18. Mai 2021

"J wachsen keine Hörner mehr aus dem Schädel"

Interview geführt von

Seit 16 Jahren sind Dinosaur Jr. nun schon wieder zusammen und damit um einiges länger noch als in ihren Gründerjahren. "Sweep It Into Space", das neue Album, schwingt sich dabei lässig auf die vordersten Plätze im Portfolio, die neue Doku "Freakscene" bietet zudem eine filmische Retrospektive über das legendäre Trio aus Amhurst.

Fast schon Tradition - ein neues Album von Dinosaur Jr. und alle so: Yeaaah! Im Zoom-Interview spricht ein bestens aufgelegter Lou Barlow, mit Big-Hair-Frisur und Stirnband, über das Leben in der Band einst und jetzt, das neue Album, die Prägejahre als junger Punk und die seherischen Qualitäten seiner Ehefrau.

Lou Barlow, neben dem neuen Dinosaur Jr.-Album feierte kürzlich auch "Freakscene", eine erste umfassende Band-Doku Premiere. Wie fühlt sich das an, 35 Jahre komprimiert auf 80 Minuten?

Das fühlt sich sehr schräg an. Eine Szene stach für mich besonders heraus, als J bei einem Konzert sauer wird und auf mich losgeht. Ich hatte das vorher nur auf irgendwelchen VHS-Kassetten kurz gesehen, jetzt so in voller Länge, das war schon ... wow ... das war speziell.

Abgesehen von den Zwistigkeiten und den unschönen Erinnerungen – wirst du nostalgisch beim Anblick alter Aufnahmen?

Ich spüre keinerlei Nostalgie. Natürlich bin ich stolz auf das, was wir erreicht haben. Die Band hat mir zudem ein Leben ermöglicht, mir so viele Erfahrungen und Erlebnisse beschert, die ich sonst nie gehabt hätte. Die Zeit damals war aber ganz sicher keine glückliche Zeit, von daher ist es schwer, nostalgische Gefühle zu entwickeln oder gar den Wunsch, das noch einmal zu erleben.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich das erste Album in meiner Heimatstadt Kiel, in einem kleinen Plattenladen, gekauft habe, allein "Forget The Swan" zwei Dutzend Mal am Tag gehört – ein komischer Gedanke, dass die Band, deren Musik mir von Beginn an soviel bedeutete, ein derart zerstrittener Haufen war.

Das kann ich nachvollziehen, aber du weißt auch, dass es bei Musikbands alles andere als außergewöhnlich ist, nicht miteinander klarzukommen.

Mir fällt gerade "On The Road With The Ramones" ein, das Buch von ihrem Tourmanager Monte A. Melnick. Hast du das mal gelesen?

Oh, ich liebe es. Das ist eines meiner Lieblings-Rock'n'Roll-Bücher überhaupt.

Stichwort dysfunktionale Familie ...

Absolut. Es gibt ein schönes Zitat von J: "Es ist besser, sich aufzulösen, als weiter im Van zusammen zu sitzen und darauf zu hoffen, dass das Konzert abgesagt wird."

Oha.

Ich weiß, das klingt ein bisschen harsch, aber es ist eben auch durchaus wahr. Wenn du an die Ramones denkst, dann ist dieses jahrzehntelange Aufeinanderhocken im Tourvan ja auch sehr belastend und problematisch. J hatte den richtigen Riecher, mich aus der Band zu schmeißen, bevor es zu schlimm geworden wäre. Ich bin halt ein Gewohnheitstier und habe mich auch langfristig solchen dysfunktionalen Beziehungen unterworfen. (lacht) J hat mir einen Gefallen getan, indem er mich rauskickte. Er ist ein schlauer Typ, und das war ein schlauer Move. Ich hätte sonst weiter im Van gesessen. So wie Johnny und Joey im Tourbus, voller Hass aufeinander.

Sprechen wir über die schöneren Dinge. Ich habe bei der Vorbereitung auf das Gespräch mit dir auch eine alte Single eurer ersten Band Deep Wound wieder aus dem Regal gezogen.

Ist das ein Original? Wow, du bist ein Glückspilz.

