laut.de-Kritik
Mit Piano und Gesang vom Underground ins Feuilleton.
Review von Ulf KubankeEs gibt Live-Platten, die Ausdruck, Magie, Kraft und Fähigkeiten von Musikern besser auf den Punkt bringen als jede ihrer Studioalben. So etwa "Made In Japan" von Deep Purple oder "Fragments Of A Rainy Season" von John Cale. Im Fall des deutschen Aushängeschildes Deine Lakaien schlägt "Acoustic" in punkto Intensität alles, was ihr elektronischer Katalog trotz aller Hochklassigkeit zu bieten hat. Ein Piano, eine große Stimme und eine Handvoll hypnotischer Melodien - mehr braucht es 1995 nicht, um das Duo Ernst Horn und Alexander Veljanov vom Underground-Act in eine künstlerisch respektierte Vorzeigeband zu verwandeln, an der das Feuilleton fortan nicht mehr vorbeikommt. Warum dies passierte, zeigen schon die ersten Minuten des Konzertabends.
Ludwigsburg im April 1995: Gespannt wartet das Publikum auf den Konzertbeginn. Horn begibt sich an sein eigenes wie bei John Cage präpariertes Klavier. So sanft wie fesselnd leitet er den Abend mit den Anfangsnoten ihres Signaturliedes "Love Me To The End" ein. Niemand im Saal vermag sich der Ausstrahlung dieser Weltklasseballade zu entziehen. Sobald Veljanov ans Mikro tritt und die ersten Zeilen intoniert, stellt sich beim Hörer unweigerlich Gänsehaut ein.
Deine Lakaien verquirlen den romantisch-kämpferischen Text mit einer lieblichen Melodie, die gleichermaßen von Urkraft und Zerbrechlichkeit der Liebe kündet. Ein Liebespaar flüchtet vor Häschern und einem Killer, der es auf sie abgesehen hat. Veljanovs Text nimmt die Perspektive des Mannes ein, der alles unternimmt, ihre verfolgte, anscheinend verbotene Liebe zu schützen. "This man pursues you, a dagger in his hand. Yet he will never get into our land. Oh love me, love me to the end. "
Natürlich birgt es ein beträchtliches Risiko, ausgerechnet den ultimativen Lakaien-Track für die Ewigkeit als Ouvertüre zu wählen. Groß scheint die Gefahr, dass nach solch einem Gipfelsturm unweigerlich die atmosphärische Talfahrt folgt. Doch das Duo verfügt insgesamt über dermaßen starke Tracks, dass es sich diesen Einstieg ohne den geringsten Reibungsverlust leisten kann. "Lonely" hält nachfolgend den melodischen wie emotionalen Spannungsbogen spielend aufrecht. Man beachte besonders Horns im Mittelteil eingeschobene, kristallene Pianofigur, die Veljanovs Stimme kongenial umspült.
Wessen Lust auf Sehnsuchtsballaden danach so richtig entfacht ist, der erhält etwas später mit "2nd Sun" noch ein weiteres, aufwühlendes Juwel. Horns klassische Schulung und Veljanovs an Brel, Peter Murphy und Scott Walker orientiertes Händchen für perfekte Dramaturgie in Wort wie Gesang ergeben die perfekte Mischung.
Entsprechend selbstbewusst ordnet Veljanov die Lakaien-Umsetzung im Interview ein: "Wir sind weder Klassik, noch Pop, noch Avant Garde. Wir sind einfach eine Band, die versucht, Dinge zusammen zu bringen, die scheinbar nicht zusammen passen. Arrangements, die eben nicht sind wie Metallica plus Symphoniesoße. Auch diese ganzen Queen meets Royal Philharmonic Sachen. Das ist doch wirklich völlig indiskutabel."
Stücke wie "Don't Wake Me Up" oder "Resurrection Machine" zeigen ihre spröde, nahezu sperrige Seite. Dem stehen eingängige, aber packende Indie-Clubhits wie "Dark Star" oder "Mindmachine" gegenüber. Noch berückender fallen ihre Nummern indes aus, sobald sie sich - wie in "Walk To The Moon" oder "Follow Me" - in Richtung Chanson-Noir aufmachen.
Obgleich man stets versucht, sie als Speerspitze des Deutschgoth zu definieren: Mit Gothic oder Darkwave, wie ihn eine in weiten Teilen zum Klischee erstarrte deutsche Schwarze Szene bietet, hat dies alles nichts am Hut.
Legt man den Begriff jedoch stilistisch weit aus und ergänzt ihn um den qualitativen Anspruch großer Vordenker wie Bauhaus, The Cure, The Damned, Killing Joke oder Sisters Of Mercy, darf man Deine Lakaien dennoch getrost dort eingruppieren. Denn wie jene Kollegen der ersten Generation eroberten und definierten sie ihre eigene Nische bei maximal individueller Wiedererkennbarkeit.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit 5 Antworten
Sehr schön geschrieben Herr Anwalt. Danke für den großartigen Meilenstein. Mein persönlicher Album Favorit der Lakaien ist die Winter Fish Testosterone, die denke ich auch einen Meilenstein verdient hätte. Aber die Acoustic 1 geht absolut in Ordnung. Musste gerade eben wieder den unsäglichen Verriss der Kasmodiah lesen die eigentlich auch eine re-Review verdient hätte.
danke. ja, die "kasmodiah" finde ich auch sehr gut. es gibt beeindruckenderweise aus meiner sicht ohnehin keine einzige mittelmäßige oder gar schlechte lakaien-scheibe.
"Ludwigsburg im April 1995"
Teile der Aufnahmen stammen doch vom Konzert aus Braunschweig, wenn ich mich nicht völlig irre.
Da war ich seinerzeit auch. Das war schon gut.
ja, das stimmt. aber eben nicht der abfang, auf den sich der absatz bezieht. "love me..." ist ein mittschnitt aus ludwigsburg. toll auch, wie sie es schaffen, dass man glaubt, es hier mit einem einzelnen konzertabend zu tun zu haben. auf dem niveau muss man seine gigs erstmal absolvieren.
Lakaien waren damals halt sehr gut.
Auch die Liveumsetzung des ja doch sehr elektronischen Sounds auf Klavier fand ich seinerzeit sehr ansprechend.
Ein sehr schönes Album, diese Versionen ziehe ich den Originalen sogar vor. Hat Horn da nicht ein "präpariertes" Klavier benutzt? Das hat mich an manchen Stellen besonders fasziniert.
"Horn begibt sich an sein eigenes wie bei John Cage präpariertes Klavier."
Aye, hab ich verpeilt. Sorry.