16. September 2016

"Mike Patton hat uns definiert"

Interview geführt von

Wir sprechen mit Faith No More-Drummer Mike "Puffy" Bordin über die neuen Re-Releases, die Zukunft von Faith No More und seine Erinnerungen an die Zeit in Ozzy Osbournes Band.

Faith No More auf Nostalgiekurs. Nachdem im August das ewig vergriffene Debütalbum "We Care A Lot" als Deluxe Edition mit Bonustracks neu in den Handel gelangte, lässt die San Francisco-Gang nun ihre bekannten Alben "King For A Day... Fool For A Lifetime" (1995) und "Album Of The Year" (1997) in Neuauflagen samt ausführlichen Liner Notes erblühen. Obwohl wir gerade erst mit Bassist Billy Gould plauderten, muss angesichts der rasanten Entwicklungen noch ein bisschen nachgebohrt werden. Drummer Mike "Puffy" Bordin ist gut gelaunt, als wir ihn um acht Uhr morgens seiner Zeit telefonisch erreichen.

Mike, es ist noch nicht mal zwei Monate her, seit ich mit Billy gesprochen habe ...

(dreckiges Lachen)

Das Interview kam zustande aufgrund des Re-Releases von "We Care A Lot". Billy sprach über nichts anderes. Als ich ihn nach weiteren Re-Release-Plänen ausfragte, blieb er stumm. Und nur eine Woche nach dem Interview haut ihr das Statement mit den zwei 90er Alben raus ...

Mike Bordin: Ich fürchte, die Gründe dafür sind unaufregender als man vielleicht denkt. In dieser Sache müssen wir dem Warner-Label einfach dankbar sein, denn sie waren so großzügig und haben uns erlaubt, mit dem vergleichsweise kleinen Projekt, also dem Re-Release des Debütalbums, auf Billys Label Koolarrow vorzupreschen.

Dabei haben sie schon viel länger an den zwei anderen Neuauflagen gearbeitet. Billy ist einfach sehr stolz auf diese erste Platte und die Veröffentlichung. Alles ist gut. Was mich betrifft, ich könnte ewig über "King For A Day" und "Album Of The Year" sprechen.

Na dann kannst du mir ja gleich mal sagen, welche Platte von beiden besser ist.

Oh fuck, no, da antworte ich immer gleich: Ich liebe alle meine Kinder, so verschieden sie auch sind. Ich kann auch mit diesen Vergleichen - "Welche Band ist besser, die hier oder die da?" - nichts anfangen. Was bringt das? Jede Band hat doch was im Angebot. Davon abgesehen liegt mir "King For A Day" sehr am Herzen, ich denke gerne an die Aufnahmen zurück, ich mag die Songs, das Artwork und wir spielen immer noch vieles davon live. Du musst mir zwar keine Pistole an die Schläfe halten, damit ich auch über unsere anderen Platten gute Dinge sage, aber wenn du mich heute fragst, okay, "King For A Day" ist ein besonderes Album für mich. Andererseits haben Faith No More nie etwas veröffentlicht, hinter dem eine Person von uns nicht gestanden hätte.

"King For A Day" erschien 1995, drei Jahre nach eurem Erfolgsalbum "Angel Dust". Ihr habt euch dafür den neuen Produzenten Andy Wallace geangelt, der Sonic Youth und Sepultura gemacht hat. Welche Gründe gab es für die Trennung von "Angel Dust"-Produzent Matt Wallace?

Man muss diese Entscheidung im Kontext der damaligen Zeit sehen. Matts Arbeit war brillant und ich bin super happy mit allen Ergebnissen. Aber er war bis dahin bei jedem Schritt von uns dabei, er hatte jede einzelne Veröffentlichung von uns überwacht: Alles vor Chuck, alles vor Mike Patton. "The Real Thing" wurde ein Erfolg, "Angel Dust" auch so einigermaßen. Wobei das wirklich eine schwierige Platte für uns war. Ich glaube sie war auf Platz 1 in Deutschland und England, aber sonst blieb sie hinter den Erwartungen zurück. Danach haben wir ja auch noch unseren Gitarristen verloren (Jim Martin, Anm. d. Red.), also war es 1995 an der Zeit, etwas Neues zu wagen. Wir wollten uns nicht wiederholen. Außerdem hatten sie denselben Nachnamen und wir dachten, es fiele sowieso niemandem auf.