Sogar mit Textbeilage, lustig, die Credits mit den Telefonnummern von damals. Gerald Cosley zum Beispiel, den man in Sachen Booking anrufen sollte ...

... der damals der Macher von Homestead Records war und später beim Matador-Label miteingestiegen ist. Der brach zu neuen Ufern auf und hat große Dinge angeschoben. Heute ist Gerald in Austin und bringt famosen Garage Rock raus. Er hat mir neulich eine ganze Kiste mit Platten geschickt, absolut großartiges Zeug.

"Dead Kennedys? Das konnte ich meinem Vater und meiner Mutter nicht antun"

An einer Stelle im Film äußerst du den Anspruch, nicht einfach nur eine Show zu spielen, sondern das Publikum niederzumetzeln, "to assault the audience". Woher kam diese Wut?

Trinkst du da aus einem Sex-Pistols-Becher?

Yep.

Da hast du die Antwort. Genau daher kam es, vom Punkrock. John Lydons Verachtung seinem Publikum gegenüber wirkte sehr anziehend auf mich. Ich fand das cool. Er benahm sich daneben und mir gefiel das sehr.

Was genau daran?

Es war einfach aufregend, es war spannend. Als Lydon mit Public Image Ltd. durchstartete, zeigten auch die größeren Sender einige Interviews mit ihm. Der Typ war on fire, das war nicht zu übersehen. Wie er da so höhnisch herumstichelte, das war toll. Nicht ganz so extrem, aber ebenso einflussreich waren Devo. Ich weiß noch, wie ich sie 1978 zum ersten Mal im Fernsehen gesehen habe, bei "Saturday Night Live". Das öffnete mir eine Tür in eine ganz neue Welt, voller Gefahren und Abenteuer. Das Rohe, das Dekonstruktivistische daran war einfach unglaublich faszinierend. Für eine Generation wie uns, die vom Fernseher großgezogen wurde und daran gewöhnt war, dass die Dinge dort nett und freundlich und kontrolliert sind, war das eine Revolution.

Ein Aspekt war zudem, dass es die Alten schockte.

Das stand für mich eigentlich nie im Vordergrund. Meine Eltern waren immer sehr gut zu mir und unterstützten mich bei fast allem. Ihnen wollte ich damit sicher keinen Schaden zufügen, im Gegenteil. Ich erinnere mich daran, als ich die Dead Kennedys zum ersten Mal hörte und sie mich völlig umhauten. Ich kaufte mir das "Fresh Fruit For Rotting Vegetables"-Album, das war ein Hammer. Mein Vater hatte damals so eine ausrangierte Military-Jacke, die schnappte ich mir und schrieb feinsäuberlich "Dead Kennedys" hinten drauf. Jetzt mache ich den entscheidenden Schritt, sagte ich mir, jetzt werde ich ein echter Punkrocker. (lacht)

Ich weiß noch, wie ich damit zum ersten Mal aus dem Haus ging und dachte: Ich bring' das nicht. Ich kann es nicht durchziehen. (lacht schallend). Ich konnte das meinem Vater und meiner Mutter nicht antun. Dead Kennedys?!?! Warum eigentlich? Das kann man nicht bringen. Was hatte ich gegen die Kennedys, jetzt mal im Ernst?! Sehr lustig eigentlich. Ich habe sie auf den Dachboden gebracht und nie wieder angezogen. Mein Sohn trägt sie jetzt. Diese ganze Punkrock-Ästhetik ist ja auch überhaupt nicht mehr kontrovers, das ist normal geworden.

Lustig, dass du die Kennedys in diesem Kontext erwähnst. Ich hatte damals ein Songzitat von ihnen, "Are You Ready For The Third World War?", hinten auf der Lederjacke.

Das ist wirklich witzig, du hast also sehr ähnliche Dinge erlebt.

Ja, da gibt es sicher einiges an Parallelen, auch eine Band wie Devo hat mich damals völlig fasziniert und tut es ebenso heute noch. Wie ist es mit der zeitlichen Verbindung bei deiner Musik? Nimm' ein Album wie "Bug" und im Vergleich dazu "Sweep It Into Space" – würdest du da eine direkte Linie ziehen oder sind das zwei verschiedene Welten?

