laut.de-Kritik
Balkan, Blues, Roma-Folk und verbeulte Bläser.
Review von Ulf KubankeSeit 20 Jahren sind Fanfare Ciocarlia die Rache der Provinz. Kommend vom Anus der Welt - einem kleinen Zigeunerdorf im tiefsten Rumänien - bedeutet ihre Musik einen puristischen Arschtritt für so manch gelackten Großstadthipster der Balkan-Beat-Szene. "Onwards To Mars" haut wuchtig in diese Kerbe. Vorhang auf für Balkan, Blues und verbeulte Bläser.
Der fette Gypsy-Brass büßt auch nach zwei Dekaden kein Gramm seines ansteckenden Temperaments ein. Ihre tiefe Verwurzelung im Roma-Folk reicht etliche Generationen zurück. Ebenso die Wahl der Blechbläser. Wer sein Tagewerk in Fabriken oder auf dem Felde vollbringt, dessen Hände eignen sich kaum für Tüdelkram wie filigrane Zupf-Instrumente. Da muss schon der grobe Keil her. Mit abgerockten Tubas, zerbeulten Posaunen und Trompeten fegen ihre 14 Lieder wie ein Sturm übers Parkett.
So entsteht ein wahres Soundungetüm. Folklore trifft in Bebop-Tempo auf Blues, ein Quäntchen Jazz und überbordende Spielfreude. Unfassbar mit welch technischer Finesse und spielerischer Qualität Fanfare Ciocarlia losbrettern. Aus der Not heraus, die meisten Rhythmus- und Melodie-Instrumente ersetzen zu müssen, entsteht mitreißender Erfindergeist.
Ihr Energielevel ist auch im Studio beeindruckend. Man hört ihnen jederzeit an, zu den herausragenden Livekapellen auf diesem Planeten zu gehören. Gelegentliche Gastmusiker-Auftritte an Drums oder Percussions perfektionieren den Trip zum Mars. Als Anspieltipps empfehlenswert sind das derbe "Romanians" und das elegante "Out To Lounge".
Mit "I Put A Spell On You" schießen Fanfare Ciocarlia covertechnisch mal wieder den Vogel ab. Passt super. Popkulturell legendärer als der Screamin' Jay Hawkins-Evergreen sind höchstens Zigeunerflüche. Der klagende Bluestouch in "Doina Pentru Un Frant Inima" oder das charismatische "Fiesta De Negritos" samt tollem Trompetensolo sind dagegen Demonstrationen ihrer musikalischen Stärke. Halbwertszeit existiert nicht. Und alles muss nach spätestens drei Minuten gesagt sein. Boom! Trotz des preisverdächtig hässlichen Coverartworks eine absolute Kaufempfehlung für diese tolle Frühlingsplatte.
7 Kommentare mit einer Antwort
neutral milk hotel oder beirut-like?
"schräge bläser" hört sich interessant an.
weder noch...eher so, wie es da steht. zigeuner on speed mit tubas und co. das ist eher: bruderband von gogol bordello.
klicke mich gerade durch die tracks. gefällt mir ganz gut.
aber den beirut-vergleich, gerade aus der gulag orchestra phase, lass ich doch mal im raum stehen. auch wenn es ein eher kleiner raum ist.
ein kämmerlein....aber gekauft
Und ich dachte schon, es handle sich um ein neues Space Tape.
mir auf dauer etwas zu zehrend.macht aber lust, sich mal wieder "schwarze katze, weißer kater" anzuschauen.
Habe die Band gerade über den neuen Boratfilm entdeckt. Einfach geil die Musik!