laut.de-Kritik

Diese Streikschilder werden nie eine Demo sehen.

Review von

Disarstar ist ein Rapper, zu dem sich leicht ein kompliziertes Verhältnis aufbauen lässt. Sein Status als linker Straßenrapper ging mit allerhand komischen Zuordnungen einher. Fans bauen ihn manchmal ein bisschen mehr als messianische Figur auf, als er es einhalten kann, Kritikerinnen und Kritiker schieben ihm aber genauso manchmal seltsame "ja aber warum macht er nicht dies und das und so und so"-Projektionen zu, die er niemals erfüllen könnte.

Tatsächlich hat er mit "Deutscher Oktober" mindestens ein richtig gutes Album auf dem Kerbholz, und eigentlich findet sich auf jedem seiner Projekte auch jenseits von stabiler Haltung und Attitüde der ein oder andere Song, der unter die Haut geht. Seine neue EP "Autopilot" zeigt nun aber das Gegenstück der Medaille: Dass auf jeden starken Song ein generischer Song voll Phrasen und Pathos kommt.

Auf einer rein handwerklichen Ebene hat dieses Album ein grundsätzliches Problem: Disarstar rappt ganz viel über Struggles, aber nicht, über welche Struggles. Vielleicht kommt das daher, dass der Kerl sein Mojo schon sehr klar gemacht hat und die Leute seine Geschichten kennen und wissen, worum es ihm so geht. Dementsprechend liegt ein eingeschworenes "ihr wisst schon" über den Texten dieser EP. "Glaub mir, auf eins ist Verlass / Friede der Hütte und Krieg dem Palast" rappt er fast pflichtschuldig auf dem Refrain von "Grauburgunder", ziemlich sicher, dass diese Formel nicht das erste Mal in einem seiner Hooks vorkommt, und den Rest des Songs arbeitet er sich listenhaft an den üblichen Gegnern ab.

Das war schon immer ein Ding mit ihm, dieses relativ simple Beschwören von einfachen Feindbildern. Amazon Prime, RTL 2, zugezogene Vermieter, Schlipsträger und Politiker. Warum? Weil die alle noch nie in seiner Nachbarschaft waren. Grundsätzlich: Diese Fähigkeit zum linken Populismus ist wahrscheinlich eine der großen Stärken von Disarstar. Die Fähigkeit, Musik zu machen, die eine Demo ein bisschen epischer klingen lässt, aus der man Schulterschluss heraushört, das ist alles gut und effektiv. Auch die Feindbilder sind (offensichtlich) alle valide. Aber gerade hier wirken sie nicht nur wie Formeln, sondern wie abgestandene Formeln. Diese Streikschilder sehen da gerade bei Weitem nicht ihre erste Demo.

Vielleicht ist das auch, warum er diese EP gerade machen muss. Auf irgendeine Weise klingt sie wie das Phänomen des Aktivisten-Burn-Out. Allein das Intro "Schmerz" - der Beat klingt nicht unansprechend. Gerade der zweite Part leiert ein bisschen: "Könnte sagen so war es schon immer / doch wird's mit den Jahren noch schlimmer / Seh mich als Kind wie ich saß in dem Zimmer / Könnte weinen wenn ich mich an damals erinner'" - das hat alles so wenig Detail, so wenig Konkretes. Was hat er im Zimmer gemacht, worüber wir jetzt weinen? Es ist eine von vielen Stellen dieses kurzen Tapes, auf dem die Hörenden mit der eigentlichen Kreativarbeit allein gelassen werden.

Stattdessen bekommen wir zwar nonstop "Dämonen", "Schmerz" und "psychischen Knacks" erzählt, aber nie so recht, was darin eigentlich enthalten ist. Die Erwähnung einer Schwester, die Throwbacks gibt, ist ein Detail, das Interesse an mehr weckt, die Passage auf "B.D.B.B." darüber, dass er guten Zeiten kaum noch vertrauen kann, ist ebenfalls ein gelungener Schnappschuss dazu, was Paranoia mit einem Menschen machen kann. Aber im Grunde hat er recht wenn er sagt "sollte das alles einem Psychiater erzählen", denn eine richtig besitzergreifende Form nimmt das Material auf dieser EP leider nicht an. Auch musikalisch gibt es wenig, das so richtig Impulse setzt oder sich hervortut, es ist grimmiger, aber letzten Endes eher austauschbare moderne Straßenrap-Produktion, ein bisschen Trap, ein bisschen Drill, aber nichts, was musikalisch so richtig ein Ausrufezeichen ergeben würde.

Es wäre zu einfach, den EP-Titel als Diagnose zu verwenden, leider passt es wirklich außerordentlich gut zum Projekt. Das ist eine Disarstar-EP, ja? Der Kerl hat eine geile Stimme, kann sehr gut rappen, hat ein ganz eigenes Universum und Projekt und verfängt sich doch gern zu sehr in vagen Bildern und Plattitüden. Viel von dem, was Tapes wie "Deutscher Oktober" noch geil machte, die Solidarität, der Hunger, das ehrliche Sprechen für Leute in der gleichen Lage, geht hier ein bisschen zwischen Grimm und Zunder unter – was bleibt ist weniger Politik und eher ein angemessen zehrender Blick in die Psyche eines offensichtlich sehr gestressten Protagonisten.

Trackliste

  1. 1. Schmerz
  2. 2. Was Du Nicht Sagst
  3. 3. B.D.B.B.
  4. 4. Grauburgunder
  5. 5. Nirvana
  6. 6. 112
  7. 7. Autopilot
  8. 8. 5 Uhr

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2 Kommentare

  • Vor einem Jahr

    Ein ganz unangenehmer Zeitgenosse

  • Vor 3 Monaten

    Sag mir, dass du noch nie mit Depressionen zu tun hattest, ohne zu sagen ... Naja. Es ist eigentlich offensichtlich, worum es geht, aber wer anscheinend keine Ahnung hat, wie sich das anfühlt und auch keine Empathie dafür mitbringt, für den ist diese EP vielleicht einfach nicht. "Mach keine Songs darüber, wenn es dir schlecht geht, weil oh nein, es könnte sich anstrengend anhören"... Weiß nicht, dachte wir wärn über dieses Stadium hinweg. Stellt euch bloß mal vor wie anstrengend es ist, damit zu leben.