28. Oktober 2020

"Es macht mir keinen Spaß, Musik zu veröffentlichen"

Interview geführt von

Nach vier Jahren Pause kehrte Mark Oliver Everett mit seiner Band Eels 2018 zurück, zwei Jähre später schiebt er nun die nächste Platte "Earth To Dora" vor.

"Earth To Dora" erinnert mit seinen warmen Klängen an frühere Werke der Gruppe, wie etwa "Daisies Of The Galaxy" und verhandelt in vielen Songs Beziehungen. Im Telefon-Interview erzählt Mastermind Everett, wie ihn die Quarantäne mitnimmt, woher er die Inspiration für seine Texte bekommt und warum er viele Reviews für albern hält.

Du hast die meisten der Songs bereits zu Beginn des Jahres geschrieben und sie klingen für mich ziemlich fröhlich und optimistisch. Bist du immer noch in diesem Mindset? Oder hat die Quarantäne dich in eine pessimistischere Stimmung gebracht?

Ich denke, wir versuchen alle irgendwie uns bei Laune zu halten, wie auch immer das geht, in diesem seltsamen Jahr ... Es ist hart, ich versuche mich an die guten Sachen in meinem Leben zu erinnern. Es gab einen Tag, vor einem Monat etwa, da war ich ziemlich deprimiert wegen der ganzen Quarantäne-Situation, der Pandemie und all der sozialen Ungerechtigkeit, die dieses Jahr passiert ist. Und dann gab es in dieser Nacht ein großes Erdbeben hier in Kalifornien und plötzlich habe ich mir den Tag davor zurückgewünscht, wo es nur die Pandemie und der andere Scheiß war. Jetzt ist es die Pandemie, der andere Scheiß und ein Erdbeben. Also kann es immer schlechter sein und ich versuche dankbar zu sein. Wer weiß schon, was morgen passiert? Es könnte eine Alien-Invasion geben.

Ich habe gleichzeitig das Gefühl, dass das Album ziemlich positiv beginnt und dann zum Ende hin melancholischer wird. Ich habe mich gefragt, ob das beabsichtigt war, so als Spiegel für den Gang des Jahres.

Es wird ein bisschen düster in der Mitte und dann wird es wieder fröhlicher gegen Ende. Ich habe das Gefühl, dass es mein Job als Künstler ist, das Leben in all seinen verschiedenen Tönen zu reflektieren. Es kann nicht alles up or down sein. Du musst etwas von beidem haben.

Ich habe das Album heute bei einem Spaziergang gehört und war wirklich dankbar, etwas so Schönes und Warmes auf den Ohren zu haben.

Danke! Es gab einige Diskussionen, weil wir ursprünglich auf Tour gehen wollten, kurz nach der Veröffentlichung, was wir jetzt natürlich nicht machen können. Dann gab es Diskussionen, dass wir das Album jetzt auch nicht veröffentlichen, aber ich habe gesagt: "Die Leute brauchen jetzt Musik, mehr als jemals zuvor. Also lasst es uns veröffentlichen."

Was war dein Quarantäne-Album, das dir durch die Zeit geholfen hat?

Die zwei besten Sachen, die ich dieses Jahr bisher gehört habe, waren der neue Bob Dylan-Song, "I Contain Multitudes" und Bettye LaVettes Cover des Beatles-Songs "Blackbird". Ich habe beide diese Songs immer wieder gehört und ich finde es interessant, dass die beiden besten Sachen, die ich dieses Jahr gehört habe, von Leuten jenseits der 70 stammen. Das macht mir Hoffnung, dass man auch in diesem Alter noch künstlerisch glänzen kann.

Wer ist Dora, nach der das Album benannt ist?

Dora ist eine Freundin von mir, die Teil der Eels-Tourcrew war, sie hat sich um die Mikrofone auf einigen Touren gekümmert. Und wir haben eines Nachts getextet und sie ging gerade durch eine schwierige Phase und ich habe versucht sie aufzumuntern. Ein Großteil der Lyrics sind Zeilen, die ich ihr tatsächlich geschrieben habe und dann habe ich gedacht: Oh, vielleicht, wenn ich einen Song daraus mache, kann ich noch weitere Leute damit aufmuntern.

Und was hat es mit dem Cover auf sich? Wer ist der Clown?