Aber im Ernst: Andy war damals einer dieser erfolgreichen Produzenten, die alle bei Rick Rubin als Tontechniker angefangen hatten. Er war bei Slayer und Run DMC im Studio dabei - gibt es bessere Gründe, um eine Faith No More-Platte zu produzieren? How Faith No More is that? Und er passte genau zu uns, er hatte dieselbe Vision. Das Klima damals war ja so, dass Jims Abgang die Öffentlichkeit glauben machte, wir würden unseren Rock-Anteil am Sound herunter fahren. Dabei haben wir diesen Schritt vollzogen, gerade weil wir aggressiver klingen wollten. Wir waren eher frustriert, dass wir dieses Potenzial vorher nicht abgerufen hatten. Da schien uns ein Metal-Spezialist wie Andy Wallace genau der richtige Mann zu sein.

Die Reaktionen auf "King For A Day... Fool For A Lifetime" von Presse und Fans waren jedoch eher reserviert. War das für euch damals frustrierend?

Uns hat das nicht sonderlich überrascht. Die Reaktionen auf fucking "Angel Dust" waren auch reserviert. Sogar auf "The Real Thing". Ich denke, wir haben damals einfach realisiert, dass die Menschen beim ersten Hören einer Faith No More-Platte immer überrascht sein werden, weil wir einfach nicht zu dieser Sorte von Bands gehören, die ihren Fans immer wieder die gleiche Platte in neuer Verpackung vorsetzen. Das liebe ich übrigens auch an meinen eigenen Lieblingsbands: Kyuss und Neil Young haben nie eine Platte zwei Mal aufgenommen. Für uns war das damals eine Zeit des Umbruchs: Unser Gitarrist war plötzlich nicht mehr in der Band und Jim hatte nun mal eine starke Präsenz und ein starkes Image in Faith No More.

Mich persönlich hat damals überrascht, dass Trey (Trey Spruance, der neue Gitarrist, Anm. d. Red.) nach den Aufnahmen nicht mit uns auf Tour gehen wollte. Aber da kann ich nur für mich sprechen, Mike Patton hat das wahrscheinlich überhaupt nicht überrascht. Der hatte vorher schon so etwas in diese Richtung angekündigt. Wie dem auch sei, im Studio lief es super mit Trey. Seine musikalischen Fähigkeiten und sein Fachwissen waren unglaublich. Deshalb hat mich seine Tour-Absage auch ziemlich getroffen.

"Jim Martin ist nicht der Typ, mit dem man abhängt"

Zu diesem Zeitpunkt hatte Mike Patton schon einige Projekte parallel zu Faith No More am Laufen. Gab es jemals Probleme in der Band mit diesen Nebenschauplätzen von ihm?

Am Anfang rechnet man natürlich nicht damit und manche Dinge sorgten sicher auch für Stirnrunzeln. Tatsache ist aber: Wenn er bei Faith No More ist, gibt es keinen Besseren. Also gibt man ihm die Freiheit, seine Ideen zu verwirklichen. Ich meine, wir reden hier von den 90ern, da floss noch ordentlich Kohle im Business, überall liefen Manager rum und sowas. Da gab es schon mal kuriose Situationen. Aber am Ende des Tages ist er das Gesicht von Faith No More. Das ist meine Meinung. Er hat uns definiert. Und wenn der Kerl auf italienisch singen oder irgendwas anderes Extremes machen muss, dann ab dafür. Ich respektiere auch die Sachen, die Bill und Roddy nebenbei machen und ich war ja auch nicht 15 Jahre komplett untätig. Ich glaube schon, dass all diese Dinge am Ende sehr wichtig für die Band gewesen sind.

Nach "Album Of The Year" kam es recht schnell zur vorläufigen Auflösung der Band. Wie siehst du euer Ende aus heutiger Sicht?

Es kam dann doch dieser bestimmte Punkt, an dem einige nur noch andere Dinge machen wollten. Es lag jedenfalls dieses Gefühl im Raum, dass man mit Faith No More vielleicht wirklich alles gesagt hat, was es zu sagen gab. Und warum auch nicht? Niemand hat uns gezwungen, "Album Of The Year" aufzunehmen. Es ist ein gutes Album geworden, für das sich jeder in der Band richtig reingekniet hat, obwohl es damals bereits all diese Seitenprojekte gab. Ich spielte damals schon in Ozzys Band Schlagzeug und ging mit ihm auf Tour.

