23. April 2021

"Wir feiern die Musik und das Leben"

Interview geführt von

Die Flaming Sideburns legen 20 Jahre nach ihrem Debüt ein neues Album vor - und zwar in Originalbesetzung.

"Silver Flames" besitzt den alten rauen Charme der Frühphase, als die flammenden Koteletten zusammen mit Bands wie den Hellacopters oder Gluecifer in Skandinavien eine Retro-Rockwelle auslösten, die sich weltweit ausbreitete. Im Gespräch mit laut.de sprechen Gitarrist Arimatti Jutila und Schlagzeuer Jay Burnside über die Magie des alten Line-ups, ihren verstorbenen Freund Robert Dahlqvist von den Hellacopters und ihren bierbrauenden Produzenten.

Wisst ihr eigentlich, wie ich eure Band kennengelernt habe?

Jay Burnside: Wahrscheinlich hast du uns früher auf einer unseren vielen Touren in Deutschland gesehen.

Nein, ich habe euren Bandnamen auf einer Schallplatte gelesen und gedacht: "Das ist mal ein cooler Name." Daraufhin habe ich mir die Platte angehört und auch gekauft. Das muss "It's Time To Testify...Brothers And Sisters" gewesen sein.

Arimatti Jutila: Du siehst, der Name einer Band ist wichtig.

Wer hatte die Idee für den Bandnamen?

Jay Burnside: Das hat alles mit dem alten Bandlogo begonnen. Da ist Elvis und um ihn herum sind lauter Flammen zu sehen. Eigentlich wollten wir uns zunächst nur Sideburns nennen. Aber wegen der Flammen haben wir uns für The Flaming Sideburns entschieden. Wir haben dabei auch an die vielen coolen Garagerock-Bands aus den 60er Jahren wie etwa The Flamin' Groovies gedacht.

Ihr heißt flammende Koteletten. Aber warum trägt keiner von euch so einen richtig schönen Backenbart?

Jay Burnside: Gute Frage, früher hatten einige von uns zumindest leicht angedeutete Koteletten. Wir hatten aber nie die richtig großen. Schade eigentlich.

Arimatti Jutila: Immerhin haben wir noch das Logo.

Kommen wir zu eurem neuen Album "Silver Flames". Warum habt ihr 14 Jahre für den Nachfolger von "Keys To The Highway" (2007) gebraucht?

Jay Burnside: Eigentlich hatten wir gleich nach "Keys To The Highway" begonnen, neue Songs zu schreiben. Wir haben aber schnell gemerkt, dass dieses Material nicht den Standard hatte, den wir uns wünschen. Deshalb hatte es keinen Sinn ergeben, die Arbeit an dem Album fortzusetzen. Die Aufnahmen von damals verrotten in einer Höhle irgendwo im Wald. Später bin ich dann für einige Jahre nach England gegangen. Um Shows zu spielen, war das kein Problem, doch es gestaltete sich schwierig, an neuem Material zu arbeiten. Außerdem hat sich unser Leben damals stark verändert. Wir haben alle Kinder bekommen, um die wir uns kümmern mussten. Jetzt sind die Kids alt genug, und wir haben wieder genug Zeit für die Band.

Was war der Hauptgrund, nach so langer Zeit wieder ein Album aufzunehmen?

Arimatti Jutila: Ich habe 2018 einen Anruf von unserem Sänger Eduardo erhalten. Ich hatte bestimmt 20 Jahre nicht mehr in der Band gespielt. Er fragte mich, ob ich mit dem alten Line-up auf Tour nach Spanien kommen wolle. Wir haben uns dann bei Eduardo im Haus getroffen und darüber diskutiert. Ich habe schließlich zugesagt. Der Auslöser für meinen Wiedereinstieg war aber nicht die Tour in Spanien. Ich wollte mit den Jungs einfach wieder Musik machen und ein neues Album aufnehmen. Über all die Jahre hatte ich das Gefühl, dass die Flaming Sideburns noch nicht ihr bestes Album veröffentlicht haben. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen.

Ich würde "Silver Flames" zusammen mit "Hallelujah Rock'n'Rolla" in der Tat als euer bestes Album bezeichnen.

