6. Oktober 2009

"Wir wissen, dass die Welt im Arsch ist"

Interview geführt von

David Gray hat weltweit über 12 Millionen Alben verkauft, darunter "White Ladder", das alle Verkaufsrekorde Irlands sprengte. Im Oktober 2009 erscheint sein achtes Studioalbum "Draw The Line". Im Interview mit laut.de spricht er über das neue Werk, Veränderung und unsere politische Situation.An diesem Nachmittag Anfang August befindet sich David Gray auf Interview-Tour durch die deutschen Radiostationen. Als wir ihn am Telefon erreichen, hat er bereits eine Show in Bremen bestritten.

Seiner Kondition scheint dies jedoch nicht geschadet zu haben. Gray erweist sich als auskunftsfreudiger und freundlicher Gesprächspartner.

Sehr viele Menschen assoziieren dich mit deinem Erfolgsalbum "White Ladder". Nervt es dich inzwischen manchmal, darüber zu sprechen?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber ich will nicht in der Vergangenheit leben. "White Ladder" habe ich gemacht und es war etwas Wunderbares. Und der Erfolg, der damit kam, war ein Segen, nicht mehr und nicht weniger. Ich muss mich mit den Schatten, die meine Vergangenheit wirft, abfinden. Ich versuche etwas für die Zukunft und für die Gegenwart zu schaffen. Es ist immer schwer, die Leute auf die Dinge aufmerksam zu machen, die man im Moment tut, wenn sie über das reden wollen, was schon passiert ist.

Auch ich möchte noch ein bisschen bei deiner Vergangenheit bleiben. Vor deinem Durchbruch konntest du bereits auf eine große Fangemeinde in Irland zählen. Kannst du dir erklären, warum man deine Musik dort so sehr mag?

Warum genau ist schwer zu sagen. Aber in der Art, wie ich Worte benutze und Musik empfinde, liegt definitiv etwas Keltisches. Ich glaube, das haben die Leute in Irland von Anfang an gespürt - und die Ehrlichkeit in meinem Gesang und meinem Sound. Wir bauten von Beginn an eine sehr starke Beziehung auf. Und wenn man sich ohne die Hilfe der Radiosender oder sonstiger Unterstützung ein großes Publikum erspielt, ist das eine gute Plattform, die sich ausbauen lässt. Als "White Ladder" auf den Markt kam, hatten wir eine sehr starke Basis. Diese Platte hatte etwas Magisches, das plötzlich seinen Weg ins Mainstream-Radio, Fernsehprogramm und all die anderen Sachen fand. Es war wie ein Märchen, das sich selbst schrieb. Es wuchs über sämtliche Erwartungen hinaus.

Fühlst du dich als ehemaliges Mitglied der Alternative-Szene wohl im Mainstream?

Ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich zu klimatisieren. Beide Extreme haben ihre ungemütlichen Seiten. Ich musste mich an den Erfolg, den Druck, den er mit sich bringt, und die Art, wie er funktioniert gewöhnen. Ich habe aufgehört, mir Sorgen darüber zu machen. Einer meiner Wesenszüge ist, alles zu ernst zu nehmen. Ich fühle mich nun leicht und von all dem befreit. Im Moment kümmert mich das einfach gar nicht. Ich spüre meine Musik so stark zurückkommen, dass ich mich frei von der Vergangenheit, dem Druck des Erfolgs und der Last aller Sorgen, die er mit sich bringt, fühle.

Im Pressetext zu deinem neuen Album "Draw The Line" ist zu lesen, dass du nach der Produktion des Vorgängers "Life In Slow Motion" vollkommen ausgebrannt warst. Wie kamen die Kreativprozesse wieder ins Rollen?

Als ich die Aufnahmen zu "Life In Slow Motion" machte, merkte ich, so sehr ich es auch mochte, die Platte zu machen, dass sich die kreative Chemie innerhalb der Band gemindert hatte. Ich denke, nach einer Zeit beginnt man damit, sich selbst zu wiederholen. Es sei denn, man hat die tiefe Leidenschaft, sich neu zu erfinden. Ich merkte, dass ich eine radikale Veränderung und eine neue Herausforderung brauchte. Für mich war es also Zeit, weiter zu gehen. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Es brauchte etwas Zeit, die neuen Leute zu finden und zu verstehen, was genau ich tun würde. Ich begann Songs zu schreiben und ließ Musiker vorspielen. Ich formierte eine neue Band, die großartig klang. Und plötzlich merkte ich, dass ich das Richtige getan hatte. Da war ein neuer Sound und eine neue Identität, mit der ich etwas anfangen konnte. Ich habe in den letzten paar Jahren dann einfach jede Menge Material aufgenommen, bis ich so viel zusammen hatte, dass ich glücklich damit war.

Kannst du etwas genauer erklären, wie du zu deiner neuen Band gekommen bist?

