laut.de-Kritik

Neuer UK-Pubrock der Libertines-Splittergruppe.

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Erhöhter Alkoholkonsum mit anschließendem, stationär behandeltem Bauchspeicheldrüsenkollaps; die jüngsten Neuigkeiten um Carl Barât passen ironischerweise pfundig zum musikalischen Output seiner Truppe. War doch der Erstling "Waterloo To Anywhere" moderner Pubrock à la carte, dem, auch wenn man ihn sich wahrlich nicht schön saufen musste, drei Bier ganz ordentlich zu Gesicht standen.

Nun geht es dem Chef der Dirty Pretty Things inzwischen schon wieder besser. Dennoch liest es sich exemplarisch für die Hierarchie in der Libertines-Splittergruppe, dass nach Barâts Knock-Out gleich die ganze Band brav die Finger vom bösen Dosenbier ließ. Demokratie, wie sie sich jeder Diktator, pardon Monarch, wünscht.

Das als Single ausgewählte, eher halbherzige "Tired Of England" macht in patriotischem Überschwang deutlich, dass den vier Lads selbst fern der Londoner Heimat der Union Jack auf die Lederjacke getackert ist. "Romance At Short Notice" entstand zu großen Teilen in Los Angeles, abgeschottet von den berühmten Promeniermeilen in betonierter Einöde.

Vielleicht sind die gelegentlichen Ausflüge der Band nach 29 Palms, ins stille und staubtrockene Paradies des Joshua Tree-Nationalparks, die Ursache für das insgesamt gezügeltere Tempo des Zweitlings. Einzig "Best Face" nimmt gegen Ende noch einmal den liebgewonnenen Schlinger-Punk-Kurs von "Deadwood" und "Gin & Milk" auf, deutlich mehr Zeit verwendeten die Dirty Pretty Things diesmal aber auf Arrangements.

Schon der Variété-Beginn "Buzzards And Crows" erinnert an die Spät-60er-Kinks, ein Einfluss, der immer wieder durchscheint, etwa in den schön gesetzten Chören von "Tired Of England". Im gelungenen "Hippy's Son" legt Barât mit deutlichen Worten Zeugnis seiner blumenumrankten Sozialisation ab.

Was als Songwriter in ihm steckt, führt er etwas später in der Akustikballade "Faultlines" zur Perfektion, die ihn aber scheinbar so viel Herzblut kostete, dass für den Streicher-Kraftakt "The North" am Ende nichts mehr übrig blieb.

Trotz unwiderlegbaren Highlights beschleicht einen doch des öfteren das Gefühl, die Band trage auf "Romance At Short Notice" ihre Geistesblitze mit allzu lässiger Geste vor. Gute Ansätze, wie in "Truth Begins" oder "Chinese Dogs" leider nur angedeutet, bleiben Stückwerk und allzu brave Akkordarbeit ("Plastic Hearts") sollten sich die Herren besser für ihre B-Seiten aufbewahren.

Wenn Barât dann auch noch unabsichtlich "beg, steal and borrow" singt, fällt es noch schwerer, sich nicht seines alten Partners in crime zu erinnern. Zu jenem findet der phantasiebegabte Fan auch wieder die ein oder andere leibgeschneiderte Zeile, etwa: "Why oh why can't we change things / this is destroying me inside / you know you wanna run away" - und kurz darauf - "we shed our dreams on nearly everything / in between I'll never forget those long lost days in a haze / where we lost ourselves with no apology" (aus "Faultlines").

Und weil mir meine Eltern verdammt viel Phantasie mitgegeben haben, lief mir auch noch folgende Zeile über den Weg: "After a month our friendship wained / cos your ambitions to a fault / why did I let you in my brain? / just look in these western eyes" (aus "Kicks Or Consumption").

Tragischerweise bleibt von einigen Songs ungleich weniger hängen, selbst wenn sich die Dirty Pretty Things mit "Blood On My Shoes" nochmal ordentlich verabschieden. Carl wirds nicht gern hören, aber der lange Schatten seiner Vergangenheit lastet der Truppe weiter an.

Trackliste

  1. 1. Buzzards And Crows
  2. 2. Hippy's Son
  3. 3. Plastic Hearts
  4. 4. Tired Of England
  5. 5. Come Closer
  6. 6. Faultines
  7. 7. Kicks Or Consumption
  8. 8. Best Face
  9. 9. Truth Begins
  10. 10. Chinese Dogs
  11. 11. The North
  12. 12. Blood On My Shoes

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