laut.de-Kritik

Tief rollende Bässe, als ob es kein Morgen gäbe ...

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Rap aus Großbritannien ist anders als Rap aus den USA. Wer das nicht glaubt, dem sei Dizzee Rascals Erstwerk "Boy In Da Corner" an Herz und Gehör gelegt. Gerade mal 18 Lenze zählt der Knabe, zwei Jahre Erfahrung mit aktivem MCing kann er vorweisen, und legt ein Debütalbum vor, das nicht nur bei Experimentalisten für offene Münder sorgen wird.

Denn "Boy In Da Corner" bietet straighte Raps auf abwegigen Beats. Die Tracks muten fantastisch futuristisch wie "I Luv U" an, zum Teil recht elektronisch konstruiert, dem Trip Hop oder Drum'n'Bass näher als dem klassischen Hip Hop. Kein Wunder, dass Mike Skinner alias The Streets den Londoner Youngster für das fresheste hält, was Hip Hop im Moment zu bieten hat.

Das Gefühl bleibt nicht aus, überrumpelt zu werden, das Album überrollt den Hörer förmlich und hinterlässt einen steifen Nacken. Oder kommt das nur vom Bangen? Kann schon angehen, denn bei Tracks wie "Stop Dat" oder "Fix Up, Look Sharp" gibt es wuchtige Auf-Die-Fresse-Beats, denen durch intelligentes Sampling gleich wieder ein bisschen Härte genommen wird. Dazu verteilt das Roll Deep Crew-Mitglied wie in "Live O" tief rollende Bässe, als ob es kein Morgen gäbe. Der "Brand New Day" kommt dennoch, und überrascht mit asiatisch anmutendem Gedengel und tropfenden Soundcollagen.

Über all das stolpert die gewöhnungsbedürftige, fast hysterische Stimme von Rapper Dizzee, der fast ohne Unterstützung von anderen Rappern auskommt. Nur auf "2 For" und "Hold Ya Mouf'" helfen Crew-Mitglied Wiley und God's Gift aus. Gerade letzterer besitzt ein DMX-ähnliches Organ, das eine perfekte Ergänzung zu Rascals hohem Stimmchen darstellt. Ein absoluter Höhepunkt des Höllenritts ist das ausgeflippte "Jus A Rascal" mit seinen superaggressiven Raps und harten Gitarren, unterbrochen von einem opernhaften Chorus.

Doch so anspruchsvoll das Ganze daher kommt, so sehr wurzelt Dizzee Rascal im Ghetto. Die Geschichten, die er mit einer manchmal unglaublichen Geschwindigkeit spittet, kommen von der Straße, da bleibt kein Zweifel ("Hold Ya Mouf'"). Entsprechend bietet "Sittin' Here" einen düsteren Ausblick auf das was kommt. Da sitzt der junge Frechdachs herum und denkt über sein Leben im Viertel nach. Polizeisirenen und Schusswechsel inklusive. Kein Zweifel: der East End Boy musste durch die harte Schule des Lebens gehen und zahlt es jetzt mit einem wahren Brocken von Album zurück. Ein Vergnügen ist "Boy In Da Corner" nicht immer, dazu ist es zu komplex und anstrengend. Aber verdammt gut.

Trackliste

  1. 1. Sittin’ Here
  2. 2. Stop Dat
  3. 3. I Luv U
  4. 4. Brand New Day
  5. 5. 2 Far (Feat. Wiley)
  6. 6. Fix Up, Look Sharp
  7. 7. Cut ‘Em Off
  8. 8. Hold Ya Mouf (feat. God’s Gift)
  9. 9. Round We Go (Ain’t No Love)
  10. 10. Jus’ A Rascal
  11. 11. Wot U On?
  12. 12. Jezebel
  13. 13. Seems 2 Be
  14. 14. Live O
  15. 15. Do It

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