11. März 2015

"Du kannst jederzeit neu anfangen"

Interview geführt von

Zeit - ein weites Feld. Schon oft behandelt, aber mit jeder Menge Möglichkeiten, sich künstlerisch auszutoben. Wie geschaffen also für eine Band wie Enslaved, die seit Jahren die Grenzen des Extremmetalsektors auslotet und dank intelligentem Songwriting Klischees keinen Nährboden bietet.

Oder etwa doch? Kreativzentrum Ivar Bjørnson scheint Klischees nämlich durchaus zu mögen, wie er uns im Gespräch verrät. Auch wenn er das des wortkargen Nordmannes nicht wirklich erfüllt. Egal, ob es um Popkultur oder die skandinavische Sagenwelt geht - der Gitarrist zeigt sich ausgesprochen redselig.

Mir ist aufgefallen, dass "In Times" einer eurer wenigen englischen Albumtitel ist. Wie entscheidet ihr denn, in welcher Sprache ihr den Titel gestaltet?

Das ist etwas, dass immer einfach irgendwie passiert. Wir haben keine Regeln für die Albumtitel. Die erste Mini-LP war auf Norwegisch, dann kam Isländisch. "Frost" war gut, weil es das in so vielen Sprachen gibt. Für ein paar Alben ging's dann zurück zu Norwegisch, bis wir bei "Below The Lights" zu Englisch wechselten. Da haben wir gemerkt, dass wir mehr oder weniger jede Regel für uns selbst gebrochen hatten, dass wir frei waren, alles zu benutzen. Ein paar Mal haben wir auch Wörter erfunden, wie "Monumension" oder "Ruun". Latein gab es auch: "Vertebrae" und "Axioma Ethica Odini". Das ist ziemlich offen. Wir nehmen einfach das, was unserer Meinung nach am besten zum Album passt. Und es ist großartig: scheinbar funktioniert alles. Die Titel, mit denen sich die Leute am meisten verbunden fühlen, sind glaube ich die norwegischen. Augenscheinlich sind die Menschen sehr offen gegenüber Albumtiteln.

Also geht ihr da hauptsächlich nach ästhetischen Maßstäben vor?

Gute Frage, ich weiß nicht, wo genau es herkommt. Dieses Mal wussten wir, das wird der Titel, also haben wir nach verschiedenen Möglichkeiten gesucht, es auszudrücken. Wir haben es zerlegt, versucht, ein neues Wort zu konstruieren, es in unterschiedlichen Sprachen ausprobiert. Aber diesmal klang "In Times" einfach am meisten "verbunden" für uns.

Wenn ich an das Konzept "Zeit" denke, kommen mir zuallererst Terme wie Vergänglichkeit, Leben, Tod, Wandel von Ideologien und Ähnliches in den Sinn. Was waren denn deine Assoziationen dazu?

Für uns hatte es in gewisser Weise denselben, künstlerischen Ansatz. Wie auch bei "RIITIIR", wo wir uns mit Ritualen beschäftigt und festgestellt haben, dass es Raum für so viele verschiedene Bedeutungen und Assoziationen lässt. Bei "In Times" gab es sogar noch mehr! Es war verrückt. Wir haben uns das näher angeschaut und gemerkt, dass es überall ist. In der Popkultur, in populärer Wissenschaft – Stephen Hawking. Es ist in unserem soziologischen Kontext verankert – wir bewegen uns vom Zeitalter des Buches in das der digitalen Information – in Europa ist die Zeit sozialer Ruhelosigkeit, die Zeit religiöser Konflikte – überall taucht diese "Zeit" auf. Wenn man das auf's Mikrolevel runterbricht, entdeckst du deine eigenen psychologischen Zeiten. Deine Vergangenheit, deine Zukunft, was die Leute auch besonders in unserer Zeit zu beschäftigen scheint, die Balance zu finden, zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Und natürlich das Tieferliegende, die mythologische Zeit. Für uns war schon immer die nordische Mythologie das Feld, in dem wir unsere Lyrics, unsere Konzepte suchen. Dort gibt es ebenfalls eine sehr spezifische Sicht auf Zeit als Zyklus. Viele andere Sichtweisen, zum Beispiel die monotheistischer Religionen, steuern auf das Ende der Welt zu. Doch hier wiederholen sich die Dinge ständig. Ein Ende ist immer auch ein Anfang. In diesen prämonotheistischen Mythologien gibt es immer positive Assoziationen mit der Endzeit. Es ist endlos. Wie die Zeit selbst.

