laut.de-Kritik

Überambitioniertes Disco-Musical mit allzu vielen Ideen.

Review von

Will sich der ehemalige Talking Heads-Mann David Byrne mit "Here Lies Love" seine persönliche Pyramide zu Gizeh bauen? In der Kollabo mit Fatboy Slim vertonte er in einer Art Disco-Musical das bewegte Leben der extravaganten Imelda Marcos, First Lady des ehemaligen philippinischen Diktators Ferdinand Marcos. Was für ein Brocken!

Für dieses ungewöhnliche Vorhaben müsste man Byrne eigentlich gratulieren. Auf "Here Lies Love" steht "Konzept" in leuchtenden Lettern. Wenn sich zwei Musiknerds wie Byrne und Norman Cook zusammen tun, um zu ungewohnter Thematik das Musical in die Diskothek zu holen, müsste das Resultat einen entweder umhauen, oder aber sicherlich anwidern. "Here Lies Love" tut leider keins von beidem. Was bleibt ist mehrheitlich Ratlosigkeit.

Zwar liest sich die Liste der Gast-Sängerinnen wie das A und O der (Indie-)Popmusik (Florence Welch, Sharon Jones, Cyndi Lauper, Santigold, Tori Amos und Roísín Murphy sind nur ein paar der klingenden Namen), jedoch wirkt deren Auswahl oft wie beliebig zusammengeschustert und passt nicht immer zum Konzept.

Das soll nicht heißen, dass Byrnes Arrangements daneben geraten sind. Mitnichten, er erlaubt sich zusammen mit Fatboy Slim keinen einzigen Misstritt. Es fehlen aber auch die ganz großen Würfe, das "In Your Face!", das ein Werk dieses Ausmaßes eigentlich legitimieren sollte. "Here Lies Love" bewegt sich die meiste Zeit in der grauen Zone des leichten Schulterzuckens und schrammt knapp an der Grenze zur Belanglosigkeit vorbei.

Nur wenige Songs lassen einen aufhorchen. "Eleven Days" versetzt einen nicht zuletzt dank Cyndi Lauper zurück ins Studio 54. "Don't You Agree" brummt mit funky Basslines und Roísín Murphys genial-lässigem Organ, "Dancing Together" eröffnet mit coolen Retro-Beats und Sharon Jones überzeugender Gesangsleistung die zweite CD.

"Here Lies Love" ist just immer dann am besten, wenn sich die Platte abseits der Fahrstuhlmusik ("The Rose Of Tacloban", "Here Lies Love", "Never So Big") den groovenden Disco-Nummern ("The Whole Man", "Solano Avenue") zuwendet. Richtig gut: Byrnes einzige Solonummer "American Troglodyte" funkt genial skurril.

Jedoch stecken im rund 90-minütigen Epos (verteilt auf zwei CDs) schlichtwegs zu viele Ideen. Tropische Rhythmen wechseln sich ab mit Dance-Pop, auf Disco-Funk folgen Musical-Balladen. Der Vergleich zu den legendären tausend Paar gesammelter Schuhe der Lady Marcos drängt sich hier förmlich auf. Byrnes Schuhschrank ist aber für die musikalische Vielfalt viel zu klein.

Hier sind mehrere Durchläufe nötig, damit die Songs ihre Wirkung entfalten können. Bei einer solchen Laufzeitlänge ist dies vom Hörer aber ziemlich viel verlangt. Autoren eines 1.000 Seiten starken Buches können schließlich auch nicht von ihren Lesern erwarten, ihr Werk mehrmals zu lesen um den kompletten Durchblick zu erlangen.

Wer noch nie von Imelda Marcos gehört hat, wird zudem ziemliche Mühe haben, die lyrische Verarbeitung ihres Lebens nachzuvollziehen. Zwar erklärt Byrne jeden Song im Booklet, doch sollten bei einem solch ambitionierten Projekt die Lieder nicht für sich selbst sprechen?

Nicht ganz klar scheint außerdem die Frage, ob Byrne der Marcos mit dieser Platte ein Denkmal setzen oder eher einen ironischen Blick auf ihr doch ungewöhnliches Leben werfen wollte. Ersteres wäre höchst verwerflich, galt sie doch als Aushängeschild eines der korruptesten Regimes der Welt. Letzteres scheint aber auch nicht wirklich zu funktionieren, es fehlt Byrne deutlich am nötigen kritischen Augenmaß.

Byrne wollte mit "Here Lies Love" gegen den Tod des Albums ankämpfen. Genau in diesem Punkt scheitert er aber gewaltig. Gute (Konzept-)Alben enthalten einen Spannungsbogen, der eine Idee über mehr als nur einen Song hinaus weiterzieht und ihr dadurch zusätzliche Tiefe verleiht. "Here Lies Love" lebt aber von ein paar Aufhängern, der Rest ist größtenteils verzichtbares Skipmaterial.

Die Story um Imelda Marcos hält die unzähligen musikalischen Wechsel leider nicht zusammen. Bevor man sich also die 90 Minuten mühsam abarbeitet, lädt man sich lieber diese "Hits" hinunter.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Here Lies Love
  2. 2. Every Drop Of Rain
  3. 3. You'll Be Taken Care Of
  4. 4. The Rose Of Tacloban
  5. 5. How Are You?
  6. 6. A Perfect Hand
  7. 7. Eleven Days
  8. 8. When She Passed By
  9. 9. Walk Like A Woman
  10. 10. Don't You Agree?
  11. 11. Pretty Face
  12. 12. Ladies In Blue

CD 2

  1. 1. Dancing Together
  2. 2. Men Will Do Anything
  3. 3. The Whole Man
  4. 4. Never So Big
  5. 5. Please Don't
  6. 6. American Troglodyte
  7. 7. Solano Avenue
  8. 8. Order 1081
  9. 9. Seven Years
  10. 10. Why Don't You Love Me?

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