laut.de-Kritik
Dölls Weg aus dem Dreck ist Therapie und Selbsthilfe zugleich.
Review von Lukas Rauer"Weit Entfernt" hieß Dölls letztes Release 2014, eine EP, und man hatte sich schon damit abgefunden, dass sich dieser Titel auch auf ein mögliches Studioalbum bezieht. "Nie Oder Jetzt" ist nun tatsächlich sein Debütalbum. Der Weg dorthin war alles andere als leicht: Prekäre Verhältnisse, Spielsucht, Kriminalität, eine fehlende Vaterfigur und Scherben der Liebe bilden (leider) das Grundgerüst eines unheimlich atmosphärischen Albums. Intime Themen verpackt der Hesse so deep, dass man bei jeder Zeile mitfühlt.
"Für Den Fall" beginnt mit einer Whatsapp-Sprachnachricht, in der er die ersten Bars rappt und unter anderem den Kampf mit sich selbst skizziert. Nach der Frage "Mann, was machst du so lange, Döll?" setzt der Beat richtig ein, während Döll verrät, dass er zeitweise gar an ein Karriereende dachte. Dank des beherzten Eingreifens seiner Freunde und der Erkenntnis "Was ich kick', ist zu bös'" rappelte er sich wieder auf.
Dass ihm Fortuna in der Vergangenheit nicht hold war, spürt man beim Hören relativ häufig. In "Waldemar" handelt er seine Spielsucht ab und veranschaulicht auf simple, aber eindringliche Weise, wie schnell man in einen Teufelskreis gerät. Jeder, der schon mal in einem Wettbüro saß, kennt die Verlockung, zunächst eher auf die Favoriten und später auf die Underdogs zu setzen.
Lines wie "Noch vor 'nem Jahr hing ich beinah' an 'nem Strick" sind starker Tobak, doch es folgt die Erkenntnis, den Schulden und dem Hass besser einen dicken Mittelfinger zu zeigen. Dölls Tiefpunkte münden eventuell in einen zukünftigen Klassiker, wie er unfreiwillig selbst formuliert: "Wenn mich irgendwas mal überdauern sollte, ist es das."
Seinem Bruder Mädness widmet er nicht nur die Hook auf "Ich bleib", sondern fast den gesamten Song, denn dieser brachte ihn zum Hip Hop und stand ihm immer zur Seite. Ein Song für die berühmt-berüchtigte Bruderliebe. Selbst die Abrechnung mit der Ex und mit nicht genannten Labels ("Nie Oder Jetzt") gerät ungemein catchy. In "Héctor Lavoe" ehrt Döll den gleichnamigen puerto-ricanischen Komponisten, der mit zahlreichen Todesfällen von Angehörigen, Drogenproblemen und einem Label-Knebelvertrag konfrontiert war. Dennoch schließt der Song mit einem Toast auf sich und die Fans.
Bluestaeb, Dexter, Enaka, Gibmafuffi, Morlockko Plus, Nobody's Face, Sterio, Torky Tork und Yassin sind für den Sound von "Nie Oder Jetzt" verantwortlich. Neun Produzenten bei lediglich zwölf Tracks und einem Skit klingen im ersten Moment too much, doch stattdessen dürfte das homogene Konstrukt Hip Hop-Romantiker mit Vorliebe für Boombap, hallende Synthies und Samples mit der Zunge schnalzen lassen.
Außer Gibmafuffi (auf dem Skit "Halblegal") fehlen Features, was durchaus stimmig ist: Es geht hier um Dölls Weg aus dem Dreck und diesen Weg musste er einfach, so pathetisch das klingt, alleine bestreiten. "Seinen Weg gehen, macht nur dann Sinn, wenn man auch ein Ziel hat." Word up. Mithilfe der Texte sagt er das, was er mit Worten nicht geschafft hatte. Sie sind sein Schlüssel zur Aufarbeitung eines von Problemen gezeichneten Lebens. "Nie Oder Jetzt" ist somit Therapie und Selbsthilfe zugleich und mausert sich zum ersten Highlight des Deutschrap-Jahres, ja, zu einem der besten Debütalben seit Jahren.
10 Kommentare mit 28 Antworten
Sehr gutes Ding...Jetzt muss Yassin am Freitag nachziehen
vorabsingles lassen befürchten: das wird nix.
Yassin ist dermassen whack ohne Audio. Audio hingegen meisterhaft ohne Yassin.
Ich lasse das mal hier... https://www.plattentests.de/rezi.php?show=…
uff..hört sich grauenhaft an. Bin gespannt.
Aua!
Gab doch die letzten Monate einige gute Singles mit Audio dabei...dachte, da sollte auch noch ein Album kommen
Hm, klingt ja leider nicht sehr vielversprechend... Wie Django schon sagte, gab einige richtig gute Songs von Audio und Yassin im letzten Jahr, hatte mich schon gefreut auf das Album.
Habs einmal durch und feier es nicht. Nichts als Gewäsch. Mochte seinen Rapstil eigentlich. Ist mir zu backpackig.
Leider etwas langweilig geworden das Teil. Zu wenige Highlights
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Das erste Hip-Hop Album 2019 das ich höre ohne Autotune: Pluspunkt. Ansonsten sehr solide, viele Beats erinnern mich an die späten 90er, gerade in den ersten Songs fühlte ich mich musikalisch etwas an Freundeskreis erinnert.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Finde es eigentlich schon ganz gut, gerade hintenraus. Vorher zugegeben ab und an ein bisschen wenig Unterhaltung. Der Sound erinnert mich irgendwie an Azads Leben, alte Nummer natürlich, aber finde ich immer noch nicht die schlechteste Referenz. 5/5 halte ich für auch übertrieben.