Das ist ein altes Trödelladen-Gemälde, das seit etwa zehn Jahren in meinem Badezimmer hängt. Während wir einige der Songs aufgenommen haben, war ich auf Toilette und habe es so wie immer angeguckt und dann kam mir plötzlich der Gedanke: Oh, das ist das Album-Cover. Die Stimmung des Bildes ist ... Er ist ein Clown, so wie ich, er sieht so aus, als hätte er einiges durchgemacht, aber er kriegt trotzdem ein kleines Lächeln hin. Also weißt du, dass er okay sein wird.

"Ich will 'Shootenannys!' Gefühle nicht verletzen."

Ich habe gelesen, dass deine Quarantäne-Kompagnons dein Sohn und zwei Hunde waren. Hatte das einen Einfluss auf den Aufnahmeprozess?

Das Vatersein hat hauptsächlich Einfluss darauf genommen, wann ich Musik machen kann. Der Zeitplan hat sich verändert, ich kann nicht mehr so häufig Musik machen, wie früher. Wir leben in meinem Studio, ein Großteil der Fläche hat sich in ein Spielzimmer verwandelt. Es ist nur noch ein halbes Studio und es ist weniger Raum da, in dem ich arbeiten kann.

Viele der Songs handeln von Beziehungen. Ist da viel Autobiographisches drin?

Ich würde sagen, dass die meisten meiner Songs oder die Hälfte auf Situationen aus meinem eigenen Leben basieren. Die andere Hälfte ist dann inspiriert von Dingen, die vielleicht einem Freund passiert sind oder es ist etwas, dass ich erfunden habe. Aber selbst, wenn es Fiktion ist, muss es etwas sein, dass ich nachempfinden kann und das irgendwie noch aus meinem Leben kommt.

Wie ist das beim Song "Are You Fucking Your Ex?"

Ich bin froh, berichten zu können, dass das nicht autobiographisch ist. Das kommt aus einer Diskussion mit einer Freundin und wir haben über sexuelle Frustration geredet und ich habe gefragt, wie sie damit umgegangen ist. Und sie sagt: "I fucked my ex!" (lacht). Das hat mich ziemlich überrascht, damit hatte ich echt nicht gerechnet. Na ja, so bekomme ich dann manchmal Ideen für Songs. Ich dachte: Diesen Song habe ich so noch nicht gehört, das ist ein interessantes Thema.

Mir gefällt, wie "I Got Hurt" mit der Zeile "How did I get so sad?" gegen Ende ziemlich düster wird. Dann startet "OK" mit der Zeile "I got hurt, so what?". Hast du die beiden Songs direkt hintereinander geschrieben?

Ich habe sie nicht direkt hintereinander geschrieben. "I Got Hurt" ist einer der älteren Songs, "OK" einer der neueren. Ich wusste aber, dass ich "OK" direkt hinter "I Got Hurt" platzieren will, deshalb habe ich die Zeile "I got hurt, so what?" gewählt.

Der warme Sound des Albums erinnert mich an deine Platte "Daisies Of The Galaxy". Wie entsteht so ein Album-Sound bei dir?

Ich glaube, dass ich diesmal interessiert an Old School Singer-Songwriter Songwriting war. Und Instrumentation, Klänge und Melodie. Darum ging es mir.

Hörst du dir häufig deine alten Alben an?

Das mache ich nur, wenn wir auf Tour sind und ich lernen muss, wie man einen alten Song spielt. Das ist immer hart, weil Du denkst: Ich hätte das anders machen können oder das besser. Aber das Spaßige ist dann, dass du es updaten kannst und verändern bei der Show am selben Abend.

Wenn du wählen müsstest, gäbe es von deinen Alben ein klaren Favoriten?

Weißt du, ich muss sie ja alle mögen, wegen des Klischees, dass sie alle die Kinder eines Songwriters sind. Also wenn ich sage: Ich mag "Souljacker". Dann will ich "Shootenanny!" nicht eifersüchtig machen. Ich will "Shootenannys!" Gefühle nicht verletzen (lacht).

Wie ist das so, die Produktion ganz alleine zu handeln?

Du machst das niemals ganz allein. Ich halte es immer offen, für Anregungen von allen, die gerade im Raum sind. Viele großartige Ideen kommen von Leuten, die nicht ich sind. Es ist ein sehr kollaborativer Prozess.