Es war genau wie später bei "Sol Invictus": Ein Album, das wir nur für uns gemacht haben. Bei Faith No More geht nur etwas, wenn alle an einem Strang ziehen. Es ist wie bei dem alten Sprichwort: Man kann das Pferd zur Tränke führen, aber saufen muss es selbst. Es war einfach Zeit für was anderes. Wir sind jahrelang für die gleichen Gründe um die Welt gereist und waren irgendwann einfach müde.

In einigen Texten des Albums schwingt bereits ein Hauch von Abschied mit und auch das Cover könnte man dahingehend interpretieren. Spukte euch die Trennung schon bei den Aufnahmen im Kopf herum?

Also mir nicht. Aber du redest hier mit dem Drummer, das ist derjenige, der seine Parts im Studio als erstes einspielt. Kann ich für Mike Pattons Texte sprechen? Nein und das werde ich auch nicht. Vielleicht hat es Anzeichen in diese Richtung irgendwo gegeben. Wenn ich mich in deine Lage versetze und von außen auf die Situation damals schaue, leuchtet das ein. Aber wir waren alle sehr zufrieden mit den Ergebnissen, die Shows waren toll und die Reaktionen auf "Ashes To Ashes" oder "Stripsearch" ebenso. Oder nimm "She Loves Me Not", das ist doch auf diesem Album, oder? Was für ein spektakulärer Gesang. Es war definitiv nicht wie bei Cream, die seinerzeit ihr Album "Goodbye" nannten, weil alles schon vorbei war.

Euer Verhältnis zu Ex-Gitarrist Jim Martin wurde nach seinem Ausstieg nie als besonders freundlich beschrieben. Wie ist da der Stand der Dinge?

Wir haben eigentlich keinen Kontakt zu Jim. Das war früher aber leider auch nicht anders, das ist die traurige Wahrheit. Beziehungen müssen wechselseitig funktionieren und das hat mit ihm nie geklappt. Ich traf ihm zum ersten Mal als 15-Jähriger oder so, als ich mit Cliff (Burton, später Metallica, Anm. d. Red.) in seine Band eingestiegen bin. Aber schon da war er nicht der Typ, mit dem man abhängen, Frisbee spielen oder sonstwas machen konnte. Und viel später bei Faith No More, als wir gemeinsam in stressige Situationen kamen, fehlte uns genau diese Zeit. Wir hatten nichts Gemeinsames, auf das wir hätten aufbauen können. Nichts, was uns gestärkt hätte, den ein oder anderen heiklen Moment heil zu überstehen. Das hat unser Schicksal besiegelt. Als vernünftig denkender Mensch wünschte ich heute, es gäbe einen Draht. Von unserer Seite wurden immer mal wieder Anstrengungen unternommen, mit ihm über bestimmte Dinge zu sprechen, die aber nie erfolgreich endeten.

Natürlich muss ich dich jetzt auch fragen, ob es Pläne für eine neue Faith No More-Platte gibt.

Vielleicht.

Sitzt du schon dran?

Nein. Ich habe ein paar Songs eingespielt, die alle sehr gut sind. Ob diese Songs je fertig werden, liegt nicht in meiner Hand. Ich weiß nur, dass derjenige, der sich als nächstes dieser Songs annehmen müsste, gerade an anderen Dingen arbeitet. Aber wenn du gerade mit Bill gesprochen hast, weißt du ja: Wir sind alle stolz auf das, was wir mit Faith No More geschaffen haben und die Stimmung auf der letzten Tour war sehr positiv.

Würde ich gerne ein neues Faith No More-Album veröffentlichen? Absolut. Gleichzeitig wissen wir aber, dass Zwang zu nichts führt. Es muss fließen. Und das geht nicht auf Knopfdruck. Deshalb gibt es keine Ankündigungen oder Einträge auf den Warner-Veröffentlichungsplänen für 2017. Aber hey, immerhin ist die Tür einen Spalt offen. Hättest du mich vor fünf Jahren gefragt, hätte ich dir mit fester Überzeugung geantwortet: Vergiss es.

"Ozzy singt alles live"

Der Label-Kollege drückt aufs Tempo, daher letzte Frage: Du bist jahrelang als Drummer in Ozzy Osbournes Band aktiv gewesen. Bitte verrate es uns: Singt der Mann noch live?

Yeah. Logisch. Ozzy passieren live doch so kleine Fehler, die Stimme bricht um oder er trifft den Ton nicht richtig. Glaubst du, er würde diese Fehler absichtlich vorher aufnehmen, um sie dann live abzuspielen? Ozzy singt alles live.

