6. Oktober 2008

"Glückliche Arbeitslose sind möglich"

Interview geführt von

Ein stinknormaler Vormittag an einem stinknormalen Wochentag: Deichkind köpfen eine Flasche Champagner. Na, wenn das mal nicht astrein auf den jüngsten CD-Titel passt. "Arbeit Nervt" halt.Im Salon Schmück, einer Kreuzberger Kneipe, trifft laut.de die Techno-Rapper zum Interview. Während sich die Deichkinder bei der Listening-Session am Vortag hinter ihren Müllsack-Outfits versteckten, fällt die Camouflage nun weg.

Vor den vier Jungs - Neuzugang Ferris MC glänzt durch Abwesenheit - türmt sich ein Devotionalien-Berg aus allerlei Kleinkram auf: Vom Rainald Goetz-Buch bis zum Anti-Bakterienspray. Die Stimmung beim Gespräch mit den redseligen Hamburgern ist jedoch alles andere als steril.

Was nervt an Arbeit?

Philipp: An Arbeit nervt mich hin und wieder das ein oder andere. Aber ich würde vorweg gerne etwas zu unserer Band sagen: Wir sind in zwei Lager gespalten. Es gibt das Kapitalo-Lager und das Dinkel-Lager. Das Dinkel-Lager, das sind die, die sich über Hochkultur unterhalten und nicht zu McDonald's gehen. Wir fahren auch, wenn wir auf Tour gehen, mit zwei Autos. Beim Dinkel-Lager werden vorher Stullen geschmiert und man fährt nur 120 aus Umweltgründen. Das Kapitalo-Auto ist eine große, sportliche Limousine in der gefurzt, gerülpst und über Sex geredet wird.

Eine Fraktion ist kapitalismuskritisch, die andere fürs System?

Philipp: Genau. Es gibt aber auch so Möchtegern-Dinkels wie mich, die denken: 'Ich muss mein Geld verdienen, mich aber auch um Kultur kümmern.'

DJ Phono: Auch ein Voll-Dinkel wie ich hat natürlich einen Kapitalo-Teil, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Was ich aber interessant finde an dem Titel "Arbeit Nervt" sind die Fragen, die er aufwirft. Von jedem wird in unserer Gesellschaft erwartet, dass er zur Schule geht, eine Lehre macht oder studiert und viel Geld verdient. Inwiefern darf man sich aus diesem Zyklus überhaupt herausbegeben? Deichkind haben ja viel damit zu tun, sich gewissen Dingen zu verweigern und Konventionen zu brechen.

Sebastian: Wenn man überhaupt keine Arbeit hat, ist das natürlich auch total ätzend. Aber es gibt Momente, wo Arbeit alles einnimmt. Das geht dann mit einer Seelenlosigkeit einher. Man merkt auch an sich, wenn die Arbeit überhandnimmt, dass man viele wichtige Sachen, sogar gute Freunde verliert. Arbeitet man um zu leben oder lebt man um zu arbeiten?

Inspired by Heidi Kabel

Gab es eine Diskussion, ob man so einen Titel in Zeiten von Hartz IV überhaupt bringen kann?

Philipp: Ein glücklicher Arbeitsloser ist keine Unmöglichkeit!

Sebastian: Mich stört einfach die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Leute unterjochen lassen. Es gibt Leute, die für 1500 Euro eine wahnsinnige Verantwortung tragen, einen Fulltime-Job haben und für einen Boss arbeiten, der das halbe Jahr im Urlaub ist. Es gibt die perversesten Formen von Arbeit.

Im neuen Song "Hört Ihr Die Signale" wird nicht nur viel gesoffen. Macht Ihr euch dort über politische Parolen lustig?

DJ Phono: Ich würde den Titel nicht so auf die Goldwaage legen. In so einen Song fließen Erfahrungen ein, die man gemacht hat. Alkohol ist auch für uns ein Thema. Es gibt Konzerte, wo wir uns vorher richtig einen reinsaufen und dann besoffen auf die Bühne gehen. "Hört ihr die Signale" ist auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rausch. Inwiefern gibt es ein Recht auf Rausch? Da schließt sich dann auch der Kreis zu "Arbeit Nervt": Inwiefern darf ich mich aus der Gesellschaft herauskatapultieren? Auch wenn das Lied als Saufhymne verstanden werden kann, steckt mehr dahinter.