"Die Sache mit Reviews ist ein bisschen albern."

Ich war letztes Jahr das erste Mal auf einem Eels-Konzert, ich war überrascht wie Rock'n'Roll-lastig der Gig war. Wenn man wieder auf Tour gehen kann, wirst du dann erst mal wieder so eine Tour wie die letzte spielen oder eine ruhigere, melancholischer?

Gute Frage ... Wir wollten ursprünglich ganz bald auf Tour gehen, aber das kann natürlich nicht passieren. Ich will mir auch gerade nicht zu viele Gedanken darüber machen, wie wir es machen würden, weil ich die Ideen, die ich jetzt hätte, wahrscheinlich ganz anders beurteilen würde, wenn wir es dann machen können. Also ... wer weiß?

Was war die Idee hinter der letzten Tour? Hattest du einfach mal wieder Lust zu rocken?

Ja, vielleicht war das einfach eine unbewusste Reaktion darauf, dass ich älter werde und Vater geworden bin (lacht). Da musste ich mir beweisen, dass ich noch rocken kann.

Hast du Interesse an Streaming-Konzerten?

Es ist nicht meine liebste Idee, natürlich. Wir arbeiten gerade an interessanten Ideen, wie wir das umsetzen können. In der Zwischenzeit haben wir aber gerade unseren Auftritt vom Pukkelpop-Festival posten dürfen, der war vor etwa einem Jahr. Die Leute können sich das umsonst online angucken. Wir können zwar gerade nicht live zu euch kommen, aber guckt dieses Konzert hier, mit echten Menschen im Publikum.

Wirst du den Release des Albums dann überhaupt irgendwie feiern?

Äh ... wahrscheinlich nur, indem ich sehr erleichtert sein werde, dass es veröffentlicht ist und dass ich das nächste Kapitel meines Lebens anbrechen kann.

Bist du immer noch aufgeregt, wenn du ein Album veröffentlichst? Es ist jetzt immerhin dein 13. mit den Eels.

Das ist nicht mein Lieblingspart. Der spaßige Teil ist es, die Musik zu machen. Alles danach ist ein bisschen schmerzhaft. Es macht mir keinen Spaß, Musik zu veröffentlichen, aber ich bin sehr dankbar dafür, dass ich Musik veröffentlichen darf.

Fieberst du noch Reviews und Meinungen entgegen?

Weißt du, die Sache mit Reviews ist ein bisschen albern. Man weiß nicht genau, wie ein Album eigentlich ist, für fünf Jahre, vielleicht sogar zehn. Bei vielen unserer Alben, zum Beispiel "Souljacker", als das rauskam, da hat sich niemand drum geschert, niemand hat es gemocht. Jetzt sagen die Leute: Oh, das ist ein tolles Album. Manchmal braucht es Zeit, damit ein Album leben und atmen kann. Ich halte es für albern, eine Review mit einer Deadline in der Releasewoche schreiben zu müssen. Wenn du dir einige Reviews zu Beatles-Alben anguckst, manche mochten "Sgt. Pepper" nicht, in der New York Times etwa. Der Typ, der die Review geschrieben hat, hat inzwischen gesagt, dass er falsch lag. Es geht nicht darum, was ein Album ist, an dem Tag an dem es rauskommt. Es geht darum, was es dir bedeutet, Jahre später.

Also meinst du, wir sollten lieber Alben von vor fünf Jahren rezensieren?

Ja (lacht).

Deine neuen Songs kommen auf jeden Fall gerade sehr gelegen, weil sie zwar Trauer abbilden, aber eben auch ein Licht am Ende des Tunnels sehen. Diesen Optimismus brauchen wir dieses Jahr.

Das war auf jeden Fall die Idee dahinter.

Ich denke es funktioniert.

Das freut mich, aber schau' mal, was du in fünf Jahren darüber denkst (lacht). Vielleicht hasst du es dann.

2008 hast du deine Biographie "Things The Grandchildren Should Know" veröffentlicht. Jetzt wo einige Zeit wieder vergangen ist, hast du drüber nachgedacht ein Sequel zu schreiben?

