laut.de-Kritik
Lässt jeden Alt- und Neugothen auf den Dancefloor schleichen.
Review von Ulf KubankeBest Of-Sampler sind ein problematisches Feld. Oft tragen sie den schalen Beigeschmack von bequemlicher Zweitverwertung, Einfallslosigkeit oder gar Schlimmerem. Die Art passen glücklicherweise nicht einmal im Ansatz in ein solch trübes Schema. Auf ihrer aktuellen CD "Für Immer Und Ewig" bietet die englisch/deutsch singende Band einen Querschnitt ihrer (laut Selbsteinschätzung) besten Tracks in der Muttersprache.
Darunter befinden sich immerhin vier Neueinspielungen und drei komplett neue Songs. Eine solche Zusammenstellung ergibt im Fall der Leipziger ausnahmsweise Sinn. Der engagierte Output der ehemaligen DDR-Rockrebellen blieb vor und nach der Wende weitgehend ein regionales Ostphänomen. Im Westen der Republik sind sie ein komplett unbeschriebenes Blatt. Was liegt also näher, als 25 Jahre nach der Gründung dem gesamten Land zu präsentieren, was man drauf hat? So ein Vorhaben geht natürlich nur auf, wenn man im Back-Katalog über echte Juwelen verfügt. Aber diesbezüglich bieten die Sachsen keinerlei Angriffsfläche.
Dort, wo die artverwandten Fliehenden Stürme an ihre atmosphärischen Grenzen stoßen, die Kollegen von EA80 sich oft aggressiv in der Depression verlieren, fängt Die Art erst an. Die Mischung aus roher - nicht verrohter! - Punkenergie und getragen epischer Melancholie bleibt in dieser speziellen Klangform weitgehend einzigartig in Deutschland. "Tanzende Schwermut" lässt jeden Alt- und Neugothen entrückt auf den Dancefloor schleichen. Selten, dass ein Song rhythmisch offensives Uptempo und flächigeng Teppich zugleich zelebriert. Der "Ozean" zieht den ertrinkenden Hörer tief hinab in seinen unerbittlich schwermütigen Malstrom. "Das Schiff" bringt hiernach auf den Punkt, was die Band ausmacht. Alles geht treibend nach vorn, nimmt sich aber die Zeit, jede Zeile der Geschichte zu zelebrieren.
Überhaupt sind es Holger "Makarios" Oleys Texte, die dem trocken wavigen Klangkörper die schillernde Krone aufsetzen. Gänzlich unpeinliche Lyrik voll Herzblut und sprachlicher Poesie, die sich im deutschsprachigen Raum in der Minderheit befindet! "Die falsche Gesellschaft sitzt am falschen Tisch. Kauft sich ein Ticket für die Liebe auf Zeit; tanzende Schwermut! Und die Welt ist so weit." Auch Wucht und Bildhaftigkeit wie in "Sie Sagte" oder der Fortsetzungsstory "Das Schiff"/"Samtmarie" konterkarieren mit ihrer Sensibilität den nicht selten schroffen Soundmantel.
So kann sich jeder nach eigenem Geschmack die persönlichen Rosinen aus den 16 Songperlen heraus picken. Das Niveau schwankt nicht einmal minimal. Dennoch darf man hoffen, dass die gar nicht mal so alten Dark-Rock Helden sich nicht auf die faule Greatest-Hits-Haut legen, sondern dass dieser gesamtdeutschen Nabelschau bald viele neu komponierte Lieder folgen. In dieser Form zählen sie allemal zu relevanten Größen wie Einstürzende Neubauten oder Element of Crime.
5 Kommentare
Hier ist dem bösen Anwalt ein kleines Stück Kunst gelungen, meine ich. Ich lese nicht so oft Artikel, die Musik so auf den Punkt beschreiben. Mein dickstes Kompliment.
Ich suche seit Ewigkeiten nach Bands, die auch nur annähernd wie DIE ART klingen. Editors: nicht punkig/rockig genug; EA80 oder Stürme: nicht melodisch genug; Joy Division: ist härter und zackiger als DIE ART ...
Letztlich glaube ich, daß es Bands, die sauber in ein Musikschema passen - wie z.B. Die Stürme oder EA80 - leichter haben, ihr Publikum zu finden. Da weiß man, was man hat (Punk).
Aber DIE ART - melodischer Punkrock?
Ist das schon zu vielschichtig für manche Hörer?
Die ART sind einmal Punk, also Gegenbewegung und dann als Teil der "Die anderen Bands"-Richtung hinter dem eisernen Vorhang gewachsen. Und dann hat Makarios/Holger Oley nochmal seine ganz individuelle nicht einfache Biografie. Bei soviel Druck und Gegendruck ist es kein Wunder, dass da ein besonderes und einmaliges Gewächs gedeiht ist.
Unter den "anderen Bands" gabs schon einige, die das Potenzial hatten, in eine ähnliche Richtung zu gehen ("Herbst in Peking", "Tausend Tonnen Obst", "Freunde der italienischen Oper") - leider sind "die Art" die letzten Überlebenden dieser Art.
Ein guter Anknüpfungspunkt in dieser Richtung sind auf jeden Fall die parocktikum-Seiten:
http://podcast.parocktikum.de/
@ Kukuruz: naja, ich suche mehr so Bands, die MUSIKALISCH wie DIE ART klingen.
Aber wahrscheinlich gibt's die einfach nicht, wie der Anwalt schon schreibt.
Die Geschichte kenne ich ein bißchen, war für Parocktikum noch n'bißl jung, aber mache nach und nach Bekanntschaft der großen Moderatoren wie Holger Luckas und Roland Galenza (heute RBB).
Die FDIO sollen sich wiedervereint haben, sagen Freunde, die am 17.11. in Leipzig beim DDR-Punk-Revial-Festival waren.
Herbst in Peking hingegen hat die meisten seiner Musiker nach Jamaika geschickt. Kein Verlust, wie ich finde.
Warst du im Frannz bei DIE ART?
@DieRatte («
Warst du im Frannz bei DIE ART? »):
Ne. Leider hab' ich die ARTisten summa summarum nur zwei mal live gesehen. Mitte der Neunziger und zur "Alles was dein Herz begehrt"-Tour vor ein paar Jahren.
Was die Personen angeht: Wirklich interessant finde ich vor allem, was der unheimlich rührige Alexander Pehlemann so alles von seinem "Randstand" Greifswald aus macht. Insbesondere in Richtung Polen.
In seinem Magazin "Zonic" geht er aktuell auch auf die Veranstaltung in Leipzig ein. --> www.zonic-online.de
super Album super band.
nur schade das laut.de alle neuen Veröffentlichungen ignoriert hat.