Arimatti Jutila: Als wir in Spanien auf Tour waren, haben wir sofort angefangen, neue Songs zu schreiben. Wir konnten dann beim ersten Konzert in Finnland zwei Monate später neue Songs spielen. Das hat es bei uns sehr lange nicht mehr gegeben, dass wir uns so in die Arbeit gestürzt haben.

"Ich würde es alte Magie nennen"

War das alte Bandfeeling sofort wieder da?

Arimatti Jutila: Ich würde es die alte Magie nennen.

Jay Burnside: Wir mussten gar nichts groß absprechen. Wir sind einfach in den Proberaum gegangen und haben angefangen zu spielen. Wir kennen uns alle schon so lange, haben Hunderte von Shows miteinander gespielt, wissen wir der andere riecht. Doch ich glaube, wir spielen besser zusammen als jemals zuvor.

Arimatti Jutila: Wir haben uns vor drei Jahren wieder zusammengefunden. Die Songs fertig zu stellen, ist uns einfach von der Hand gegangen.

Ich empfinde euer neues Album rauer und mehr back to the roots als sein Vorgänger. Ist das absichtlich passiert?

Arimatti Jutila: Auf jeden Fall. Wir sind darin auch sehr von unserem langjährigen Produzenten Jürgen Hendlmeier bestärkt worden. Wir kennen ihn von Tag eins an. Er ist mit der Einstellung an das Album herangegangen, den natürlichen alten Sound der Band einzufangen. Wir haben die Songs in einer Livesituation eingespielt ohne Overdubs oder irgendwelche anderen Extras. Das war sehr oldschool. Ich glaube, nicht mehr viele Bands arbeiten so wie wir. Viele gehen Song für Song durch, ändern Passagen oder schreiben sie komplett um. Unser Modus Operandi ist es, ins Studio zu gehen, wenn die Songs fertig zur Aufnahme sind. Wir drücken dann die Aufnahmetaste und los geht es, ganz einfach.

Jay Burnside: Wir sind oldschool. Gleichzeitig klingen wir aber frisch, weil es kaum noch Bands gibt, die so klingen wie wir.

Meine Lieblingssongs auf dem neuen Album sind "Searching Like A Hyena", "Silver Flame" und "A Song For Robert". Welches sind eure Lieblingslieder?

Jay Burnside: Ich mag "Freak Out" sehr gerne. Ich habe mein ganzes Leben nebenher als DJ gearbeitet. "Freak Out" ist die Art von Song, den ich gerne auflegen würde. Allerdings sind wir mit der Absicht an das Album herangegangen, dass jeder einzelne Song das Potential hat, als Single verwendet werden zu können.

Arimatti Jutila: Für mich ist es sehr schwer, die Frage zu beantworten. Ich finde die beiden Songs super, die in spanisch gesungen sind. Das ist mal was anderes und hat etwas Exotisches. "Nibiru" und "Trans-Noché" sind schon sehr speziell.

Jay Burnside: Es gibt nicht viele argentinisch-finnische Rock'n'Rollbands (lacht). Oder wie viele finnische Bands singen auf spanisch? Unser Ziel für das nächste Album ist es, alles Songs in spanisch zu singen (lacht).

Arimatti Jutila: Und das darauffolgende in deutsch (beide lachen).

Ein besonderer Song auf "Silver Flames" ist sicherlich "A Song For Robert", der für den 2017 gestorbenen Robert Dahlqvist von den Hellacopters geschrieben wurde. Wer hatte die Idee zu diesem Lied?

Jay Burnside: Ich glaube es war Eduardo. Er und Robert haben sehr viel zusammen gearbeitet. Mit diesem Song wollen wir aus einer traurigen Situation etwas Positives machen. Im Refrain heißt es: "It's gonna be loud tonight." Die Zeile stammt von Robert. Er schrieb sie Eduardo am Ende einer Mail, bevor er das letzte Mal zu einer Show von uns nach Finnland kam.

Arimatti Jutila: Es ist tragisch, dass Robert so früh gestorben ist. Mit dem Lied wollen wir die Musik und das Leben feiern.

Was war das Besondere an Robert?

Jay Burnside: Er war ein echter Schatz. Wenn er ein Zimmer betreten hat, schien die Sonne. Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen gehabt und konnte sich für so viele Sachen begeistern. So habe ich ihn kennengelernt. Es mag sein, dass er auch eine andere Seite hatte. Ich habe nicht mit ihm in einer Band gespielt und keine 24 Stunden am Tag mit ihm verbracht.

