laut.de-Kritik
Nach dem Hören schwebt man über dem Lärm des Daseins.
Review von Yan VogelElvis Costello ist ein musikalisches Chamäleon. Mit einer illustren Musikerschar im Rücken definiert er dieses Mal einen traditionell geprägten Country- und Bluegrass-Klangraum.
Diese Abgrenzung ist auch nötig, sie stiftet Kohärenz, entstanden die Stücke doch in unterschiedlichen biografischen Zusammenhängen. Typische Johnny Cash-Nummern, live erprobte Titel, die ihren Feinschliff im Vorprogramm von Bob Dylan erhielten, und Auftragsarbeiten für die Königliche Dänische Oper anlässlich des 200. Geburtstag von Hans Christian Andersen zeigen das breite Kompositionsspektrum.
Der Geist von Johnny Cash haucht "Complicated Shadows" Leben ein und lässt es pulsieren: Ein lässiges Single Note-Riff geht in den Beat über, der von einer Mandoline und dem Kick der Bassbegleitung gebildet wird. Die fantastische Dobro-Gitarre soliert herzzerreißend, filigran, aber immer songdienlich. So auch die Violine, die mit eigenständiger Melodieführung oftmals einen Kontrapunkt setzt.
Auf der Konzertreise mit Bob Dylan 2007 fügte Costello dem Stück "Sulphur To Sugarcane" entlang der Reiseroute entsprechende Verse hinzu, die sich augenzwinkernd mit den Stationen beschäftigten. Beispiel gefällig? "The Woman in Poughkeepsie take their clothes off when their tipsy". Narrative Lyrics eingepackt in eine simple Strophenform erzählen die Geschichte eines stadtbekannten Frauenhelds, der misstrauischen Ehemännern einen Drink spendiert, um ungehindert mit den Ehefrauen herumzuschäkern.
Gerade die Andersen-Kompositionen strotzen nur so vor musikalischem Einfallsreichtum. In allen Farben schillern die Harmonien, inszenieren eine Programmatik und führen zu einer fantastischen Deckungsgleichheit von Text und Musik. Bei allem Hang zum Kunstlied und Durchdachtheit bieten die Stücke dennoch genügend Raum zur Improvisation. Die Aufnahmen in Nashville schloss die Band in nur drei Tagen ab, besser geht's nicht.
Die Symbolik des Covers, der mysteriöse Albumtitel und die Lyrics ergeben ein untrennbar miteinander verwobenes Gesamtkonzept: Sklaverei, Sünde, Scham, Schuld, und über allem thront als einzig Absolutes die Liebe, als zentraler Fluchtpunkt und Ziel.
Wie könnte man eine unerwiderte Liebe besser ausdrücken, als in "She handed me a mirror", laut Costello "ein Lied über all die Pechvögel, die in eine für sie unerreichbare Frau verliebt sind"? Der unglücklich Verliebte bekommt auf die Frage‚ 'warum seine Liebe unerwidert bleibt' als Begründung einen Spiegel ausgehändigt.
Die beiden abschließenden Stücke sind jedoch ein Manifest für Treue: Im letzten Song singt der in dritter Ehe Verheiratete - von einem Walzer-Takt geführt - dass er trotz des Aufrufs zum Partnerwechsel seine Geliebte bei einem erneuten Wiedersehen nicht wieder hergeben möchte.
Einziges Manko: Costello bewirbt sich öfter als dem Hörer lieb ist für den Bob Dylan-Preis für schiefe Intonation. Glücklicherweise hat er mit Jim Lauderdale einen Top-Satzsänger zur Hand, der den Leadgesang ein ums andere Mal von der schiefen Bahn wegholt.
Roh und dynamisch von T Bone Burnett produziert, lebt jede Note, jeder Spannungsbogen, kommt jede dynamische Nuance zur Geltung. Was leise sein soll, klingt auch leise. Eine Weile lang schwebt man nach dem Hören über dem Lärm des Daseins. Leider werden auch diesmal wohl ausschließlich Die-Hard-Fans oder dem Sound verbundene Bluegrasser und Countryliebhaber mit einer leichten Affinität zu jazzigen Abweichungen das neueste Costello-Werk abgreifen.
29 Kommentare
toll geschrieben, jan
seit gefühlten 100 jahren versuche ich immer wieder zwischendrin, mit costello warm zu werden.
es gelingt mir einfach nicht.
eidfentlich sollte der mann total meine schiene sein. er passt so hervorragend in die ganze cale-reed-waits-etc sache.
aber nein.irgendwie geht mir die ausdruckslose stimme auf den sack, dieser hang, immer mr sophisticated zu sein, dieser mangel an emotion in der interpretation.
da schimmtert auch in der erdigsten oder wärmsten komposition noch etwas anorganisches durch, was mich stört.
schade, das mag auch alles durchaus an mir liegen, aber.....ach....was solls....
Hauptsache, es gibt keine weiteren Kollaborationen mit Burt Bacharach.
DAS fand ich wirklich furchtbar. Ansonsten kann ich mir den Herrn von Zeit zu Zeit mal geben, aber dicke Freunde werden wir in diesem Leben vermutlich nicht mehr.
@Olsen (« Ansonsten kann ich mir den Herrn von Zeit zu Zeit mal geben, aber dicke Freunde werden wir in diesem Leben vermutlich nicht mehr. »):
Das trifft ziemlich genau den Nagel auf den Kopf...
Obwohl der teils schon auch echt nette Songs gemacht hat. Anspielstipps wären hier:
- Alison
- (What's So Funny 'Bout) Peace Love and Understanding
- Good Year for the Roses
- Oliver's Army
- Shipbuilding
Ein oder zwei richtig gute Sachen hat der gute Elvis eigentlich auf jedem Album dabei, nur der Rest haut einen halt meistens nicht so wirklich um.
Nein, das liegt an der Stimme Costellos, die - sage ich mal - Konfliktpotential birgt. Ich finde sie auch gerade noch so eben erträglich.
Costello ist zurück... Bluegrass at it's best lies auch http://www.jahrgangsgeraeusche.de/?p=1468
nach geschätzten 30 umläufen finde ich das neue album einfach nur grandios.
wird bei mir mit sicherheit in der top ten des jahres landen.
hätte nicht gedacht, dass seine stimme so gut zu dieser art von musik passt. insbesondere bei "hidden shame" passt sie perfekt.