Apropos "endlos": Das Zeitkonzept spiegelt sich wie ich finde auch in der Musik von "In Times" wider. Der erste Song "Thurisaz Dreaming" stürmt geradezu vorbei, während der Nachfolger "Building With Fire" mit seinen Repetitionen wirklich auf eine Art endlos und zeitlos wirkt. "One Thousand Years Of Rain" wiederum springt dann durch verschiedene Kapitel. War das etwas, nach dem du gestrebt hast?

Hm. Das ist anders als bei den Texten, wo man recht bewusst steuern kann, in welche Richtung es gehen soll. In der Musik selbst ist das schwierig. Die Ideen passieren sehr unterbewusst. Ich glaube die Kompositionen sind schon beeinflusst durch die Diskussionen über Zeitphilosophien. Es ist keine direkte Bezugnahme, trotzdem existiert eine Art natürliche Verbindung. Wie du sagst: Man kommt von "Thurisaz", das sehr dicht ist, und bewegt sich in einen eher offenen Track – "Building With Fire". Das passiert eher instinktiv als bewusst. Denn sobald du darüber nachdenkst, welche Musik du spielen möchtest - auf gewissermaßen mechanische Weise - wird es sehr schwer, sie zu schreiben. Zumindest für mich. Wie das alte Problem, wenn man versucht zu analysieren, was man beim Fahrradfahren genau tut. Dich haut's immer hin. (lacht)

Deine Musik empfinde ich häufig als sehr visuell. Hast du beim Schreiben Bilder im Kopf, die du transportieren möchtest?

Ja, das ist nah dran an dem, wie ich arbeite. Unsere gängige Arbeitsmethode ist inzwischen auch, dass etwa um die Zeit, in der die ersten Songs entstehen, vielleicht nicht gleich der Albumtitel, aber zumindest ein Arbeitstitel entsteht, der reflektiert, wohin wir gehen wollen. Ab da entwickeln sich Ideen für das Cover und mit den ersten Riffs auch Songtitel. Das inspiriert mich. Wenn ich ein Riff spiele, formt das in gewisser Weise eine Referenz, ein Bild. Man hat eine Assoziation, die aber nicht so strikt ist, dass das erwähnte Analyse-Problem auftritt. Es ist eine Mixtur aus visuellen Bildern und poetischen Elementen, deren Verbindung sich durch Songtitel oder Lyrics ergibt. Beides beeinflusst sich gegenseitig. Manchmal ist es nämlich auch andersherum, dass ein Riff dir die Idee für eine bestimmte Textzeile schenkt. Und diese wiederum wirkt sich auf den weiteren Verlauf des Songs aus.

"Roadburn wollte ich unbedingt machen"

Wie du vorhin ja selbst gesagt hast, ist nordische Mythologie eine eurer Inspirationsquellen. Manche nennen euch deshalb ja sogar Viking Metal. Besonders auf dem neuen Album hört man aber Melodien, die ich eher dem asiatischen Raum zuordnen würde. Der Mongolei zum Beispiel. Wie kam das zustande?

Naja, im Grunde sind sich diese beiden Kulturen recht ähnlich. Skandinavische Volksmusik verwendet dieselben Skalen, die man auch in arabesker, asiatischer und mongolischer Musik findet. Ich höre auch ab und zu solche Sachen, mongolische Folksänger. Ich mag Folkmusik generell. Gefällt mir besser als diese sogenannte World Music, die ja mehr nach unserer populären Musik klingt. Sie lässt meiner Meinung nach die Ecken vermissen, die der Folk verkörpert.

Also ja, es ist gut möglich, dass ich Einflüsse aus fernöstlichen Gefilden habe. Aber primär konzentriere ich mich auf das Skandinavische. Im Song "One Thousand Years Of Rain" zum Beispiel gibt es diese Midsection, die sehr typisch nach schwedisch-norwegischem Mittelalter klingt. Es gab die Tradition, dass die Fiedler bei Festen stundenlang mit diesen Skalen gespielt haben.

Im selben Song gibt es auch eine interessante Chorpassage.

Ja, das war eine Kollaboration. Wir haben mal mit einem Chor und zeitgleich auch an einem Projekt mit Einar von Wardruna, was ja purer Folk ist, gearbeitet. Er hat dann seinen Wardruna-Chor zu diesem Part hinzugefügt. Ich wünschte, die Stelle wäre länger. Es hat wirklich gut geklappt. Wir müssen unbedingt in der Zukunft wieder was mit ihm machen.

Darauf wollte ich ohnehin noch zu sprechen kommen. Letztes Jahr hast du mit Einar "Skuggsjá" ins Leben gerufen. Ist hier für die Zukunft mehr geplant?

Wir haben entschieden, nächstes Jahr ein Album zu veröffentlichen und haben auch schon damit angefangen. Wir beide arbeiten in unseren Studios daran. Es ist schon ziemlich fortgeschritten. Gleich nach der ersten Performance haben wir gesagt, dass wir auf jeden Fall weiter machen müssen. Begleitet vom Albumrelease wird es dann wahrscheinlich zwei, drei Shows in Europa geben und dann sehen wir mal, wie es weiter geht.