Ich habe einfach in Umlauf gebracht, dass ich nach neuen Leuten suche. Freunde, Leute von der Plattenfirma und mein Management haben mir Vorschläge gemacht, und wir haben dann mit verschiedenen Musikern herum probiert. Der Drummer war sehr wichtig. Mit einem neuen Schlagzeuger zu arbeiten, übte einen großen Einfluss auf meine Musik aus.

Was hat sich in deiner Musik nun geändert?

Ganz offensichtlich ist da ja eine neue Band. Die Sachen haben jetzt eine andere Stimmung. Sie zielen weniger nach innen, sondern mehr nach außen. Außerdem ist der Sound sehr direkt. Ich empfinde grenzenlose Freude am Musizieren. Einige Songs des Albums sind durchaus düster. Die Freude, mit der die Band spielt, verleiht ihnen aber etwas sehr Positives. Es ist ein härterer Sound, der es mir erlaubt, eine Stimme zu benutzen, von der ich gedacht habe, ich hätte sie verloren. Das fügt meinem Gesang einen, ich will nicht sagen politischeren, aber provokanteren Aspekt hinzu.

In deinen früheren Aufnahmen lässt sich ebenfalls ein politischer Aspekt ausmachen. Als ich mir "Draw The Line", den Titeltrack deines aktuellen Albums, anhörte, kam mir deine allererste Single "Birds Without Wings" in den Sinn. In beiden Songs erzählst du von einer Gesellschaft, die ihre Lebensgewohnheiten nicht aufgeben möchte und keine Veränderungen wagt.

Ja. "Draw The Line" war einer der wichtigsten Songs dieser Platte. Wie du sagst, gehe ich ein wenig zurück, um vorwärts zu gehen. Da ist ein Hauch meines Debüt-Albums "A Century Ends" auf dieser Platte. "Draw The Line" war ein Schlüsseltrack. Die gesamte Band war in den Songwriting-Prozess involviert. Alles passierte im Studio. Ich fing an die Lyrics zu singen und verbrachte die Nacht damit, den Track zu schreiben. Am nächsten Tag nahmen wir ihn auf. Es war alles noch sehr frisch. Als ich mir den Song anhörte, erkannte ich, dass dies der Standard war, den wir uns setzen mussten - das war der Sound, nach dem ich gesucht hatte. Ich liebe diesen Track.

"Wir wissen, dass die Welt im Arsch ist!"

Was sollte sich deiner Meinung nach in politischer Hinsicht ändern, wenn die Menschen, wie du singst, ihre alten Gewohnheiten durchbrechen?

Ich glaube, dass die regierenden Politiker sehr verängstigt sind. Sie trauen den Menschen nichts zu. Wir wissen, dass die Welt im Arsch ist. Es bräuchte radikale Veränderungen unserer Verkehrssysteme, radikale Veränderungen unserer Art zu essen und zu leben. Die Leute würden viel mehr Reformen akzeptieren, als die Regierungen im Moment veranlassen. Die sind aber im freien Markt und seinen ausbeuterischen Bestimmungen gefangen. Das ist wie ein Gefängnis. Die Forderungen des Marktes stehen auf den Listen der Politiker immer ganz oben. Das funktioniert offensichtlich nicht. Sie haben in London die City-Maut eingeführt und jeder meinte, dass diese Maßnahme niemand akzeptieren würde. Aber sie haben die Maut beschlossen und jeder verstand, dass es eine nützliche Sache war. Es gab kein großes Problem. Genauso war es mit dem Rauchverbot. Die Leute verstehen das. Sie wissen, dass die Umwelt am Ende ist. Wir alle wissen, dass wir auf eine lächerlich überhebliche Art konsumieren. Wir müssen diese Dinge ändern, wenn wir ein harmonischeres Leben führen wollen.

Glaubst du, dass du mit deiner Musik dazu beitragen kannst, dass diese Veränderungen irgendwann eintreten?

Ich versuche das zu tun. Aber mich außerhalb meiner Musik, als prominente Person, politisch zu engagieren, halte ich für schwieriger. Das Problem ist: Sobald es einen riesen Rummel um ein politisches Thema gibt und eine berühmte Person ist darin verwickelt, wird eine Art Entertainment daraus. Ich glaube, die Themen können dann letztendlich nicht gewinnen. Ich denke, solche Dinge wie die "Stop Poverty"-Kampagne sind kontraproduktiv. Das wird nie passieren. Wie will man die Armut stoppen?

