laut.de-Kritik
Der Troll, der kein Popstar mehr sein wollte.
Review von Mirco LeierDoja Cats Karriereverlauf gehört zu den kuriosesten in jüngerer Vergangenheit. Nicht nur weil sie durch einen Meme-Song zum Weltstar wurde, sondern auch weil sich ihre Edgelord-Persona einfach nicht in das Korsett eines nahbaren, umgänglichen Megastars zwängen lässt, der Luftküsschen verteilt und immer fromm in die Kamera lächelt. Für jeden Hit ihrer Karriere folgte der Kalifornierin auch eine dazugehörige Kontroverse auf dem Fuß. Nach ihrem Durchbruch grub man uralte, homophobe Tweets von ihr aus, wenig später hieß es, sie würde in Chatrooms mit rechten Trollen rumhängen, und nun stellt man sie an den Pranger, weil sie sich von ihrer eigenen Fanbase distanziert.
Die Promophase von "Scarlet" liefert ein Paradebeispiel dafür. wie toxisch die Stan-Culture auf Social Media geraten kann. Nachdem die Rapperin ihr eigenes Frühwerk als 'Cash grab' disste und sich der teils fast schon sektenhaften Fan-Kultur verwehrte, die sich um ihre Person herum entwickelt hatte, entfolgten ihr binnen weniger Tage Millionen von Menschen. Man verschrie ihr nächstes Album schon vor Release als Flop, malte gar ihr Karriereende an die Wand. Doch es kam anders: Anstelle in Irrelevanz zu versinken, landete Doja Cat mit "Paint The Town Red" ihre erste Solo-Nummer 1. Denn was Doja Cat noch besser versteht, als die Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen, ist es, dieses Momentum zu ihren Gunsten zu nutzen.
In meiner Review zu ihrem letzten Langspieler konstatierte ich noch, wie raketenartig Dojas Aufstieg an die Spitze verlief, auf "Scarlet" sehnt sie sich nun wieder nach einer ruhigen Zeit zurück. "I'd rather be famous instead, I let all that get to my head" säuselt sie etwa auf dem Opener. Es ist ein Reset ihrer bisherigen artistischen Flugbahn, der Doja Cat als die Künstlerin präsentiert, die sie, ihren eigenen Worten zufolge, schon immer sein wollte. Das bedeutet weniger Pop aus dem Süßwarenladen und mehr polternde 808s, weniger TikTok und mehr West Coast und gleichermaßen Kuscheln mit der Ohrmuschel wie auch Karate-Kicks aufs Trommelfell.
Damit geht eine spannende Bandbreite an Sounds einher, innerhalb weniger Songs reist Doja von Horrorcore zu Trap, zu Boom Bap, zu Neo-Soul. Die Art, wie sie all diese verschiedenen Ästhetiken bearbeitet und miteinander arrangiert, gerät über die volle Laufzeit jedoch ebenso aufregend wie ungelenk. Nicht nur wohnt der LP im Kern nach wie vor ein sehr zugängliches Pop-Album inne, was viele der wilderen Experimente etwas ausbremst, auch das Sequencing der Tracklist scheitert daran, diese musikalische Vielfalt ansprechend zu präsentieren.
Das Album öffnet noch wenig überraschend mit der größten Single "Paint The Town Red", die mit ihrem cleanen Pop-Rap Sound ein wenig aus der Reihe tanzt und sich anfühlt, als hätte man sie nachträglich an das Album angetackert. Doch nach dem sanften Einstieg haut uns Doja erst mit "Demons" ein Hardcore Rap-Brett und dann den Tongue In Cheek-Rager "Wet Vagina" um die Ohren. Auch die folgenden Songs halten alle das Tempo enorm hoch.
Dieses anfängliche musikalische Schleudertrauma konterkariert die Kalifornierin dafür in der zweiten Hälfte der LP, wo sie uns einen Downtempo Crooner nach dem nächsten liefert. Die variieren zwar minimal in ihrer Ausrichtung, mal hält es Doja eher mit Trip Hop, mal mit Neo-Soul. Spätestens bei "Love Life" erreicht sie jedoch den Punkt, wo die emotionalen BPM den Nullpunkt erreichen und man aufpassen muss, nicht kurz wegzunicken. Inmitten all dessen findet sich dann noch ein Song wie "Gun", der völlig deplatziert tönt und auf ihrem letzten Album besser aufgehoben wäre. Dieses etwas konfuse Arrangieren der Songs macht das Album schlechter als es eigentlich sein müsste, denn eigentlich leistet sich Doja nur wenig Aussetzer, die so jedoch um so mehr ins Gewicht fallen.
Songs wie "Can't Wait" und "Paint The Town Red" beweisen, wie talentiert die Rapkatze wieder und wieder unglaublich eingängige Melodien aus dem Hut zaubert, während das schließende "Attention" und der West Coast-Kopfnicker "Balut" das Versprechen ihres geschärften Skills als Rapperin einlösen. Am meisten Spaß macht ihre Musik jedoch nach wie vor, wenn sie diese 'seriöse' artistische Maske zur Seite schiebt und die Energie kanalisiert, die sie überhaupt erst zum Star machte.
Denn Doja ist auch fünf Jahre nach "Mooo!" mehr Hip Hop-Troll als eine waschechte Boombap-Rapperin, die uns über den Ernst des Lebens aufklärt. Wirklich gehaltvollen Inhalt sucht man abseits ein paar gelungener One-Liner (die ebenso oft in die Hose gehen) ohnehin vergebens, insofern tut es der Musik nur gut, wenn Doja das mit cartoonhaften Beats und dem rotzfrechen Charisma kaschiert, das über weite Teile der LP auf Sparflamme läuft.