Ich frage deshalb, weil ich gehört habe, dass es live einen Sänger-Back Up geben soll, der für Ozzy die ganz hohen Töne übernimmt.

(seufzt) Oh no. Also ich stehe jetzt 15 Jahre mit ihm auf der Bühne und habe fast 1000 Konzerte mit ihm gespielt. Nur mal angenommen, Ozzy würde auf die Bühne gehen und "Hole In The Sky" oder "Sabbath Bloody Sabbath" absolut perfekt singen, von mir aus noch ein paar Töne höher als die Originalversionen, ich würde vermutlich sagen: Wow, der Typ hat's echt immer noch voll drauf.

Und was macht Ozzy? Geht auf die Bühne, obwohl seine Stimme eben bei Weitem nicht perfekt ist. Sie wird mal dünn, dann bricht sie, aber es ist ihm egal. Noch dazu ist es so verdammt laut dort wo er steht. Klar, jetzt kann man sagen, er steht da schon immer, aber ich verstehe nach wie vor nicht, wie er sich dort überhaupt selbst hören kann. Unser Sänger sagt das ständig, er dreht sich um und dann heißt es: Guys, come on, ich höre mich nicht. Und das ist ein Problem, denn sonst geht der Auftritt in die Hose. Ozzy ist das egal, er singt einfach.

Ich habe ihn dieses Jahr mit Black Sabbath gesehen. Sensationell.

Absolut. Ich liebe seine Energie, er ist enthusiastisch, Tommy (Clufetos, Drummer der aktuellen Sabbath-Besetzung, Anm. d. Red.) macht seine Arbeit hervorragend. Ich verehre natürlich Bill Ward und würde ihn so gerne mit den anderen spielen sehen, aber diese Dinge gehen mich nichts an.

Warum spielst du nicht mit Sabbath?

Habe ich 1997 getan, die US-Termine beim Ozzfest. Ozzy spielte damals 45 Minuten solo und danach noch mal 45 Minuten mit Sabbath. Eine große Ehre.

Was war deine verrückteste Geschichte mit ihm?

Die Sache in Prag natürlich, als ein Fernseher aus dem Fenster flog und beinahe zwei Menschen auf der Straße getroffen hätte. Die Polizei kam, es wurden Leute verhaftet. Ozzy hat darüber auch in seinem Buch geschrieben (2002 haben Ozzy und Gitarrist Zakk Wylde im Alkoholrausch ein Hotelzimmer demoliert. Wylde gab später zu, den Fernseher geworfen zu haben, Anm. d. Red.). Aber ganz ehrlich: Dass ein Typ wie ich überhaupt mit Ozzy über so einen langen Zeitraum spielen durfte, ist wahrscheinlich das Verrückteste überhaupt.

Was in dieser Zeit alles passiert ist: Er hat diese TV-Show gemacht, seine Frau erkrankte an Krebs, er wäre fast beim Sturz von diesem Quad-Rad gestorben, unfassbar. Seine Musik hat einen ungeheuren Einfluss auf mein Leben. Ich bin stolz darauf, dass ich ihm ein bisschen was zurück geben konnte, in dem ich mir Abend für Abend hinter ihm den Arsch aufgerissen habe. Ich kann nur "Danke" sagen.

Noch kurz zu Bill Ward: Viele Sabbath-Fans hätten sich natürlich das Original-Line Up für die letzte große Tournee mit ihm am Schlagzeug gewünscht.

Aus der Fan-Perspektive finde ich es natürlich auch schade. Niemand spielt Black Sabbath-Songs so wie Bill Ward. Ich fühle mit ihm. Aber ich kenne das Geschäft lange genug, um zu wissen: Ozzy, Tony und Geezer müssen gute Gründe für diese Entscheidung gehabt haben. Ich meine, da stehen ja noch drei Viertel der Originalbesetzung. Wir sollten froh sein, die Band überhaupt noch sehen zu dürfen.

Angeblich war Bill nicht mehr gut oder fit genug für eine Tour.

Kann ich nicht beurteilen. Für mich sind das immer Geschichten, die sich irgendjemand auf dem Rücken von Leuten ausdenkt. Tommy macht einen tollen Job. Und eins noch, dann muss ich auflegen: Ich habe beobachtet, wie er und Tony Iommi auf der Bühne interagieren. Tommy macht Tony wirklich glücklich. Wie großartig ist das bitte? Man muss es positiv sehen. Außerdem: Ohne Black Sabbath würde es uns gar nicht geben. Sie haben es erfunden.

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