Oder wenn Prominente darüber reden, Bäume zu pflanzen und die Welt zu retten. Das ist eine verdammte Schande. Das schafft nur Verwirrung. Man sollte es den Wissenschaftlern und den Leuten, die davon eine Ahnung haben überlassen, darüber zu reden. Ich kann meine Meinung in meiner Musik zum Ausdruck bringen, aber für politisches Engagement habe ich, meiner Empfindung nach, kein Talent. Obwohl mir die Welt, in der wir leben, sehr wichtig ist, denke ich nicht, dass ich ein guter Redner oder politischer Kommentator bin. Es gibt andere Leute, die das einfach zehnmal besser können. Denen möchte ich dieses Feld lieber überlassen und meine Unterstützung aussprechen, sollte jemand etwas Vernünftiges tun, das zur Veränderung beiträgt.

Gut. Dann wieder zurück zur Musik. Warum hast du bei den Aufnahmen zu deinem neuen Album auf die Hilfe eines Produzenten verzichtet?

Weil genug innerhalb der Band passierte. Die Produzenten helfen dir dabei, dich von dir selbst zu lösen, um den Sound zu erlangen, den du willst. Aber du musst diesen Sound erzeugen, es sei denn, du willst den Phil Spector der Sechziger-Jahre engagieren. Es kommt auf dich an. Diesmal brauchte ich keine Hilfe. Wir erzeugten den Sound, den ich wollte, bereits in der Band. Ich bekam etwas Produktionshilfe von Iestyn Polson, der an "White Ladder" und allen darauf folgenden Alben mitgearbeitet hat. Während wir spielen, kümmert er sich um die Effekte und das technische Zeug, dadurch klingt das Ganze dann auch wirklich nach einer Platte. Er ist die objektive Stimme im Kontrollraum. Ein größerer Produzent, sozusagen, der hinter ihm steht und die Richtung vorgibt, war diesmal einfach nicht notwendig. Ich habe lange darüber nachgedacht, aber dann erkannte ich, dass ich alles, was ich brauchte, bereits hatte.

Auf dem Album ist auch ein Duett mit Annie Lennox zu hören. Wie kam es zu der Kollaboration?

Ich habe das Duett geschrieben und wir brauchten dringend jemanden, der den zweiten Part singen würde. Wir machten alle Vorschläge. Ich dachte, Chris Isaak würde gut passen, weil ich mir das Stück als eine Art Righteous Brothers-Song vorstellte. Aber mein Manager schlug Annie Lennox vor und ich sagte: Ja, das könnte wirklich funktionieren. Sie kann sehr stark und wenn sie will auch mit großer Attitüde singen. Jemand, der zu girly geklungen hätte, wäre von der Kraft meiner Stimme zerdrückt worden, da es ein Song mit Haltung und Biss ist. Also schickten wir ihr den Track und sie liebte ihn. Als sie ins Studio kam, waren wir begeistert. Sie war fantastisch.

Ein anderer Song der Platte heißt "Stella The Artist". Darin singst du von deiner Muse Stella. Handelt es sich dabei um eine wahre Person?

Der Song ist Spaß, oder zumindest so nah ich dem kommen kann. Er ist nicht unglaublich ernst. Es ist ein Song für meine Muse und über das Musikmachen. So verhält es sich für mich. Aber es könnte auch ein Lovesong für ein Mädchen namens Stella sein. Für mich ist es ein Song für die Muse. Was ich darin beschreibe ist, die Musik in mir.

"Das Bestreben zurück zu gehen, um vorwärts zu kommen..."

Hast du schon eine Idee, wohin sich diese Musik in Zukunft bewegen wird? Im Verlauf deiner Karriere hat sich dein Stil ja oft geändert.

Ja, das ist aufregend. Wenn du zurückschaust, merkst du, dass ich mich sehr verändert habe. Da ist immer das Bestreben zurück zu gehen, um vorwärts zu kommen. Ich glaube, meine Grundlage ist mein Gesang mit der Begleitung von Gitarre oder Klavier. Dahin komme ich immer zurück und baue von neuem auf. Wohin das noch gehen wird, kann ich nicht voraussagen.

Könntest du dir denn vorstellen, ein Solo-Album zu machen? Ich habe mir ein paar Radiosessions angehört, die du allein bestritten hast, und mochte den reduzierten Sound.

Ich mag diesen Sound auch. Lustigerweise habe ich mir das sogar heute Morgen im Auto überlegt. Ich sollte wirklich irgendwann eine sehr einfache Platte ohne Begleitmusiker machen. Das ist wahrscheinlich schon überfällig. Ich werde darüber nachdenken.

Und wie sehen deine Pläne für die nahe Zukunft aus? Wirst du auch in Deutschland spielen?

Ja, ich werde hier definitiv einige Konzerte spielen. Wir planen die Daten gerade. Im Moment versuchen wir überall Konzerte einzuplanen. Ich glaube, es wird Anfang des nächsten Jahres sein. Aber es wird definitiv eine Tour geben. Ich freue mich schon darauf. Wir lieben die Tourneen durch Europa. Die sind ein großer Spaß.

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