laut.de-Kritik

Es ist harte Arbeit, der Geilste zu sein.

Review von

"They never told me when you get the crown / It’s gon’ take some getting used to", rappte Drake 2015. Es war der vielleicht letzte Moment als der Kanadier der Welt noch etwas zu beweisen hatte. Von da an liest sich seine Diskographie wie ein Ikea-Katalog. "Views", "Scorpion", "Certified Lover Boy": Verschieden verpackte Auflagen der Bestseller-Marke Drizzy Drake, die sich nur darin unterscheiden, wie abhorrent ihre Cover sind und welche neuen Rekorde sie brechen.

Grundsätzlich ist das nicht zwingend etwas Schlechtes. Wer ein kommerziell so großartig-funktionierendes Erfolgsrezept hat, wie Drake, der wäre ja blöd, es nicht jedes Jahr aufs Neue aufzuwärmen. Das Problem ist eben nur, dass Drake sich dabei zunehmend weniger Mühe zu geben scheint. Bezeichnend dafür ist der Fakt, dass man jedes neue Album seit "If You’re Reading This It’s Too Late" als einen nicht mehr zu unterbietenden Tiefpunkt in seiner Karriere verschreit, nur um einen Album-Zyklus später diese Meinung wieder korrigieren zu müssen. "Views" und "Scorpion" sind auch retrospektiv nicht gut, aber sie haben eben doch Qualitäten, die man schwer von der Hand weisen kann. Vor allem, wenn man sie mit einer LP wie "Certified Lover Boy" vergleicht.

Dabei machte der für Drake unorthodox-unaufgeregte und vermeintlich selbstironische Rollout durchaus Hoffnung. Da rasiert sich der erfolgreichste Rapper der Welt ein Herz in die Haare, nennt sein Album "Certified Lover Boy" und veröffentlicht es mit einem Cover auf dem er mit seinen zukünftigen Baby Mamas Vier Gewinnt spielen kann. Es schien wirklich so, als wäre Drake sich seiner Rolle als spätpubertierender, sentimentaler, corny Herzensbrecher vollkommen bewusst und wolle sie gekonnt ironisch brechen. Quasi den Hatern eine Überdosis von dem Image geben, mit dem sie Drake seit "Take Care" veräppeln. Aber nein, nein und nochmals nein! Drakes sechstes Album ist endgültig das ernüchternde Eingeständnis, dass der Mann unfähig ist, ein Album zu machen, das seinen etablierten Sounds und Inhalten neue Aspekte abgewinnen kann.

Es ist das selbe Klagelied über zu viel Sex und zu wenig Liebe, falsche Freunde und dem Alleinsein an der Spitze, das Drake schon seit nunmehr zehn Jahren singt. Nur klang er dabei selten so uninspiriert und verbittert. Der Versuch, seinen Status aufrecht zu erhalten, klingt nicht mehr nach Spaß oder Leidenschaft, sondern lediglich nach harter Arbeit.

"How much I gotta spend for you to pipe down?" fragt er beispielsweise ungeduldig auf "Pipe Down". Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er, nachdem er schon ein ganzes Football-Stadion für ein Date mietet, ihr mit der geifernden Geilheit eines pubertierenden Jungen Reihenweise Louis Vuitton-Taschen und Gucci-Schuhe hinterher wirft, um sie in die Kiste zu bekommen. Dabei landet Drizzy am Ende des Abends eh im Stripclub ("TSU") wo er, der gutherziger Spender, der er bekanntlich ist, einer verwaiste Stripperin dabei helfen will, ihre Zweitkarriere ins Rollen zu bekommen. Das klingt dann so. "I give you this bread, you run me some head / And then you go glow up a bit." Charmant.

