13. Juni 2014

"Ich hab' die Krankheit umarmt"

Interview geführt von

Über psychische Störungen spricht man nicht. Immo macht das Fass trotzdem auf. Er erzählt vom Höhenflug und der Bruchlandung, von Verletzungen, Kollateralschäden und dem Bedürfnis, aufzuräumen, ehe man weitergehen kann.

"Geschlossene Gesellschaft" hat Flowin Immo sein Album genannt. Von geschlossen kann allerdings keine Rede sein: Immo reißt die Türen zu seiner inneren Anstalt weit auf und lädt ein, sich in seiner Birne umzuschauen. Was da ans Licht kommt, liefert reichlich Gesprächsstoff. Außerdem will ich wissen: Warum zum Teufel polarisiert der Mann so dermaßen? Wie geht er mit garstigen Anfeindungen um? Und heißt das Gift immer noch Geld?

Immo?

Einen wunderschönen guten Tag!

Ebenso. Alle fünf Jahre kann man ruhig mal reden

Ja-haa! Ja, das stimmt. Olympischer Rhythmus.

Wenn wir noch ein bisschen verkürzen, sind wir genau im Takt.

Ja. Ich geb' mir Mühe. Die nächste Scheibe soll auch nicht so lange dauern.

Vor der Tour haben wir es ja nicht mehr hinbekommen. Wie liefs denn?

Qualitativ sehr hochwertige Gäste, quantitativ durchaus ausbaubar. Die, die da waren, waren happy. Emotional bewegt. Wir haben gute Konzerte gespielt. Man hat deswegen nicht gemerkt, dass es eher ... wenige Menschen waren. Es war 'ne gute Tour - wenn auch teuer.

Das Gift heißt Geld. Als wir uns das letzte Mal sprachen, war deine damalige Band, Les Freaqz, gerade auseinander gebrochen. Mit der neuen Truppe stimmt die Chemie jetzt?

Wir haben in der Tat jetzt zum ersten Mal ausprobiert, ob wir es mehrere Tage in Folge miteinander aushalten. Das hat sehr gut geklappt. Angenehmes Reisen, miteinander. Ich bin halt auch viel entspannter drauf als damals. So, wie ich jetzt drauf bin, hätten es die Freaqz auch noch länger mit mir ausgehalten.

Es war offenbar heilsam, sich zwischendurch zurückzuziehen.

Ja, in der Tat.

Wie habt ihr euch gefunden?

Die Jungs, The Hoo, sind ja für sich eine bestehende Band. Ich hab' die an einem Abend hier im Lovelite gesehen, einem Club, in dem ich die meisten Konzerte in Berlin gespielt hab'. Letztes Jahr am 1. Mai hab' ich auf der Oranienstraße auf dem Maifest gerappt. Das haben wiederum die gesehen, und dann hat mich der Keyboarder kontaktiert und aufs Fusion Festival zu deren Auftritt eingeladen. Der sagte: "Komm, wir machen da mal 'ne Session. Wir haben gesehen, du spielst da auch." Das haben wir dann auch gemacht. Daraufhin schrieb mich Anthony, der Keyboarder, ein paar Wochen später nochmal an, mit der Idee: "Ey, wie wär' das, wenn wir für dich Backing-Band machen?" Dann haben wir das im September ausprobiert. Das war gut. Und jetzt haben wir weitergemacht.

Dein neues Album "Geschlossene Gesellschaft" ist in relativer Abgeschiedenheit entstanden. Alles alleine ausgebrütet und eingespielt. Fühlt es sich komisch an, seine Arbeit plötzlich mit anderen Musikern teilen zu müssen?

Nee. Das fühlt sich super an. Ja, auch komisch, weil die das natürlich anders spielen, als ich das gespielt hab'. Dazu sei noch gesagt: The Hoo sind drei Italiener, ein Franzose, ein Russe. Davon sind nicht alle der deutschen Sprache so komplett mächtig, dass sie unbedingt schon verstehen, wovon ich da singe und rappe. Sprich: Die müssen den Zugang teilweise auch musikalisch finden, damit sie es dann so spielen, wie ich es fühle. Beziehungsweise müssen sie es ja so speilen, wie sie es fühlen. Das ist ein interessanter Prozess: dass die Musik neu zum Leben erweckt wird. Ich kann das ja auf der Bühne auch gar nicht anders machen. Ich kann mich ja nicht an alle Instrumente stellen. Insofern ist es ein super Gefühl, das mit denen zusammen zu spielen. In der Woche der Tour, jetzt, hat sich die Band mit dem Zeug auch eingegroovt. Allein von daher war schon wichtig, diese Tour zu spielen.

