laut.de-Kritik

Eine Bassline, härter als Arnold Schwarzeneggers Bizeps.

Review von

Ob alleine, als Mastermind von Major Lazer, mit Skrillex als Jack Ü, mit Mark Ronson als Silk City oder mit Labrinth und Sia als LSD: Diplo überzeugt immer. Unabhängig von den vielen Side-Projekten und Kollaborationen mit weltbekannten Stars schafft der US-Amerikaner, bürgerlich Wesley Pentz, auch als Solokünstler etwas, dass nur wenigen Musikern überhaupt gelingt: sich in verschiedenen Genres erfolgreich zu probieren, Offenheit und musikalische Vielfalt auszureizen und doch einen Signature-Sound zu entwickeln, der Fans aus aller Welt in den Bann zieht. Fans, die wie ich, dem neuen Album entgegenfiebern.

Auf "Diplo" besinnt sich der DJ und Produzent seiner Wurzeln, bedient gleichzeitig die aktuellen Trends der Szene und legt dabei die Messlatte wieder hoch. Die Platte überrascht und hört sich gleichzeitig nach Diplo pur an. Dabei hatte ich schon befürchtet, es könnte eher in Richtung belanglose Pop-Pampe gehen. Denn die vorab releaste Single "Don't Forget My Love" mit Sänger Miguel – gleichzeitig auch der erste Track des Albums – plätschert nur so vor sich hin, ohne zu gefallen oder anzuecken. Einfach langweilig.

Immerhin amüsiert das dazugehörige Musikvideo, in dem Diplo Miguels seltsame Freundin als schleimiges Alienmonster entlarvt, dass sich nur als Mensch tarnt und am Ende versucht, die beiden aufzufressen. Weirder Humor und "Men In Black"-Vibes vom Feinsten, fehlt nur noch Will Smith.

Weiter gehts mit "High Rise" und "Your Eyes". Zwei Songs, die in die Tiefen des Deep House eintauchen. Atmosphärische Synthies und Soundeffekte mit sanftem Gesang, begleitet von elektronischen Drums in einem ganz eigenen Rhythmus zwischen klassischem Four-On-The-Floor-Beat und Dancehall-Einflüssen. Beachtenswert ist die einzigartige Stimme des australischen Sängers RY X, die perfekt zu "Your Eyes" passt.

Auch "One By One" ordnet sich in diese Reihe überraschender Stücke ein. Überraschend, weil sie eine neue, ruhigere Seite von Diplo zeigen. Neben tanzbaren Bangern gelingt es ihm eben auch, den deepen Part der House-Musik perfekt in Szene zu setzen. Beats, die schieben, die man gleichzeitig aber auch als entspannte Hintergrundmusik während der Arbeit laufen lassen kann.

Es folgt eines meiner Highlights: das Intro von "Promises" mit Paul Woolford und Kareen Loomax. Wer hätte gedacht, dass Piano-Chords, ein simples Fingerschnipsen und ein bisschen Gesang im The Weeknd-Style so viel Bock auf ein Lied machen? Schade, dass der Rest des Songs dann eher nach glattgebügeltem, hitverdächtigem Standard-Dance klingt. Da wäre mehr drin gewesen.

Heute kennen die meisten Diplo nur noch als Produzenten eben dieses Mainstream-EDMs. Trotz seiner Begeisterung besonders für House war das nicht immer so. Bekannt wurde der 43-Jährige als Teil des DJ-Duos Hollertronix. Gemeinsam mit Low Budget legte er damals in den Clubs bevorzugt amerikanischen Rap auf. Auch sein Debütalbum "Florida" bewegte sich 2004 mit vielen Samples mehr in der Welt des Hip Hop.

Knapp 18 Jahre ist das her, Diplos Musik heute ist eine andere. Den Bezug zum Hip Hop hat er trotzdem nie verloren, wie "Right 2 Left" vom neuen Album zeigt. Rap-Größe Busta Rhymes ist auf dem sehr experimentellen Track zu hören: Allerdings nur mit zwei Sätzen, die gesampelt und durchgängig wiederholt werden: "Hot to death, we swingin' it from right to left / Bassline for all of my people movin' around." Interessant zwar, aber angesichts dieser Künstlerkombi hätte ich mehr erwartet.

Mit Lil Yachty ist auf "Humble" direkt der nächste Rap-Star zu Gast. Dass nur etwas Gutes herauskommt, wenn sie kollaborieren, haben beide schon mehrmals bewiesen: ob 2017 mit "Forever Young" auf Lil Yachtys Album "Teenage Emotions" oder 2018 mit "Worry No More" von Diplos EP "California". "Humble" springt nun auf den Tech-House Hypetrain auf. Aber eben nicht in einer 'Ich kopier die anderen, damit ich in die Charts komme"-Art, sondern mit fetten Drums und einer Bassline härter als Arnold Schwarzeneggers Bizeps. Würde mich nicht wundern, wenn der Song in nächster Zeit ein Dauerbrenner in den wiedereröffneten Clubs wird.

Apropos Dauerbrenner: Über "On My Mind" mit Sidepiece braucht man nicht mehr viel zu sagen, oder? Auf allen Streaming-Plattformen durch die Decke gegangen, von allen Radiosendern mit offenen Armen empfangen, die Charts dominiert und sogar für einen Grammy nominiert: Der Erfolg spricht für sich.

"Don't Be Afraid" mit Damian Lazarus und Jungle schnappt sich alles, was an Popmusik gut ist und macht einen Bogen um alles, was daran nervt. Ein grooviger Bass und spielerische Percussions werden in den typischen Sound des Albums eingebettet. Herauskommt ein wenig herausragender Song, aber einer, der einfach gute Laune macht.

Gute Laune ist auch das perfekte Stichwort, um über "Let You Go" zu sprechen: Der Anfang des Tracks reizt, man hört weiter - und wird belohnt: Ich kann nicht genau beschreiben, warum und wie, aber der Drop löst einen regelrechten Schwall an Glücksgefühlen aus. Einfach genießen!

Welches Elektro-Genre hatten wir jetzt noch nicht? Trance vielleicht? Kein Problem, da kommt schon "Forget About Me" mit AlunaGeorge und Durante um die Ecke. Der Track erinnert an Robert Miles' legendäres "Children", könnte genauso gut von Armin Van Buuren oder Tinlicker stammen und verdeutlicht mal wieder, wie breit Diplo musikalisch aufgestellt ist.

Danach flacht das Album etwas ab. Zum Schluss greift Diplo aber noch mal auf die Kombi zurück, die bei "Promises" schon so gut funktioniert hat. "Looking For Me" mit Paul Woolford und Kareen Loomax bildet den Feel Good-Abschluss eines Albums, dass wenig spektakulär, aber mit richtig guter Musik beweist, dass Elektro-Chamäleon Wesley Pentz auch nach fast 20 Jahren im EDM-Game noch immer einer der ganz Großen ist. Was kann dieser Diplo eigentlich nicht?

Trackliste

  1. 1. Don't Forget My Love
  2. 2. High Rise
  3. 3. Your Eyes
  4. 4. One By One
  5. 5. Promises
  6. 6. Right 2 Left
  7. 7. Humble
  8. 8. On My Mind
  9. 9. Don't Be Afraid
  10. 10. Let You Go
  11. 11. Forget About Me
  12. 12. Make You Happy
  13. 13. Waiting For You
  14. 14. Looking For Me

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Diplo

Diplo, mit bürgerlichem Namen Wesley Pentz, bekannt auch als Antrieb von Major Lazer, beginnt seine Laufbahn als Dj und Produzent nach einem kurzen Ausflug …

Noch keine Kommentare