Manchmal fällt mir auf, dass in den letzten Jahren genug verrückter Scheiß passiert ist, sodass ein zweites Buch wahrscheinlich ziemlich unterhaltsam wäre. Aber das Problem, habe ich realisiert, ist, dass die meisten Leute, über die ich damals geschrieben habe, tot sind. Also musste ich mir keine Gedanken darüber machen, deren Gefühle zu verletzen. Ich konnte offen und ehrlich sein. Das könnte ich bei einem zweiten Buch nicht sein, weil die alle noch leben.... Also muss ich warten, bis die Leute sterben (lacht).

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3 Kommentare mit 12 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Glückstage In Der Hölle. Neben der von Dave Van Ronk und der von Danny Sugarland, eine der besten Musiker-Biografien überhaupt. ...wobei Sugarland selbst ja kein Musiker war. Egal. Ach, und Iggy's natürlich.

    Naja, freu mich auf jeden Fall auf's Album. Autofahren mit E als Beifahrer. Die perfekte Jahreszeit dafür...

    • Vor 3 Jahren

      Da hast du absolut recht. Vielleicht noch die Biographie von Jeff Tweedy dazugezählt.

    • Vor 3 Jahren

      Werd' ich mal reinlesen. Bin mit Tweedy/Wilco nicht wirklich vertraut, aber ist ja kein Muss, wa..:) Ne gute Geschichte is' ne gute Geschichte.

      Danke für den Tipp.

      Bad Vibes von Luke Haines ist auch sehr lesenswert, sollteste den Schinken noch nicht im Regal stehen haben.

    • Vor 3 Jahren

      Wilco lohnen sich sehr! Die sind in meiner Alternative-Pop-Schublade in der Nähe der Eels, warum auch immer. Könnten Dir gefallen!

    • Vor 3 Jahren

      Die Biographien von Springsteen und Hancock sind bisher die einzigen, die ich gelesen habe und mbMn ebenfalls sehr empfehlenswerte Bücher. Lohnt sich die von E auch auf deutsch oder sollte es schon das eng. Original sein?

      Letzteres hätte füt mich den kleinen zusätzlichen Bonus, sich mit meinem Lieblings-Eels-Song (ok, vll. neben Last Stop: This Town) den Titel zu teilen. Kenne aber auch (noch?) nicht alles.

    • Vor 3 Jahren

      Hatte nichts an der Übersetzung zu bemängeln. Hannes Meyer macht das schon ganz vernünftig.

      *Der gute Mann hieß übrigens Danny SugarMAN. Die Bio heißt WonderLAND Avenue... Wahrscheinlich deswegen.

    • Vor 3 Jahren

      It's A Motherfucker wär' eigentlich auch 'n passender Titel für E's Geschichte gewesen.

      Gehört zu meinen Lieblings-Eels-Songs... :)

    • Vor 3 Jahren

      Ok, wird beim nächsten Buchladengang eingetütet bzw. wohl erstmal bestellt. Kommt mir auf jeden Fall entgegen, das mit der Übersetzung, für lockeren Lesefluss habe ich leider doch häufig zu viele Lücken. Danke für den Tipp!

    • Vor 3 Jahren

      Kein Thema. ????

      Ja, bin da bei dir. Gibt schon grausame Übersetzer...(Bernhard Kleinschmidt). Original ist schon zu bevorzugen, wenn man flüssig ist, aber wie du schon meintest, für den Lesefluss greif ich auch lieber zur Übersetzung.

      Und mittlerweile hat man ja schon so einige gute Übersetzer auf'm Schirm...(Stephan Glietsch, Clara Drechsler, Harald Hellmann, Hannes Riffel, Joachim Körber, Peter Torberg, Harry Rowohlt, Oliver Huzly, Karen Witthuhn, Jürgen Bürger, Kristof Kurz)... Um mal einige zu nennen, die eigentlich immer liefern/lieferten. ????

    • Vor 3 Jahren

      Kein Plan, warum die Smileys zu Fragezeichen wurden. Nicht wundern...

      Geister in den Maschinen und so.

    • Vor 3 Jahren

      ich mochte die jenna jameson biographie :whiz: aus der heyne hardcore reihe

    • Vor 3 Jahren

      Mit Bildern?

      Heyne Hardcore is' schon 'n feiner Haufen.

  • Vor 3 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 3 Jahren

    Es macht mir keinen Spass, Kommentare auf laut.de zu veröffentlichen.