"Wet Vagina", "Demons", "Fuck The Girls (FTG)" und der Bonus-Track "WYM Freestyle" machen einen Heidenspaß, weil sie musikalische dieselbe ungehemmte Doja spiegeln, die immer wieder bewusst in die Rolle des Bösewichts schlupft und kein Problem damit hat, einen Haufen auf ihre eigenes Vermächtnis zu setzen. Auch der musikalische Schlagabtausch "Ouchies" erlaubt Doja durch das animierte London On Tha Beat-Instrumental, richtig schön frei zu drehen, und schreit förmlich nach einer Rico Nasty als Sparring-Partnerin. Auch wenn der Rest der LP keineswegs frei von Highlights ist, wirkt er im Vergleich zu diesem öffnenden Run ein wenig zu brav und zurückhaltend, insbesondere in Anbetracht der von Doja selbst vorab gerührten Werbetrommel.
"Scarlet" fühlt sich mehr wie eine Collage an, die versucht, Doja Cat als versatile und 'echte' Künstlerin zu präsentieren, als ein wirkliches kohärentes Album. Das führt am Ende dazu, dass wir weder Fisch noch Fleisch bekommen, weil sich durch den Kompromiss all diese Sounds und Einflüsse unter einen Hut zu bringen, gewisse Ermüdungserscheinungen nicht vermeiden lassen. Das gerät besonders deshalb frustrierend, weil einem die 27-Jährige immer wieder ihre Stärken vor der Nase herumwedelt, nur um sie wenig später wieder konsequent zu vernachlässigen.
Dennoch steht unterm Strich ein solides Projekt, dessen Schritte aus der eigenen Komfortzone oftmals vielleicht nicht weit genug reichen oder die falsche Richtung einschlagen, aber einen verheißungsvollen Neustart einer Karriere versprechen, die zwischenzeitlich drohte, von der Industrie trocken gemolken zu werden.
5 Kommentare mit 5 Antworten
Kann mich dem Fazit großteils anschließen. Doja als Rapperin ist einfach so viel spannender und besser als als Popsängerin. Leider hat sie's auf Scarlet nicht komplett durchgezogen. Trotzdem gibt's ein paar sehr feine Banger, eben wie oben schon geschrieben "Demons", "Wet Vagina" oder auch "Attention". Mehr dazu: https://youtu.be/5xV59KJnKR0
Find es ein schönes Detail, dass es bis zur Hälfte wilder zugeht und ab dann öfter Samples zu hören sind, die "Lil Mama" anscheinend gerne mag und die Demons bei Bedarf austreiben. Hab eigentlich schon das Gefühl, dass man sich nicht nur beim Marketing was gedacht hat.
Feier die Platte aktuell ab, bis auf "Can't Wait" und die teils nicht so hochwertige Produktion, gefallen mir die Songs durchweg. (habe vorher auch noch nie ein Doja Cat Album gehört, aber im Vergleich mit anderen US Produktionen klingt hier nicht jeder Song gleich ausproduziert)
Frage: wieso fehlt Shutcho hier in der Tracklist?
Shutcho und WYM Freestyle sind beides Bonus-Tracks.
Dachte schon es gibt zwei Versionen, bei Apple Music gibt es das Album als 3D Audio und in dieser Version fehlen die beiden Songs.
Auf den Streamingplattformen haben sie es ausschließlich als "Digital Deluxe"-Version veröffentlicht , die originale Tracklist bekommt man nur wenn man sich Teil als CD oder Vinyl kauft (oder in der 3D Version anscheinend). Sehr seltsame Veröffentlichungsstrategie.
Ihr Troll-Dasein klingt jedenfalls aufregender als das ziemlich Konforme, aller Ecken und Kanten Abgeschliffene, das sonst im Geschäft angesagt ist. Und mal ernsthaft: "Nahbar" ist keine Sängerin/Rapperin/Performerin. Immer erfrischend, wenn dieser Teil der Inszenierung ausgespart wird.
Manchmal spuckt der Algorithmus bei mir auf Instagram kuriose Beiträge aus: Am schlimmsten ist die Jubelperserei meiner Meinung nach bei Taylor Swift (weibliche Zielgruppe) und Playboi Carti (männliche Zielgruppe). Da wird gefühlt jeder noch so winzige Furz bis ins kleinste Detail analysiert.
Ich meine, ich saß auch schon auf Hypetrains und Vorfreude ist was tolles, gerade wenn ein der eigene Lieblingsmusiker was rausbringt. Aber dort steigern sich Leute so hart rein, keine Ahnung warum die nicht merken, dass es eine riesige Zeitverschwendung ist.
Ganz genau. Swifties und Carties sind null ernstzunehmen. Aber genau diese werden von beiden Künstlern aktiv bedient mit ihrer kompletten Profillosigkeit.
Ich mag sie. Sie hat ein tolles Gespür für Flows und Melodien.
3/5 gehen klar, das Album hat schon einige Längen.
Für mich ist das eine gute Musikerin. Religiöse Menschen kommen mit dem Blut, Dämonen und überhaupt ihrem Thema nicht klar, aber ich glaube die haben keine Gespür für Musik oder ist das wirklich was an der teuflischen Entertainment Agenda dran? Hmmm