laut.de-Kritik

"They are the Clash of our generation!"

Review von

22. Mai 2006, London, The Forum: Dirty Pretty Things–Sänger Carl Barat tritt auf die Bühne, stimmt den ersten Song an und trällert so vor sich hin, da feuert ihm doch glatt ein aufgebrachter Fan einen Bierbecher an den Kopf! Hast du das gesehen? So was?! Zum Glück bleibt Barat ruhig – das Ganze juckt ihn nicht sonderlich. Ein gewisser Herr Doherty hätte da sicher sofort erbost das Konzert beendet und wäre angepisst von der Bühne gezogen, um anschließend wüst zu randalieren und Fotografen zu verprügeln! Barat tut nichts dergleichen.

Der Dirty Pretty Things-Sänger ist eben ein friedliebender Zeitgenosse, ohne Drogen- bzw. Rüpel-Allüren, wie man sie vom ehemaligen Libertines-Kollegen kennt. Und zudem hartgesotten, Carl tritt auch schon mal mit gebrochenem Schlüsselbein auf, und das schmerzt wirklich (da spreche ich aus eigener Erfahrung)! Das Konzert wird also nicht Hals über Kopf abgebrochen, nein, die Jungs spielen einfach munter weiter – die Fans hätten es ihnen wahrscheinlich auch nicht so schnell verziehen, und man hätte letztlich auch keine "Dirty Pretty Things - Live At The Forum"-DVD rausbringen können.

Doch braucht man die überhaupt? Eigentlich möchte man doch viel, viel lieber direkt zum Konzert gehen, seine Idole hautnah erleben und mitgrölen! Leider beehren uns Carl & Co. hierzulande vorerst nicht - der deutsche Durchschnittsfan der Post-Libertines-Band ist wahrscheinlich auch nicht gewillt, mal eben schnell nach England zu jetten. Das bringt mich zu dem Schluss: Ja, ein deutscher Fan kann sich die "Puffing On A Coffin Nail" ruhig zulegen! Immerhin erhält er für sein Geld nicht nur die Aufzeichnung des London-Gigs, sondern noch eine Reihe Konzertmitschnitte mehr – Paris, Rom, Dublin und ein Paar weitere London-Auftritte lassen das Herz eines jeden Fans höher schlagen. Noch einige Bonus-Goodies (Band- und Fan-Interviews, Konzert-Dokumentation, etc.), und die Sache ist rund.

Dreh- und Angelpunkt ist jedoch der Forum-Gig, in voller Länge mitgeschnitten – 50 Minuten Dirty Pretty Things in Aktion und ein Publikum, das genauso Gas gibt, wie die Band selbst. Das beeindruckt vor allem dann, wenn man weiß, dass das Forum keine kleine "Klitsche" ist, sondern eine stattliche 2000-Mann-Halle, die die recht jungen Dirty Pretty Things ab dem 22. Mai drei Tage in Folge bespielten und füllten. Scheinbar mühelos – das Publikum ist von Anfang an hin und weg und scheut sich nicht, dies zu zeigen.

"Deadwood" eröffnet das Set, schnell dynamisch und energiegeladen – ein wahrhaft guter Opener, der ordentlich einheizt. Es folgt "Doctors And Dealers", den Fans wird keine Verschnaufpause gegönnt! Dann "If You Love A Woman" – Carls Homage an alle weiblichen Fans. "Wondering" bietet erstmals Zeit zum Durchschnaufen und kommt melodischer daher. Mit "The Gentry Cove" und "Blood Thirsty Bastards" ziehen die Dirty Pretty Things das Tempo wieder an, um bei "You Fucking Love It" wieder voll aufzudrehen. Und spätestens jetzt rasten auch die verhaltensten Zuschauer aus – The Crowd Fucking Loves Them!

Auch die restlichen Tracks von Waterloo To Anywhere, allen voran "Gin & Milk", heizen gehörig ein. Abgerundet wird der Gig mit "Bang Bang You're Dead", und da die Fans noch nicht am Ende sind, schreien sie auch munter "Zugabe". Die Dirty Pretty Things ziehen sich derweil hinter die Bühne zurück, um nach kurzer Selbstbeweihräucherung noch einmal zurückzukehren. Leider spielen sie nur einen einzigen Zusatzsong ("B.U.R.M.A."), lassen sich dann aber auch nicht lumpen, gekonnt in die Menge zu springen und sich abermals ausgiebig feiern zu lassen. Bei nur einem Album kann das Songrepertoire der Briten eben noch nicht all zu umfangreich sein. Als Entschädigung für die knappe Zugabe kann man sich im Anschluss ja die diversen anderen Konzertmitschnitte anschauen.

Zusätzliches Bonusmaterial liefert einen Einblick hinter die Kulissen. Neben einigen Videodrehs (Making of von "Bang Bang You're Dead"/"Deadwood"/"Wondering") darf man den Jungs beim Proben über die Schulter schauen – allerdings mit relativ schlechtem Sound unterlegt, das schmälert die Freude. Gegen die Konzertvertonung ist nichts einzuwenden, gegen die Filmqualität dagegen schon. Leider sind weite Teile der Aufnahmen kolossal verschwommen und verwackelt. Auch wenn die Dirty Pretty Things als Garage-Punk-Band durchaus ein wenig schrammelig daher kommen dürfen, für die Aufnahmequalität ihrer DVDs sollte Gleiches nicht gelten – den Zuschauer verärgert das eher!

Alles in allem ist "Puffing On A Coffin Nail" aber dennoch eine sehenswerte DVD und die Dirty Pretty Things natürlich eine sehenswerte Band! Auch wenn eine Aufzeichnung immer nur ein relativ unzureichender Ersatz für den Gig-Besuch sein kann, die DVD beweist trotzdem, dass die Libertines-Nachfolgeband beeindruckende Live-Qualitäten zu bieten hat. Und man versteht sicherlich auch, warum sich ein Mitte 20-jähriger Fan euphorisch zu folgenden Worten hinreißen lässt: "They are the Clash of our generation." Zu viel des Lobs? Überzeugt euch selbst, "Puffing On A Coffin Nail" bietet eine den Möglichkeiten des Mediums entsprechend passable Konzertalternative.

Trackliste

  1. 1. Deadwood
  2. 2. Doctors And Dealers
  3. 3. If You Love A Woman
  4. 4. Wondering
  5. 5. The Gentry Cove
  6. 6. Blood Thirsty Bastards
  7. 7. You Fucking Love It
  8. 8. Gin & Milk
  9. 9. The Enemy
  10. 10. Last Of The Small Town Playboys
  11. 11. Bang Bang You're Dead
  12. 12. B.U.R.M.A.

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Die Geschichte der Dirty Pretty Things beginnt ungefähr in dem Moment, als Carl Barât seine alte Band - die Libertines - nicht mehr als solche betitelt, …

1 Kommentar

  • Vor 16 Jahren

    @laut.de (« [...] da feuert ihm doch glatt ein aufgebrachter Fan einen Bierbecher an den Kopf! Hast du das gesehen? So was?! Zum Glück bleibt Barat ruhig – das Ganze juckt ihn nicht sonderlich. Ein gewisser Herr Doherty hätte da sicher sofort erbost das Konzert beendet und wäre angepisst von der Bühne gezogen, um anschließend wüst zu randalieren und Fotografen zu verprügeln! [...] »):

    wtf? als ob :uiui: :\
    :arrow: :saint:
    :D

    sonst klasse :illphone:
    *the doctors and the dealers...* mitsing und freu :)