweiliges oder ein weniger langweiliges. Meine Rolle für dieses Forum, nicht für Laut.de ist keine kleine bezogen auf den Unterhaltungswert. Das bin ich mir selber einfach wert. Was das anderen wert ist, mir doch egal. Weiß mit Sicherheit, das man sich selbst nicht hoch genug einschätzen kann. Das gilt übrigens auch für den größten Langweiler hier on Board.
Ich gestehe dir ja durchaus zu, unterhaltsam zu sein (auch wenn ich dich für eher ungewollt amüsant halte), aber die Behauptung, man könne sich selbst nicht hoch genug einschätzen, ist Unsinn.
Du potugisischer Esel hast mal wieder den Zusammenhang nicht verstanden.
Die Rezi war/ist mega (Album natürlich auch).