laut.de-Kritik
Memoiren eines Stehaufmännchens.
Review von Matthias Manthe"Es existieren zwei Arten von Weihnachtsmenschen", sagt Mark Oliver Everett, bekannt als E und die Personifizierung der Eels. "Diejenigen, die flackerfreie Weihnachtsbeleuchtung bevorzugen und die, die die blinkende lieber mögen". E gehört zu den Blinkern, schließlich war Stillstand in jeglicher Hinsicht nie sein Bier. Stattdessen hält der kauzige Kalifornier mit "Blinking Lights And Other Revelations" ein über 90-minütiges leidenschaftliches Plädoyer. Für die kurz aufblitzenden Glücksmomente, die der Tortur namens Leben einen Wert geben. Für den Wechsel zwischen am Boden zerstört und himmelhoch jauchzend. Für das Dasein an sich.
Everetts durch und durch persönliche Inventur beginnt wirklich ganz am Anfang: "From Which I Came" vertont die Unschuld des Neugeborenen, zurückhaltende Hammondklänge und ein dunkles Cello begleiten Baby-E in die Welt. Die Kindheitserfahrungen geraten zur bluesigen Trauerparade, weil Mama und Papa die Liebe vorenthalten. Später sammelt E romantische Erfahrungen im Kirchenhof. Aber als die Beziehung in "Last Time We Spoke" mit einem schnöden Telefonat zerbricht, bleiben nur wolfartiges Gejaule und ein träge verschlepptes Piano zurück. Obendrein suchen ihn verstorbene Verwandte heim ("Trouble With Dreams", "Marie Floating Over The Backyard"). Doch jede Menge Glockenspiel und großzügig eingesetzte Autoharp setzen dem auf Platte gebannten Spuk Harmonie entgegen.
Auch im Blick nach oben findet E Zuflucht. Dort warten neben Sonnenuntergang und Sternenhimmel blinkende Flugzeuge auf den Ich-Erzähler, die er zum göttlichen Morsecode umwandelt ("Blinking Lights For Me"). Kein Wunder, dass er sich im Laufe der Jahre zum Eigenbrödler entwickelt. Im pompösen "The Other Shoe" trommelt der Misanthrop dem scheubeklappten Grotßstadtvieh seine Verachtung entgegen. Sollen sie doch vor ihren Fernsehern kalt werden, E schmiedet sein Schicksal selbst. Und preist in "Going Fetal" gemeinsam mit Tom Waits, der knurrt wie eine besessene Katze, fröhlich hüpfend die Embryonalstellung. Mitmachen erwünscht, das hilft, das befreit und gibt Kraft für Tage voller Sehnsucht nach dem Vater ("Understanding Salesmen"). Eine schlicht herzzerreißende Streicherballade.
Trauer und Verzweiflung überwältigen E an mancher Stelle. Doch immer, wenn ihn der "Checkout Blues" packt und er am Abgrund steht, blinkt es wieder irgendwo. Mal countryesk, wenn der Multiinstrumentalist sich unter Einsatz der Steelgitarre mit ausrangierten Zugführern identifiziert. Mal im Stil einer Ska-Band im euphorisch nach vorne stolpernden "Hey Man". Genauso ausufernd gerät das liebestolle und lebenstrunkende "Sweet Li'l Thing": Schwelgerische Geigen nebst Vögelgezwitscher lassen den Frühling unendlich scheinen.
Doch nicht nur sich selbst therapiert E, auch für andere bleiben Kraftreserven. Surfrockend baut er in "To Lick Your Boots" die geschundene Seele eines Freundes wieder auf. Fast übertrieben altersweise klingt es, wenn der vormals depressive Eels-Kopf versucht, eine Freundin vom Selbstmord abzuhalten ("If You See Natalie"). Dramatisch und toll arrangiert ist das dennoch.
Wundervoll ehrlich, ja zutiefst berührend dagegen die verspätete Entschuldigung an die alte Liebe auf der optimistischeren zweiten Scheibe ("I'm Going To Stop Pretending That I Didn't Break Your Heart"). Akustische Gitarre und sensible Stimme treffen Töne, die andere immer verfehlen werden. Und wer beim Elton John-Soundalike "Losing Streak" nicht breit grinst, als E mehrmals heftig kopfnickend versichert, seine Pechsträhne sei endlich gerissen ("Did you hear me?"), muss sich schon im Zustand der Verwesung befinden.
Am Schluss der immer wieder durch kurze Instrumentals (Cello, Harfe, Flöte) aufgelockerten Retrospektive zieht E die Bilanz seines Lebens. In einer Art Abschiedbrief an die Urenkel gibt er ihnen ein lakonisches "It's not all good and it's not all bad" mit auf den Lebensweg. Reines Understatement, schließlich erklärt er mit dieser Platte mal eben den Fluch für besiegt, der all die Jahre auf ihm lastete. Ein baldiger Abschied von der Bühne steht trotz des Finalcharakters von "Blinking Lights" ebenfalls nicht zu befürchten. Dafür ist E viel zu sehr Getriebener. Und seine Musik zu einzigartig.
5 Kommentare
Bin seit Jahren EELS-Fan und halte dieses Album für ein musikalisches Meisterwerk! Aus der Rezension erschließt sich mir auch ehrlich gesagt nicht, warum das Album nicht die volle Wertung bekommen hat.
Würde mich da über Aufklärung freuen!
Es ist meiner Meinung nach nicht nur das beste Eels-Album was mir bis jetzt untergekommen ist - es ist auch das beste Album allgemein!!!
Es ist nicht nur das beste Album allgemein - es ist auch der schönste Gegenstand, der auf der Erde bloß existiert!
Liebe LAUT-Redaktion, kann es sein dass ihr nicht mitgekriegt habt, dass mit "Hombre Lobo" längst eine neue Platte da ist??? Wo bleibt die Plattenkritik? Soll ich etwa übernehmen? Kein Problem...
Viel zu spät nachgeholter Pflichtkauf. Perfektes Album zum Schwelgen. Worin auch immer. Es muss geschwelgt werden.