"Es herrschte eine große Kameradschaft"

Wie war oder ist eure Beziehung zu den Hellacopters, mit denen ihr 2001 die Split-EP "White Trash Soul" veröffentlicht habt?

Jay Burnside: Es begann alles 1996 als die Hellacopters in Stockholm als Support für die Dictators spielten. Sie und wir hatten gerade unsere Bands gestartet. Wir dachten, wir sind die einzige Rock'n'Rollband in Skandinavien. Und die Hellacopters dachten das von sich auch. Als wir die Hellacopters näher kennenlernten, haben wir bemerkt, was es allein in Stockholm für eine große Szene für solche Musik gab. Wir haben uns dann ziemlich schnell mit den anderen Bands angefreundet und wurde neben unserer eigenen Szene in Helsinki auch Teil der Stockholmer Szene. Mit den Hellacopters haben wir später viele Shows auf der ganzen Welt gespielt.

Wie war damals der Zusammenhalt innerhalb der skandinavischen Szene, die neben euch und den Hellacopters solch bekannte Bands wie Gluecifer, Turbonegro oder den Hives hervorgebracht hat?

Jay Burnside: Es gab in den großen Städten wie Oslo, Helsinki, Kopenhagen und Stockholm eine Szene, die untereinander gut vernetzt war. In Zeiten wie diesen vermisse ich es, dorthin reisen zu können, um Freunde zu besuchen. Es herrschte eine große Kameradschaft zwischen allen Bands und überhaupt kein Konkurrenzdenken. Das Gute war, dass die meisten Bands ihren ganz eigenständigen Sound hatten. Wir haben uns unterschiedlich angehört, aber das gleiche über die Musik gefühlt. Viele von den alten Bands gibt es leider nicht mehr. Doch es kommen einige gute junge Nachwuchsbands nach. Das freut mich sehr.

Ihr habt vorhin euren Produzenten Jürgen Hendlmeier erwähnt. Der Nachname hört sich so an, als ob er aus Bayern kommen würde.

Jay Burnside: Nein, er kommt aus dem Schwarzwald. Er lebt aber schon lange in Finnland. Hauptberuflich ist er jetzt Bierbrauer. Er braut typisch deutsches Bier. Er ist dafür ziemlich bekannt in Finnland.

Arimatti Jutila: Er arbeitet eigentlich gar nicht mehr im Musikbusiness. Für uns hat er aber eine Ausnahme gemacht. Er hat gesagt: "Ihr seid die einzige Band, die ich produziere."

Jay Burnside: Wir haben ihn 1996 in Berlin kennengelernt, als wir in seinem Tonstudio unsere ersten Demos aufgenommenen haben. Sein Tonstudio hieß 'Im Eimer' und befand sich in einem besetzen Haus in Berlin-Mitte. Dort gab es auch einen Club, wo Konzerte stattgefunden haben.

Warum ist er dann später nach Finnland gegangen?

Jay Burnside: Er hat eine Finnin kennengelernt und ist ihr gefolgt, die übliche Story eben.

Ist euer Sänger Eduardo aus dem gleichen Grund in Finnland hängen geblieben?

Jay Burnside: Eduardo ist in Argentinien geboren und in Buenos Aires aufgewachsen. Seine Mutter ist aber Finnin. Als Eduardo seinen Militärdienst hätte ableisten müssen, befand sich Argentinien im Falklandkrieg mit Großbritannien. Es hätte gut sein können, dass er für den Krieg eingezogen worden wäre. Weil er wegen seiner Mutter die finnische Staatsangehörigkeit hatte, kam er nach Helsinki und konnte das umgehen. Er leistete dann den finnischen Militärdienst ab. Seit jener Zeit lebt er in Finnland. Hier hat er auch mit Jukka, unserem zweiten Gitarristen, die Flaming Sideburns gegründet.

Interessieren sich eure Kinder auch für Musik?

Arimatti Jutila: Mein Sohn ist 19. Er hat seine eigene Hip Hop-Band. Er geht aber mit uns auf Tour. Er verkauft dann unser Merchandise. Auf Rock'n'Roll steht er aber nicht so. Das ist auch okay so. Als ich jung war, habe ich auch nicht die Musik meiner Eltern gemocht. Das muss so sein.

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