Ich sehe euch als Band, die nicht nur von Musik beeinflusst ist. Vor euch liegt auch ein Buch über Martin Kippenberger. Welche Rolle spielt Bildende Kunst?

DJ Phono: Deichkind ist schon eine Band, die in vielen Umfeldern zu Hause ist, weil wir alle so verschieden sind. Und es gibt immer wieder einzelne Leute, die Einfluss auf die Band nehmen. Björn etwa, ein Künstler, der für uns Coverart gemacht hat. Ich habe viele Freunde aus diesem Bereich. Dem Dinkel-Bereich.

Könnt ihr noch andere Einflüsse nennen?

DJ Phono: Sicher so Leute wie Christoph Schlingensief. Das fängt an bei Monty Python und geht bis zu Daft Punk. Oder Rocko Schamoni, der ja auch Kunst studiert hat.

Porky: Von Sledge Hammer (TV-Serie aus den 80ern, Anm. der Red.) über Heavy Metal und die Hamburger Kunsthalle bis zu Heidi Kabel.

Eine allumfassende Entertainment-Maschinerie

Hat diese Offenheit dazu geführt, dass ihr Probleme hattet mit der klassischen, eher engstirnigen HipHop-Szene?

Philipp: Ich glaube, in den 90ern war es sehr in, dass man sich auf ein Genre konzentriert und sagt: Ich find jetzt Eastcoast-HipHop ganz toll. Das hat sich dann in den zehn Jahren entwickelt, dass wir uns nicht mehr in so engen Grenzen aufhalten wollten. Man merkt das auch bei unseren jugendlichen Fans, dass die heute nicht mehr so genrefixiert sind. Wenn man hört, was so aus deren Autos kommt an Musik. Da vermischen sich Sachen, die in den 90ern nicht zusammen gepasst hätten.

Habt Ihr überhaupt noch einen Bezug zum aktuellen HipHop?

Philipp: Hamburger HipHop ist ja eigentlich over, bis auf Jan Delay oder Fettes Brot.

Sebastian: Wir sind dem deutschen HipHop auf jeden Fall total dankbar dafür, dass er uns nicht akzeptiert hat. Das hat uns schnell auf einen besseren Weg gebracht.

DJ Phono: Ich fand das auch bei unserer Bühnenshow total wichtig, sich zu befreien. Dass man all das, was einen geprägt hat, sein ganzes Wertesystem, dass man das komplett resettet. Und Dinge macht, wie sich nackt auf die Bühne stellen oder im Müllsack. Da mussten wir uns alle überwinden.

Seht ihr euch eher als Performance-Künstler denn als Musiker?

Philipp: Musik ist nur ein Teil von Deichkind. Die Performance ist mindestens ebenso wichtig. Gerade heute, wo es eh kaum noch Plattenverkäufe gibt. Der Live-Auftritt ist mittlerweile eine viel mächtigere Säule.

Sebastian: Ich hab aber auch den Anspruch, mehr zu sein als nur eine Band. Mir reicht das nicht. Ich finde, Deichkind ist es gelungen, eine ganz eigene Welt aufzubauen.

Philipp: Wir wollen jetzt auch ein Franchise-Unternehmen gründen und eine neue Band aufmachen, die heißt Deichkind-Junior. Das sind 13-14-Jährige, die ziehen wir dann groß.

Eine Art Boyband?

Philipp: Genau.

Wird es mit der neuen Platte auch eine neue Bühnenshow geben?

DJ Phono: Deichkind hat ja bis jetzt im Gammellook stattgefunden. Im Moment verlassen wir die Müllhalde.

Sebastian: Es wird auch eine Revolution in Sachen Lichtshow geben. Das haben wir bis jetzt völlig vernachlässigt.

DJ Phono: Die Effekthascherei wird zunehmen!

Wie sieht der Masterplan aus? Wo stehen Deichkind in ein paar Jahren?

Philipp: Unsere Ziele sind eine allumfassende Entertainment-Maschinerie, Internationalisierung, Franchise. Es wird ein Riesenlager geben in Kassel, direkt neben Rossmann, von da werden unsere LKWs ausströmen.

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