Das mag sehr schlicht klingen: Aber das ist für mich ein und dasselbe. Allein vom physischen Aspekt: Ich spiele exakt genau so wie damals. Ich sitze heute mit Murph in einem Raum und das läuft genauso ab wie 1988, als wir "Bug" aufnahmen. Die Grundformel der Band ist nach wie vor deckungsgleich und völlig intakt. In anderen Konstellation habe ich viele Varianten, wie ich Bass spiele. Wenn J uns aber einen Song zeigt, den Murph und ich dann mit ihm entwickeln, das Gerüst dieses Stückes herausarbeiten, ist das absolut identisch verglichen mit damals. Ich würde dir jetzt gern etwas darüber erzählen, wie ich mich weiterentwickelt habe, was das angeht, aber ich habe es nicht. (lacht)

"Dass ich eine Dinosaur-Single schreibe, schien völlig unmöglich"

Wie steht es mit deinen Gefühlen heutzutage, was das Musikmachen mit Dinosaur Jr. angeht?

Da gibt es grundlegende Unterschiede. Heute ist das ein wunderbarer, verinnerlichter Kreativprozess. J wachsen keine Hörner mehr aus dem Schädel. Damals hatte er diese teuflische Auswirkung auf mich und mein Leben. Aber bitte nicht missverstehen das Ganze: Ich war ja auch selbst Schuld daran. Was den Aufnahmeprozess angeht, lief das alles sehr zäh. Jetzt ist es wirklich wunderbar, sehr familiär. J und ich wohnen nahe beieinander, das passt alles.

Wenn du an die Reunion denkst, war das damals gleich klar, dass es funktionieren würde?

Das klickte von der ersten Sekunde an. Als wir uns hinstellten und wieder zusammenspielten, fühlte sich das an, als hätte man mich an einen Schnellzug gebunden. Es war umgehend so intensiv, so atemberaubend wie eine Maschine. Als wärst du auf ein Motorrad gestiegen, das du zum letzten Mal als 21-Jähriger gefahren bist und drehst jetzt gleich auf 120 Stundenkilometer. Waaah, das war verrückt. Meine Hände taten alles, was sie immer taten, das passierte auf unerklärliche Weise fast wie von selbst. Diese physische Verbindung zur Musik von damals zu fühlen, war außergewöhnlich, und so war es von Anfang an. Es war wild.

Einer meiner Schreiberkollegen kommentierte jüngst: Wenn es eine Dinosaur-Jr-Single von Lou Barlow gibt, dann ist Weltfrieden möglich.

(lacht) Da kann ich dir etwas Lustiges erzählen: Wir hatten die Platte fertig eingespielt, da wachte meine Frau eines Morgens auf und meinte, sie hätte den verrücktesten Traum gehabt. Sie meinte, "Garden" wäre im Fernsehen gelaufen, der Moderator hätte sowas gesagt wie: Und jetzt, meine Damen und Herren, die neue Single von Dinosaur Jr.: "Garden"! Ich habe zu ihr gesagt: Darling, das wird niemals passieren, ich werde niemals eine Single für Dinosaur Jr. veröffentlichen. Das meine ich nicht mal bedauernd, es ist einfach so und ich mache mir da keine Gedanken drüber. Nicht dass es mir egal wäre, es schien nur völlig unmöglich.

Als man mir dann sagte, dass "Garden" die neue Single werden würde, dachte ich nur: "What?!" Ich war fast schockiert und auch ein bisschen in Sorge. Ich dachte, das könnte das Gleichgewicht in der Band ins Wanken bringen, wobei es ja nicht einmal meine Entscheidung war. Aber meine Sorgen waren unbegründet. J fand es toll, war sofort heiß drauf, es zu spielen. Und es gibt ja sogar ein Video dazu. Ich sagte zu den Jungs, hey, ich habe Bock auf ein Video. Da dachte ich einen kurzen Moment lang, okay, jetzt habe ich den Bogen überspannt, jetzt bin ich zu weit gegangen. Aber auch das war okay für sie. Verrückt eigentlich, aber auch total cool.

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