Du und Einar kuratiert ja auch das diesjährige Roadburn Festival.

Ja, die Arbeit daran haben wir vor zwei, drei Wochen abgeschlossen. Dem ging ein ziemlich langer Prozess voran. Am Anfang hatten wir keine Ahnung, wie das ablaufen würde. Aber natürlich wollten wir es unbedingt machen. Es ist eine lange Liste groaßrtiger Leute, die es vor uns getan haben. Ich erinnere mich noch: Letztes Jahr als Mikael von Opeth der Kurator war, hoffte ich, dass sie mich auch mal fragen. Und siehe da: ich mach's im Folgejahr!

Die Roadburn-Organisatoren haben uns viel geholfen. Bei den ersten Bands führen sie dich wirklich an der Hand. Man beginnt mit den größeren Acts auf dem Billing, wegen Preiskalkulation und der Rechnung, wie viele Fans sie ziehen werden. Du präsentierst die Idee und Roadburn gibt dir dann eine Art Anleitung. Eigentlich ganz easy, wir hatten den Fun-Job. Erst ging eine Nachricht an das Management der jeweiligen Band raus, weil wir die Acts in den meisten Fällen nicht kannten. Wir haben das Projekt dann dementsprechend präsentiert, den Kontakt hergestellt. Zum Glück ist es ja ein sehr professionelles Festival, jeder kennt es. Bis auf eine haben alle Bands zugesagt. Nur eine schwedische, Hedningarna, eine von meinen und Einars alten Lieblingen, musste absagen, weil sie wegen einer Krankheit 2015 pausieren.

Habt ihr die Bands alle gemeinsam ausgewählt oder hat sich jeder ein paar ausgesucht?

Wir haben uns für den komplett demokratischen Weg entschieden. Wir hatten beide ein absolutes Vetorecht. Wenn also einer etwas vorschlug, das der andere nicht zu hundert Prozent unterstützte, haben wir es gelassen.

Ihr tretet auch selbst mit Skuggsjá auf, nicht wahr?

Wir spielen Skuggjsá zusammen und jeder von uns macht auch sein eigenes kleines Ding zu Beginn des Freitags. Einar macht einen Workshop, in dem er über seine Arbeit und seine Instrumente spricht. Er hat einige sonderbare Sachen. Pferdehaarfideln – wir sprachen ja schon über die Mongolei; er verwendet einige ähnliche Techniken. Tierfelltrommeln, die er buchstäblich direkt nach der Jagd angefertigt hat. Und er spricht auch über den Gebrauch mystischer, magischer Traditionen in seinen Songs. Direkt im Anschluss mache ich dann genau das Gegenteil mit meinem Electronic/Ambient-Projekt Bardspec. Experimente mit Visuals und Sound. Dann haben wir einige Stunden Pause, während die Bands spielen und wir beschließen den Tag mit Skuggsjá. Wird ein aufregender Freitag!

Werdet ihr die Skuggsjá-Performance ändern im Vergleich zur letztjährigen?

Die musikalische Performance wird identisch sein. Aber hoffentlich wird die Performance an sich ein bisschen besser. Es war letztes Mal auch schon gut, aber wir wollen es eben noch verbessern.

"Toll, jetzt ist meine Antwort ruiniert"

Was mir aufgefallen ist, ist das eure Fans sowohl das alte als auch das neue Enslaved-Material zu mögen scheinen. Gerade in Progressive-Kreisen geht die Tendenz ja sonst eher dazu, dass einige ständig die alten Zeiten zurück haben wollen. Kommt mir das nur so vor oder haben Enslaved damit tatsächlich weniger Probleme? Eure Fans scheinen die neuen Alben genauso zu feiern wie die alten.

