laut.de-Kritik
Rückständiger Rummelbums.
Review von Anastasia Hartleib"Dorfdisko" klingt ganz genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Auf abgedrehten Rummelbums-Beats rappt oder singt Finch Asozial über Saufen, Titten, Drogen, Autos, Ficken und Kumpels. Willkommen im Osten!
Zugegeben, das Album zeichnet ein unheimlich genaues Bild einer durchschnittlichen ostdeutschen Dorfjugend. Pubertärer Jungshumor trifft auf übermäßig viel Alkohol und Eskalation am Wochenende, gepaart mit Behinderten-, Schwulen- und Frauenwitzen, die für den echten Mann natürlich alle auf einer Stufe stehen. Wer nicht aufpasst, kriegt vom Hingucken AIDS. Haha.
Schon klar, "Dorfdisko" ist lustig gemeint. Saufen wir halt ein bisschen "Goldi & Korn" und hören dazu "Heckspoilermucke", zwinker, zwinker. Nicht umsonst bestehen die Beats des Albums aus Techno-Schranz-Geschrammel und Schlager-Melodien, abgesehen von "Ossi California", dem Plusmacher-Feature, "601", der Ode auf den Trabi, die eins zu eins nach einem Marteria-Song klingt, und dem Achtziger Synth-Pop "Der Letzte Echte Macho" mit Big Mike.
Natürlich spielt Finch, der sich gerne auch mal in sein Alleinunterhalter-Alter Ego "DJ Heiko" wirft, mit Übertreibungen und ganz bewusster Provokation, wenn er Zeilen rappt, wie: "Fotze, halt dein Maul, endlich kommen wieder harte Texte / spritz dir meinen Samen jetze mitten auf die Arschvignette."
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, bereitet mir "Dorfdisko" Unbehagen. Ich fühle mich gefangen in einem weirden Trip aus 257ers, Scooter und SDP, die gemeinsam Fettbemmen essen und Sachsengold in der Garage gluckern. Dem Album haftet eine Rückständigkeit an, die glorifiziert wird, vielleicht aber einmal überdacht werden sollte.
So sehr Finch auch versucht, dem Album einen ironischen Unterton zu geben, er spiegelt doch eine ziemlich unironische Realität wider, in der immer noch erschreckend viele Menschen glauben, jeder Homosexuelle habe AIDS, jeder Behinderte sei nicht normal und jede Frau im Grunde nur zum Kochen und gefickt werden da.
Dabei zeigt Finch sein Talent als Rapper. Er erzählt Geschichten und entwirft fast filmreife Szenarien, er beherrscht die Kunst des Wortejonglierens. Die Feature-Songs des Albums machen deutlich, dass der Kerl unterschiedlichste Atmosphären erzeugen kann. Mal klassischen Boombap-Gangster-Rap, mal Achtziger-Pop, mal astreinen Schlager.
Er könnte größer, kreativer, intelligenter. Aber er zieht es vor, in der engstirnigen Rückständigkeit zwischen Fliesentisch und Heckaufkleber zu verweilen. Was seine Fans vermutlich genau deswegen feiern. Ich finde es einfach nur schade.
10 Kommentare mit 13 Antworten
Werdet ihr noch das neue Album von Ferris MC reviewen? Das soll sogar noch schlechter als "Asilant" sein.
ICH fass' das nicht an. hab' schon ein gebrochenes fanmädchenherz. aber ja, einer der kollegen macht das. review kommt am montag.
Was will man auch erwarten, wenn jetzt sogar Madsen an dem Output beteiligt sind?
ich will NICHTS davon hören.
Einfach was x-beliebiges von Ferris feat. DJ Stylewarz auflegen - da hat er noch immer am meisten Spaß gemacht.
Fanmädchen, whut?
Okay, gegen Reimemonster und Asimetrie kann man nix sagen, aber alles danach...da war die Deichkind-Mitgliedschaft noch der Meilenstein
Also Audiobiographie war schon n starkes Album!
Wenn man es schafft auszublenden was Ferris mal war und (vor allem) seine letzten zwei Totalausfälle mal vergisst ist sein neues Album gar nicht so verkehrt
das verleugnen von alten idolen scheint immer weiter um sich zu greifen. ich werde es nie verstehen...
Die Quintessenz der Review ist also: Klappt als Konzeptalbum wunderbar und ist on-Point, Finch sowieso ein guter Rapper. Aber gefällt mir nicht, deshalb 2/5.
Kann auch die Vergleiche mit den 257ers und SDP nach wie vor nicht nachvollziehen. Das ist doch beides so dümmlicher "wir sind lustige Künstler und nehmen uns selber nicht ernst" Spaßrap. Finch macht das ja grade nicht so, sondern zieht sein Image durch - ob man das jetzt feiern kann oder nicht.
Auf jeden Fall ein Künstler, der Typ, nur ist seine Kunst halt ziemlich abstoßend.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
"Zugegeben, das Album zeichnet ein unheimlich genaues Bild einer durchschnittlichen ostdeutschen Dorfjugend. Pubertärer Jungshumor trifft auf übermäßig viel Alkohol und Eskalation am Wochenende, gepaart mit Behinderten-, Schwulen- und Frauenwitzen, die für den echten Mann natürlich alle auf einer Stufe stehen."
Da hat sich bis heute nicht unbedingt viel geändert und ich kenne es aus Erfahrung.
Beim letzten Satz musste ich schmunzeln, da muss ich Anastasia loben.
aber man darf auch mal fragen, wo anastasia ihre empirischen erfahrungen für diese diagnose gesammelt hat?
ohne das ich dahingehend erfahrungswerte habe, machen mich solche pauschalen urteile über ganze bevölkerungsgruppen von natur aus skeptisch. selbst in ner rezi
Ich muss sagen, dass es in meiner Jugend nicht anders war (Westerwald, Rheinland-Pfalz).
https://www.youtube.com/watch?v=mBofNcdDMdY
Ein Ereignis fast so groß wie das Album selbst: Unser Bruder Fatih hat sich dem Finchi angenommen und sogar gleich zwei Boxen erworben! Gönnung!