laut.de-Kritik

Die letzte wilde Sause vor der Apokalypse.

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Father John Misty lädt ein zur großen Vorstellung. Öffnet die Pforten, sperrt die Lauscher auf, reibt euch die Augen! Der Vorhang öffnet sich. Let the pure comedy begin! Das Novum schlechthin: Die Darsteller, das sind wir selbst. Hipster, Homophobe, Priester, Manager, Eigenheimbesitzer, Großstadtkids. Das Versprechen: Total entertainment forever, hell yeah!

Die Schöpfung der Erde und ihrer Bewohner resultiert aus der Laune des ominösen Sky-Man. Sie bleibt unvollendet, nicht zu Ende gedacht. Die Menschheitsgeschichte, gekleidet in stolze Begriffe wie Evolution, Zivilisation, Kultur, Aufklärung oder Humanität: In Mistys Kosmos verkommt sie zur Posse.

Der Mensch, ein missgestaltetes, zu früh geborenes, fremdartiges Wesen mit Gehirnen, "way too big for our mother's hips" ("Pure Comedy"), kann gerade so einen Fuß hinter den anderen setzen. Die Krux: Der Sky-Man versieht diese "horror show" auch noch mit Sinn. Die Suche nach ihm entpuppt sich als der Gunning Gag schlechthin. Was, wenn wir vergeblich suchen? Es ist zum Schießen.

Die Wirklichkeit sieht, glauben wir Father John Misty, ganz anders aus. Der heutige Mensch gefällt sich im Dienen, Denkarbeit liegt ihm weniger: "These mammals are hell-bent on fashioning new gods / So they can go on being godless animals." Die neuen Götter heißen Facebook, Apple, Samsung. Der Sinn liegt einzig darin, den Tag irgendwie unversehrt zu überstehen und ihn sich nach und nach erträglicher zu gestalten.

Während die unsichtbaren Master ungestört die Illusionsmaschine am Laufen halten, darf sich der große Rest entspannt mit einem Sandwich auf der Couch zurücklehnen und je nach Bedarf im Fernsehen, am Laptop, Tablet oder Smartphone das Treiben der Welt verfolgen.

So hinterfragt der in "Ballad Of The Dying Man" besungene Jedermann sein Leben dahingehend, ob er die Welt auch wirklich vor sämtlichen Dummschwätzern bewahrt hat: "Oh Lord, a little more time!" Erst in den letzten Atemzügen liegend erkennt er, dass seine Mühen wohl doch vergebens waren: "We leave as clueless as we came." Vorher werden trotzdem noch die neuesten News-Feeds gecheckt, damit man ja nichts in der Welt dort draußen versäumt.

Dort spielt sich das wahre Spektakel ab. "Leaving LA", ein 13-minütiger Brocken, fantasiert das Szenario eines Erdbebens, das die Stadt dem Erdboden gleichmacht. Die prophetische Kompetenz des lyrischen Ichs ermöglicht ihm, noch einmal kurz vor Day Zero die Kurve zu kratzen. Der Song stillt jedoch nicht allein das primitive Bedürfnis nach dem Untergang der Welt, sondern reflektiert die eigene Künstlerlaufbahn Father John Mistys, wobei er nicht gerade ein wohlwollendes Bild von sich und seinen Fans zeichnet.

In Erinnerung bleibt die Verarbeitung seiner ersten bewussten Erfahrung mit Musik. Darin klingt das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern an, die ihn nach streng christlichem Vorbild erziehen wollen. Dass dies Unternehmen nicht gerade von Erfolg gekrönt war, lässt sich heute eindrucksvoll in den Medien nachvollziehen.

In einem Supermarkt erstickt Sohnemann beinahe an einer Melone, während die Mutter wild gestikulierend um Hilfe schreit. Der Witz: Während der Sohn erstmals ein Gefühl der Nähe zur distanzierten Mutter entwickelt, ertönt im Hintergrund der Fleetwood Mac-Song "Little Lies": "That's when I first saw that comedy don't stop for / even little boys dying in department stores."

Die Texte der "Pure Comedy" bewegen sich zwischen aufrichtiger Klarheit und zynischer Ironie, die Wahrheit befindet sich wohl in der Mitte. Dass Zeilen wie "Bedding Taylor Swift / every night in the Occulus Rift" in "Total Entertainment Forever" ein mediales Echo hervorrufen und zu Fehldeutungen provozieren wird, sollte klar gewesen sein. Father John Misty ist Streiter und Streitobjekt zugleich und gefällt sich in der Rolle des smarten weißen Zynikers, der sich anmaßt, ein derart vernichtendes Urteil zu fällen und nicht einmal die authentische Stimme einer unterdrückten Minderheit darzustellen: "Oh great, that's what we all need / another white guy in 2017 who takes himself so goddamn seriously." ("Leaving LA")

Selbst für den Tod bleibt nur noch Mangelware übrig, irgendein vakuumverpackter Ramsch, der sich einst Menschheit nannte: "If this isn't hell already than tell me what hell is?" ("When The God Of Love Returns") Die gegenwärtige Hölle beschreibt eindrücklich "Two Wildly Different Perspectives", in dem jeder dem anderen an die Gurgel springen will. Liberals und Conservatives, Atheisten und Fanatisten, Liberale und Sozialisten, sie alle wollen schlussendlich nur dasselbe: "But either way we just possess / And everybody ends up with less."