Ja, es ist fantastisch! Aber es stimmt schon, was du sagst. Ich bin nicht so oft im Internet unterwegs, aber wenn man sich mit Leuten unterhält, die diese Meinungen vertreten, hört man, wie hart sie teilweise mit ihren sogenannten Lieblingen ins Gericht gehen. Da fühle ich mich echt glücklich mit meinen Fans. Anscheinend genießen sie es, mit uns weiterzuziehen, zu entdecken. Das hängt vielleicht auch damit zusammen wie wir selbst zu unserem alten Zeug stehen. Wir haben nicht diese beschützende Einstellung gegenüber unserem neuen Material. Es ist neu, aber es ist nur ein Punkt auf der Zeitachse. Wir sind in einem bestimmten Alter in einer bestimmten Zeit der Welt und machen ein Album. Wenn jemand das, was wir auf "Frost" gemacht haben, vorzieht, kann er das gerne tun. Wir würden niemals dagegen argumentieren. Wenn jemand sagt, wir haben seit "Frost" nichts Gutes mehr gemacht, würde ich sagen: "Ich glaube, wir haben sehr viel Gutes seit "Frost" gemacht." Aber wenn er das Album lieber mag, schön. Es ist eine Frage des Geschmacks, dagegen kann ich nichts sagen. Ich selbst mag viel Neues, ich kann das nicht so wirklich nachvollziehen. Eine Menge meiner Lieblingsbands haben ihre besten Alben erst spät in der Karriere veröffentlicht. Nicht alle Dinge sind besser, wenn sie noch neu und unschuldig sind. Manches kann sich auch verbessern. Und ich denke, das ist auch so mit Enslaved. Wir können Leute überraschen, wie mit dem Beginn dieses Albums, und in einem Song auch mal 25 Jahre zurückgehen und schauen, was wir damals mochten. Es ist alles eine lange Bewegung, nicht alt versus neu. Und das war eine lange Antwort, haha.

Gibt es vielleicht trotzdem auch bei dir eine Band, von der du nur das alte Zeug magst und das neue überhaupt nicht leiden kannst?

Puh, was könnte das sein? Es gibt immer Ausnahmen. Hm ... Venom vielleicht. Die haben nicht mehr so geile Sachen gemacht.

Das neue Album ist wieder ziemlich gut finde ich.

Ja, das haben mir auch schon einige erzählt. Ich hab's noch nicht gehört. Toll, jetzt ist meine Antwort ruiniert (lacht). Das gleiche war auch schon mit Carcass. Ich mochte ein paar Alben und hab' sie dann mit "Heartwork" verloren. Und vor zwei Jahren kamen sie mit einem neuen Album an, das sogar noch besser als das alte Zeug ist! Verwirrend. Es hängt anscheinend alles davon ab, in welchem Gemütszustand sich die Band gerade befindet. Du kannst jederzeit wieder neu anfangen, so lange du dieses gewisse Feuer für das in dir trägst, was du machst. Gut für uns, dann fühlt man sich nicht so alt.

Lass' uns mal Rollen tauschen. Was würdest du dich selbst fragen?

Wuuuh! Ich habe bemerkt, dass viele Musiker sagen, sie müssten immer ihre Antworten wiederholen und würden sich originelle Fragen wünschen. Ich sehe das anders. Einige Fragen sind einfach natürlicherweise unoriginell. Es ist das gleiche wie bei einem Klischee. Ich bin nicht gegen Klischees, denn der Grund dafür, dass es Klischees sind, ist häufig, dass die Leute sie oft benutzen, die Leute sie richtig finden. Ich würde wahrscheinlich nach der Motivation fragen. Das ist interessant. Zum Beispiel: Warum wiederholen sich manche Bands? Ich habe neulich die aktuelle Marduk-Scheibe gehört. Klang gut, klang aber auch danach, wie es schon vorher klang. Sie haben einen anderen Ansatz als wir. Wie findet man dieses Rezept? Haben sie ein Rezept? Und bei Enslaved: Was ist die Motivation für all die Experimente, für den alten und neuen Ansatz, den "In Times" mit sich bringt?

Hat sich deine Motivation denn über die Jahre hinweg verändert?

Das Ding ist ... Der Grund, warum ich mich das fragen würde, ist, weil ich mich gut fühle, es zu beantworten. Die Motivation ist nicht mehr dieselbe, die Ambition ist dieselbe. Es geht gewissermaßen darum, unsere eigene Beziehung zur Musik zu feiern. Wir sammeln Musik, wir hören Musik, wir haben Freunde auf der ganzen Welt die uns Musik schicken. Heutzutage oft Files, aber ab und zu auch noch CDs und LPs, und wir hören uns ihre neuen Projekte an. Das inspiriert sowohl eine fortlaufende Karriere als auch uns selbst. Es ist extrem motivierend, ein Album zu schaffen, das näher daran kommt, den Traum zu realisieren. Als wir 1992 das Demo aufgenommen haben, hörten wir Sachen wie Bathory und das Ziel war, dieselbe Atmosphäre zu kreieren. Naja, vielleicht nicht dieselbe Atmosphäre, sondern dasselbe Level intensiver Atmosphäre. Und darum geht es immer noch. Nicht mehr so sehr in Bezug auf unsere Helden. Vielmehr haben wir einen Platz in uns selbst und möchten diese Emotion durch die Musik nachbilden. Wir kommen näher. Perfekt wird es nie sein. Und das ist großartig, denn es bringt dich dazu, härter zu arbeiten. Aber jedes Mal wird ein bisschen besser.

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