laut.de-Kritik

Wolf Gang-Story hat einen neuen Höhepunkt.

Review von

2010 begann der Hype um die Chaos-Truppe Odd Future. Teenager auf der ganzen Welt konnten sich mit ihrer radikalen Anti-Haltung identifizieren. Nur das vermeintlich talentierteste Mitglied des Kollektivs bekam davon nicht allzu viel mit: Earl Sweatshirt war gerade 16 Jahre alt, als ihn seine Mutter aufgrund seines auffälligen Verhaltens in ein Erziehungscamp nach Samoa schickte. In der Zwischenzeit eroberten seine Kollegen die ganze Welt. Zwischen Welttourneen, Grammy- und VMA-Auszeichnungen entstand das "Free Earl"-Movement.

Die Zeit auf dem Inselstaat scheint jedoch nicht ganz unnütz gewesen zu sein, denn im Gegensatz zu früheren Tagen verschiebt sich das Themenfeld von Vergewaltigungsphantasien und Drogentrips im Gleichschritt mit der Haltung der ganzen Bande hin zum Erwachseneren. Bereits die von Piano-Loops getragene erste Single "Chum" gibt einen tiefen Einblick in das Seelenleben des mittlerweile 19-Jährigen. "It's probably been twelve years since my father left, left me fatherless/And I just used to say I hate him in dishonest jest/When honestly I miss this nigga, like when I was six/And every time I got the chance to say it I would swallow it." Neben dieser ehrlichen Erkenntnis gegenüber dem geflüchteten Vater erzählt der Song, wie Odd Future-Oberhaupt Tyler die Funktion des großen Bruders übernahm, war er doch "Too black for the white kids, and too white for the blacks".

Über "Whoa" und "Sasquach", zwei deutlich von Tyer inspirierte Songs, fegt Earl mit seinem zwar oft monoton klingendem, aber auch unglaublich lässigem und punktgenauem Flow. Der Typ rappt einfach wie Hölle. "Sunday", die 2.0 Version von "Super Rich Kids", knüpft unmittelbar an die Channel Orange-Atmosphäre an, getragen von Orgeln und verzerrten Gitarren. Sogar R'n'B-Messias Frank Ocean lässt sich nicht lumpen und schießt einen 16er inklusive Seitenhieb gegen Chris Brown locker aus der Hüfte. Auf "Molasses" schaut Wu-Tang-Mastermind RZA vorbei und fuckt die "freckles off you face, bitch!". Das von Pharrell produzierte "Burgundy" behandelt den Verlust der Großmutter und die Schattenseiten des neugewonnen Ruhms, inklusive Erwartungshaltungen. "And when them expectations raising because daddy was a poet, right?"

Unter dem Pseudonym Randomblackdude baute er fast die Hälfte der Beats vom Album selbst. Das mag zunächst nicht besonders aufregend klingen. Vor dem Hintergrund, dass die andere Hälfte Legenden wie RZA, Alchemist oder Pharrell zusammenbastelten und qualitätstechnisch kaum Unterschiede auszumachen sind, rückt das in ein etwas anderes Licht. Das Soundgerüst wirkt größtenteils düster und bedrohlich, an wenigen Punkten aber auch leicht und unbeschwert ("Sunday"). Minimalistisch und organisch sind die Produktionen aber allesamt.

Lyrisch ist Earl immer noch eine Wucht. Schon vor drei Jahren ließ der damals 16-Jährige mit seinen um die Ecke gedachten Wortspielen etliche angesehene Kinnladen runterklappen. Reimschemata, die man erst nach mehreren Hördurchgängen richtig einordnen kann, sind hier keine Besonderheit.

Im Interlude von "Burdundy" fasst Vince Staples, der insgesamt dreimal auf dem Album vertreten ist und mitunter grandiose Parts abliefert ("Hive"), die Erwartungen vieler Fans zusammen: "Hey Thebe, nigga, what's up nigga? I heard you back, I need them raps, nigga. I need the verse, I don't care about what you going through or what you gotta do nigga, I need bars, sixteen of 'em." Doch genau das ist die große Stärke des Albums. Earl spuckt seine Raps stets trocken und ohne großen Schnickschnack und untermauert damit, wieso er als einer der besten Rapper und Lyriker seiner Generation gehandelt wird. Auf der anderen Seite schneidet er aber auch inhaltlich unangenehme Themen an.

"Doris" ist ein bisschen wie Finger-Food. Von allem ist ein bisschen dabei. So findet man von Tracks, die an vergangene Zeiten erinnern ("Sasquatch", "Woah") oder persönliche Einblicke erlauben ("Burgundy", "Chum"), über Skill-Manifeste ("Hive") bis hin zu Songs über die Freundin ("Sunday") alles. Dieser Mix wirkt aber keinesfalls zusammengewürfelt, sondern in sich homogen und schlüssig. Der von vielen erwartete Klassiker ist es zwar nicht geworden, doch ein mehr als grundsolides Debüt, das auf voller Länge überzeugen kann und keine Kompromisse erlaubt. Die unendliche Erfolgsgeschichte der Wolf Gang hat einen neuen Höhepunkt.

Trackliste

  1. 1. Pre feat. SK La' Flare
  2. 2. Burgundy feat. Vince Staples
  3. 3. 20 Wave Caps feat. Domo Genesis
  4. 4. Sunday feat. Frank Ocean
  5. 5. Hive feat. Vince Staples & Casey Veggies
  6. 6. Chum
  7. 7. Sasquatch feat Tyler, The Creator
  8. 8. Centurion feat. Vince Staples
  9. 9. 523
  10. 10. Uncle Al
  11. 11. Guild feat. Mac Miller
  12. 12. Molasses feat. RZA
  13. 13. Whoa feat. Tyler, The Creator
  14. 14. Hoarse
  15. 15. Knight feat. Domo Genesis

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