Ich stell' es mir einigermaßen schwierig vor, sich aus der Isolation, die du gewählt hattest, wieder in die Gesellschaft zurück zu bewegen.

Na, ja. Das hat auch über die Musik stattgefunden. 2012 bin ich das erste Mal wieder nach Bremen gefahren, in die Heimat, in mein altes Studio, wo das F.A.B.-Album aufgenommen wurde, wo ich das "Terra Pi"-Album gemacht habe. Das hab' ich ja vor zwölf Jahren, als ich Bremen verlassen hab', an einen alten Schulkollegen übergeben. Der betreibt das heute noch. Dort hab' ich mit ihm Sessions gemacht, Schlagzeug gespielt, er am Bass. Ich hab' 2012 mit Flo Mega da auch Sessions gemacht und hab' mich übers Musizieren wieder freigespielt, geöffnet. Dann sind in dem Studio auch noch ein paar Songs entstanden, für die Platte, die jetzt nicht in Österreich bereits gemacht wurden. Insofern war ich da schon wieder mit anderen Menschen am Musizieren. Ich war nicht mehr so abgeschieden und hatte das depressive Tal dadurch schon verlassen. Deshalb war das dann jetzt kein so entscheidender Schritt mehr, sich mit den Jungs von The Hoo in den Proberaum zu wagen.

Du hast dich also schrittweise wieder der Zivilisation angenähert?

Ja. Ich hab' ja auch selbst in der Depression Konzerte gespielt. Aber das waren jetzt nicht die schönsten Momente meines Lebens. Jetzt bin ich aber eben schon seit, was weiß ich, anderthalb oder bald zwei Jahren guter Dinge. Da hatte ich auch mehr Power, Sachen zu machen.

Dein Album gestattet sehr intime Einblicke in dein Leben mit manischer Depression. Das ist nicht ganz neu, du hast aus deiner Krankheit nie einen Hehl gemacht. Schon auf "Terra Pi" damals ...

Jaaaa ... geht so. Erzähl' weiter!

Ich hatte den Eindruck, dass das Thema zwischendurch ein wenig in den Hintergrund gerückt war, jetzt aber wieder voll präsent dasteht.

Also, ich hab' schon eher einen Hehl draus gemacht. Von meiner inneren Wahrnehmung. Das wurde zwar offen kommuniziert, schon damals, als ich '97 zwangseingewiesen wurde. Da ging ja durch die Hip Hop-Szene: "Immo ist verrückt geworden!" So haben andere Menschen darüber geredet. Ich für mich hab' das immer eher als Erleuchtungsszenario betrachtet. Ich hab' die Krankheit nicht an mich rangelassen, hab' das von mir weggeschoben. "Nee. Ich habe eine Erleuchtung erlebt. Ich bin nicht wahnsinnig geworden. Ihr könnt das nur nicht verstehen." Da hab' ich in den letzten Jahren jetzt andere Gedanken dazu entwickelt. Ich hab' mich auch mit dem Krankheitsbild befasst, hab' mir Sachen durchgelesen, hab' das umarmt. Ich bin jetzt aber wieder auf dem Stand, wo ich sage: Es sind Phasen, die ich durchlebt habe. Es ist aber für mich keine andauernde Krankheit, kein Stigma, mit dem ich jetzt den Rest meines Lebens umgehen muss, sondern es ist auch 'ne Chance, was zu lernen und daran zu wachsen.