"Smoochie" stellt die große Ausnahme dar: eine Liebeserklärung an seine Frau Emma, die die Erinnerung an sein letztes Album "I Love You, Honeybear" wachruft. Im trauten Heim, in verschwiegener Zweisamkeit, hat der grantige Erklärbär Pause, stattdessen bahnt sich ausnahmsweise einmal so etwas wie Hoffnung an.

In "So Growing Old On Magic Mountain" malt sich Josh Tillman fernab der lärmenden Hektik und des resignierenden Stumpfsinns seine ganz persönliche Altersfantasie aus. Auf dem Magic Mountain sind sie jung und schön, haben Spaß und betrinken sich mit dem Selbstgebrannten vom alten Farmer nebenan. Im Anschluss gehts in die Scheune zur letzten wilden Sause, bevor Mutter Erdes letztes Stündlein schlägt. Im sphärischen Outro, übertönt von einem verzerrten Vibraphon, setzt E.T. schließlich zur Rückkehr ohne Wiedersehen an.

Den Bogen zu "Smoochie" schlägt der großartige Schlusspunkt "In Twenty Years Or So": "But I look at you / as our second drink arrive / and the piano player plays 'This Must Be The Place' / and it's a miracle to be alive." Was lohnt es noch, im Angesicht der nahenden Katastrophe all die Schmocks zu kritisieren, die dir auf den Schlips treten? In zwanzig Jahren wird niemand jemals mehr Anstoß nehmen. Die nicht länger präsente Zukunft erscheint als Befreiung:
"There's nothing to fear", erklingt die Stimme Father John Mistys ein letztes Mal, ehe sie im Wald von Streichern verhallt.

... und nach der Apokalypse? Das erzählt uns der Father im unfassbar catchy Abgesang auf die menschliche Rasse, "Total Entertainment Forever": "When the historians find us we will be in our homes / Plugged into our hubs / skin and bones / A frozen smile on every face." Hach, was muss das für ein schönes Fleckchen Erde gewesen sein, damals, in den good ol' times. Sollte der Weltuntergang nur einen annähernd so großen Entertainment-Faktor bieten wie die "Pure Comedy", reserviere ich mir schon einmal einen Platz in der ersten Reihe.

Trackliste

  1. 1. Pure Comedy
  2. 2. Total Entertainment Forever
  3. 3. Things That Would Have Been Helpful Before The Revolution
  4. 4. Ballad Of The Dying Man
  5. 5. Birdie
  6. 6. Leaving LA
  7. 7. A Bigger Paper Bag
  8. 8. When The God Of Love Returns There'll Be Hell To Pay
  9. 9. Smoochie
  10. 10. Two Wildly Different Perspectives
  11. 11. The Memo
  12. 12. So I'm Growing Old On Magic Mountain
  13. 13. In Twenty Years Or So

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3 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Wow. Da hat einer über 1000 Wörter verfasst und kein einziges Wort über die Musik verloren. Chapeau! Man erkläre mir bitte, was dies nun mit einer Musikrezension zu tun haben soll. Wie und nach was der Künstler klingt weiss ich nach dem Lesen immer noch nicht. Im Deutschunterricht gerne Lyrik interpretiert, den Musikunterricht dann aber geschwänzt. Setzen, sechs.

    • Vor 7 Jahren

      Ich finde die Rezi zwar schön geschrieben, im Endeffekt dachte ich mir aber exakt das gleiche.
      Gerade, weil ich noch unsicher, ob ich es mir kaufen werde. Habe die ersten beiden Alben und die Singles klangen mir einfach zu "gleich". Weiß nicht, ob ich nochmal das gleiche brauche wie auf dem letzten Album.

    • Vor 7 Jahren

      ich bin da tatsächlich auch dabei. ich hab auch (fast) die ganze rezi gepackt. trotz Legasthenie und LRs-schwäche...und habe tatsächlich keine ahnung, was besagter künstler für musik macht :rayed: :suspect:
      stünde da oben nicht irgendwo klein und unscheinbar "songwriter/folk/country", hätte ich jetzt einen massiven touretteanfall, der aber so dermaßen gegen §130/131 Stgb verstoßen würde....:mad:

    • Vor 7 Jahren

      Die Rezension passt dann doch aber auch sehr gut zum Album. Nur der Text ist gut, die Musik ist immer die selbe Leier. Meiner Meinung nach.

  • Vor 7 Jahren

    Pure Comedy ist die Version 2.0 von Randy Newmans "Good old boys". Textlich deutlich bissiger, auch etwas komplizierter. Musikalisch zwischen Folk und Pop-Rock der besseren Art.