Rappt Drake über Frauen, wird es sehr schnell unangenehm. Auch das ist nichts neues. Aber Songs wie das Lesben-fetischisierende "Girls Love Girls" oder der Groupie-Orgien Crooner "Fucking Fans" setzen dahingehend neue Maßstäbe. "Say that you’re a lesbian, girl, me too": Aha. "Most times it was my selfishness and your helplessness that I took advantage of": Yikes!. Drake ist kein "Certified Lover Boy", Drake ist ein einsamer, manipulativer 35-jähriger Mann in der Midlife-Crisis, der es immer noch für nötig hält, seiner Hörerschaft regelmäßige Status-Updates darüber zu schicken, wie sein Sexleben so läuft. Glaubt man diesem Album, dann läuft es nicht einmal besonders gut.

Auch musikalisch schlägt "Certified Lover Boy" in die gleiche Kerbe wie Drakes vorheriger Output (Überraschung!). Dabei fällt auf, dass er zunehmend selbst den Überblick darüber zu verlieren scheint, was ihn so einzigartig macht, welcher Sound ihm besonders gut liegt und was seine Fanbase bevorzugt von ihm hören will. Pop-Rap Smash-Hits, gecroonte R’n’B-Balladen und eiskalte Freestyles: Drake versucht einmal mehr, sie alle unter ein Dach zu bringen, vergisst dabei aber ein solides Fundament zu schaffen. Das hat zur Folge, das "Certified Lover Boy" in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus.

Immer wieder, wenn die LP kurz davor ist, einen Vibe zu finden, stolpert man über Songs wie den völlig deplatzierten, wenn auch gelungenen Memphis-Worship "Knife Talk", das zahnlose Kid Cudi-Duett "IMY2" oder das soulige Interlude "Yebbas Heartbreak", die der Kohärenz der LP allesamt quer im Weg stehen und die Laufzeit unnötig in die Länge ziehen. Kein Hip Hop-Album der Welt muss 21 Tracks lang sein. Ganz besonders keines von Drake.

Dabei ist hervorzuheben, dass die Produktionen von 40, DezWright, Supah Mario, TooDope und Konsorten noch für die mitunter interessantesten Momente verantwortlich zeichnen. Der melancholisch-verträumte Beatles-Flip auf "Champagne Poetry", die metallenen Synths auf “N 2 Deep”, der sich subtil-aufbauende Beat-Switch auf "Fair Trade”, die schönen Afrobeat-Melodien von "Fountains": Sie alle stehlen einem wenig motivierten Drake im Vorbeigehen die Show. Ähnliches gilt für eine Vielzahl der geladenen Gäste.

"You Only Live Twice", der wie ein verzweifelter Versuch wirkt, die Magie von "The Motto" neu aufleben zu lassen, ist wahrscheinlich das Paradebeispiel dafür. Erst wenn Rick Ross eine Energie an den Tag legt, die dem großartigen Beat gerecht wird und Drake wenig später das genaue Gegenteil tut, wird deutlich, wie sehr er das Leben aus seinen eigenen Songs saugt. Lil Wayne zieht den Karren hinten raus zwar noch aus dem Dreck, auf anderen Songs, etwa "In The Bible" oder "Love All", erweist sich dieses Unterfangen jedoch selbst für eine Legende wie wie Jay-Z als fruchtlos.

Was allerdings von all dem abgesehen vielleicht die schockierendste Erkenntnis von "Certified Lover Boy" ist: Drake hat verlernt, einen Hit zu schreiben. Ganz egal, wie gut oder schlecht Alben wie "Views" oder "Scorpion" unterm Strich sind, so kann man sich der Hit-DNA von Songs wie "One Dance", "Controlla", "God’s Plan" oder "Nice For What" nur schwer widersetzen. Auch wenn Drake sich regelmäßig mit viel zu langen Tracklisten, und lyrischen Fehltritten selbst ein Bein stellt, war bisher immer Verlass darauf, dass mindestens eine Single auf einem Drake-Album seinem Popstar-Status gereicht wird.

Selbst die EP, mit der der Kanadier "Certified Lover Boy" im Frühjahr anteaste hatte eine höhere Hit-Dichte als sein so lang herbeigesehntes sechstes Studio-Album. Es steht natürlich außer Frage, dass fast alle Songs auf "Certified Lover Boy" gigantische Zahlen schreiben werden. Nur verdient hat es dieses Mal im Grunde keiner von ihnen. Fast kein Song in der Tracklist ist außerordentlich schlecht, nur sind eben noch weniger auch nur im Ansatz so memorabel wie die Highlights seiner letzten Outputs.

