laut.de-Kritik
Die Zeit des dicken Make-Ups ist vorbei.
Review von Ulf KubankeMit "Indicator" feierten unsere Dienstboten der Dunkelheit ihren künstlerischen Höhepunkt, endlich befreit von allem Szenesound und angekommen im kollektiven Kunstkanon zwischen Brel und Walker. Geschlagene vier Jahre später bauen sie sich nun auf diesem Gipfel ihren "Crystal Palace". Das Motto lautet: Der ganze Ballast muss über Bord!
Anscheinend wollte man im Hause Horn & Veljanov sehr bewusst das Gegenteil des eingeschlagenen Weges abliefern, so machten sie diesen Kristallpalast zur konzeptionellen Antithese des Vorgängers. Es gibt weder Produzenten noch Gastmusiker. Die ganze Baustelle für den Prunkbau liegt in den musikalischen Händen des Duos. Alles stammt komplett von Ernst & Alex. Insofern verkörpert die CD sicherlich das direkteste und unmittelbarste Album ihres gesamten Katalogs.
Ihr Ergebnis ist ein lässiger Keulenschlag in die Schnauze popkultureller Erwartungshaltung. Die Zeit des dicken Make-Ups ist vorbei. Alles reduziert sich aufs Minimale und Essentielle. Bis auf die bleichen Knochen entkrusten sie ihren gerade eben noch üppigen Lakaiensound. Übrig bleibt vor allem die Elektronik. Sie klingt so fundamental wie zu Zeiten der frühen bis mittleren Phase.
Das heißt jedoch nicht, die Lakaien klängen wie anno 1994. Im Gegenteil: Unfassbar subtil und filigran greifen alle Elemente ineinander. Meist dergestalt, dass ein elektronisches Uhrwerk sich mit einbrechenden Klassikelementen vereinigt; hie als Duell dort als Liebesakt, doch am Ende immer als einander umarmende Einheit.
Die Melange übt im Ergebnis kräftige Anziehungskraft aus. Ihr großes Abspecken legt fokussiert das Ohr des Hörers auf das Herz der Lakaienmusik. Dadurch entsteht eine Klarheit in Sound wie Arrangement, die für sich allein genommen schon den schönen Albumtitel rechtfertigt, ein akustisches, sehr audiophiles Kristall, dabei im Grundton sehr warm.
Dieser Weg der Reduktion weist jedem verbliebenen Instrument und Effekt eine größere Rolle im Gesamtgefüge zu. Dadurch erwächst jede Andeutung zur großen Geste; jeder Schneeball zur Lawine. Es klingt alles ein wenig, als hätten Deine Lakaien eine Formel zu maximaler Effektivität gefunden. Egal ob Piano, Cembalo, fernöstliche Grundierung oder Bleeps & Klonks auftauchen, alles zieht im Moment des Erscheinens die volle Aufmerksamkeit auf sich, ohne den jeweiligen Song mit Egozentrik zu verraten. Alles bleibt ineinander wie Yin & Yang. Sogar Horns gewohnt atonale Eruptionen geben sich ab und zu als heruntergefahrene Erdbeben die Ehre.
Gesangsmelodien, Lyrics und Veljanovs meisterhafte Koloratur spielen hervorragend mit. Die politischen Statements der letzten Scheibe weichen einem poetischeren Ansatz. Jede einzelne Melodie der zehn Lieder ist dermaßen stark, dass Veljanov sich gleichfalls auf Andeutungen seines sonstigen Volumens beschränkt, um die Instrumente nicht zu dominieren. Dafür liefert er eine absolute Blaupause in gesanglicher Nuanciertheit kombiniert mit extrem breiter Skala.
Ebenso empfiehlt es sich, die dramaturgisch perfekt aufeinander abgestimmten Songs als homogenes Ensemble in der angegebenen Reihenfolge zu genießen. Obwohl jeder Track für sich genommen zur Auskopplung taugt, ergibt erst das große Gesamtbild der wechselnden Stimmungen den totalen Rausch. Gedimmt schreiende Synthies ergeben sich einem Pianothema ("Nevermore"). Spacige Soundscapes haben ein Date mit Harfe oder Cembalo.
Zur klanglichen Krönung des neuen Understatements schicken sie mit "Forever And A Day" einen percussiven Nachtsong der Spitzenklasse ins Rennen. Doch wer es sich in der kuscheligen Ruhe des schönen Stücks zu bequem macht, bekommt mit dem folgenden "The Ride" einen harschen Weckruf in Form des schicksten E-Gitarrenmoments ihrer Karriere.
So gelingt ihnen mit "Crystal Palace" einmal mehr die komplette Häutung. Statt in der Hochkulturecke zu versauern, optimieren sie einfach den eigenen Soundstempel. Heraus kommt die perfekte Scheibe für die Zeit nach Sonnenuntergang.
3 Kommentare
Nur damit bei Laut keiner glaubt, solche Reviews interessieren keinen. "Das ist ein Kommentar" .
sehr lieb und sympathisch von dir. aber die relevanz und anzahl der leser hat ja zum glück wenig bis nichts mit der anzahl der comments zu tun. da kann ich dich beruhigen
Davon abgesehen, dass mir die Lakeien für längeren Hörgenuss doch etwas zu arg gotisch sind, finde ich hier die recht krasse Diskrepanz zwischen dem voluminösen Gesang und der spartanischen "Instrumentierung" spannend. War den einen Durchlauf jedenfalls wert. Sollte ich überraschenderweise in eine zweite L'ame immortelle - Phase kommen (deren gute Tage sind ja leider auch lange zurück) ist das Album vorgemerkt.