Der vielleicht einzige Song, der ein gewisses Hit-Potential aufweist, ist gleichermaßen der aufregendste wie verwirrendste Moment des gesamten Albums. "Way 2 Sexy" ist ein bekloppter, trashy Trap-Banger, der Right Said Freds Macho-Hymne "I'm Too Sexy" wenig subtil interpoliert, aber gerade deshalb einen Heidenspaß macht. Da rappen drei Typen fast vier Minuten lang darüber, wie geil und potent sie sind und sind sich der Beklopptheit des Ganzen von der ersten bis zur letzten Sekunde bewusst.

Dieser Song ist die Blaupause für ein Album mit einem Titel wir "Certified Lover Boy". Für das, was Drakes Durstrecke nach Alben wie "Views" und "Scorpion" endlich hätte beenden können. Stattdessen geht der Song in einem Ozean an mediokren, selbstbemitleidenden Horny-Jams unter, an die sich in zwölf Monaten niemand mehr erinnern wird. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Drake an einem Punkt in seiner Karriere angelangt ist, an dem er sich sowohl einen Beef mit Kanye West, als auch ein Album wie dieses erlauben kann, ohne irgendwelche Konsequenz zu befürchten. Das ist gleichermaßen beeindruckend, wie beängstigend.

Trackliste

  1. 1. Champagne Poetry
  2. 2. Papi's Home
  3. 3. Girls Love Girls (feat. Lil Baby)
  4. 4. In The Bible (feat. Lil Durk & Giveon)
  5. 5. Love All (feat. Jay-Z)
  6. 6. Fair Trade (feat. Travis Scott)
  7. 7. Way 2 Sexy (feat. Future & Young Thug)
  8. 8. TSU
  9. 9. N 2 Deep (feat. Future)
  10. 10. Pipe Down
  11. 11. Yebba's Heartbreak (feat. Yebba)
  12. 12. No Friends In The Industry
  13. 13. Knife Talk (feat. Project Pat & 21 Savage)
  14. 14. 7am On Bridle Path
  15. 15. Race My Mind
  16. 16. Fountains (feat. Tems)
  17. 17. Get Along Better (feat. Ty Dolla $ign)
  18. 18. You Only Live Twice (feat. Rick Ross & Lil Wayne)
  19. 19. IMY2 (feat. Kid Cudi)
  20. 20. Fucking Fans
  21. 21. The Remorse

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16 Kommentare mit 36 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Sehr gutes Review, bringt es perfekt auf den Punkt. Nur sind zwei Sterne fast noch zu viel. Selten ein so uninspiriertes, langweiliges und unkreatives Album gehört. Gab nicht einen Song, den ich nach dem Durchhören jetzt unbedingt nochmal hören wollte. Das Cover tut sein übriges...

  • Vor 3 Jahren

    Die review trifft es indeed sehr gut. Hatte nach Champagne poetry kurz Hoffnung. Hab das Album dann auf einer längeren Autofahrt gehört und nach etwa drei Songs nicht mehr wahrgenommen, dass es überhaupt lief. Wie wenn Radio nebenher läuft. Sehr enttäuschend. Keine Höhepunkte.

    Was nicht dabei erstaunt ist, dass Drake ja schon seit einigen Jahren kein gescheites Songpicking hinbekommt, aber bei dem Album wirklich jegliche Hits fehlen und jegliche Songs, die einen irgendwo abholen. Selbst auf Views oder Scorpion gab es ja diese unbestreitbaren HipHop- oder Pop-hits. Zwischen 3 langweiligen Songs lag dann Mal ein "nice for what". Auf dem Album plätschert alles an einem vorbei.

  • Vor 3 Jahren

    die musik ist mir egal, aber das cover ist wirklich mal sexistische kackscheiße, ey!