Somit such' ich ja jetzt auch mit dem öffentlichen, offenen Umgang mit dem Thema, mit den Erfahrungen, die ich machen durfte, einen weiteren Weg, eine Entwicklungschance, daraus weiterhin zu lernen, ohne diese Erfahrung noch einmal machen zu müssen. Weil: Ich hab' das jetzt dreimal intensiv gemacht. Es wird in unserer Gesellschaft als Krankheit bezeichnet. Ich sehe das aber eher als einen psychischen Wachstumsprozess oder einen Ausbruch aus der Norm, der in unserer Gesellschaft dann eben gern mit Pillen behandelt wird. Das ist in meinen Augen aber nicht der richtige Umgang damit.

Was wäre ein besserer Weg? Wie würdest du dir wünschen, dass die Gesellschaft dem Problem begegnet?

Den besseren Umgang suche ich. Ich hab' jetzt für mich erstmal einen besseren Umgang gefunden, denn eigentlich müsste ich jetzt gerade schon wieder total wahnsinnig sein, weil ich gerade 'ne Platte rausbringe. In den letzten Jahren, war das immer verbunden. Ich glaube, diese Krankheit oder diese Extremzustände haben auch mit unserem Gesellschaftssystem zu tun. Dass es überhaupt zu solchen Zuständen kommt. Weil man sich eben in entsprechende Gedankenkonstrukte reinbegibt. Mein exzessiver Kiff-Konsum in den Zeiten ist, glaub' ich, auch Teil der Ursache. Deswegen hab' ich das jetzt in meinem Leben verändert. Ich hab' das sozusagen verabschiedet, um mich nicht in eine solche Gefahr zu begeben.

Ich hab' Freunde und Bekannte, die damit zu kämpfen haben. Die stehen seit Jahren unter medikamentöser Behandlung. Deren Leben wird von außen verändert, damit sie irgendwie funktionieren. Das bringt nur deren Leben nicht wirklich weiter. Aber die haben auch, gerade wenn sie depressiv sind, nicht die Kraft, da jetzt daran zu drehen. Das war auch ein weiterer Beweggrund - jetzt losgelöst von meiner persönlichen Therapiewirkung, was diese Scheibe angeht - für diese Menschen dieses Fass aufzumachen. Einen öffentlichen Diskurs anzuregen, dass man sich darüber auch mal anders unterhält. Es ist ja eigentlich ein Tabuthema, psychische Erkrankungen. Oder Extremzustände, die für einen - in Anführungsstrichen - "normalen" Menschen nicht nachvollziehbar sind. Da hab' ich eben über die letzten achtzehn bis bald zwanzig Jahre persönlich intensive Erfahrungen sammeln dürfen. Deswegen kann ich auch jetzt eher, so schwierig das auch ist, sich jeweils in die Einzelfälle reinzudenken, Mitgefühl oder Verständnis aufbringen für jemanden, der durchdreht.

Ich denke, das ist auch deswegen ein solches Tabu, weil das Thema irre angstbesetzt ist. Die Angst, den Verstand zu verlieren, die packt ja jeden irgendwann mal.

Ja. Ja, in irgendeiner Ausprägung kennt das jeder. Nur wenns wirklich extrem wird, dann strengt es einen ja auch selbst an, sich mit solchen Menschen zu befassen, mit deren komischen Ansichten oder Äußerungen.

"Ich möchte die Hosen runterlassen"

Wenn man solche Tabus anspricht, macht man sich, gerade wenn sie einen selbst betreffen, ziemlich angreifbar. Du legst deine Flanken völlig offen. Hast du keine Angst, dass du denen, die gemein sein wollen, gleich noch Munition lieferst?

Nee. Ich hab' keine Angst. Ich habe nichts zu verbergen. Beziehungsweise bin ich natürlich auch neugierig darauf, wo Leute noch etwas finden wollen, das ich zu verbergen hätte. (Lacht) Nee. Dieses Schwächezeigen gibt mir Stärke. Ich möchte die Hosen runterlassen und mit offenen Karten spielen. Ich möchte mich nackt machen, weil diese ganze Maskierung, dieses Sich-hinter-irgendwas-Verstecken, das interessiert mich nicht. Mich interessiert die Realität. Ich kann aus meiner Realität berichten und bin gespannt auf die Rückmeldungen, die es dann geben wird, und auf die Auseinandersetzung damit.

Du hast also kein Bedürfnis nach einem Rest Privatsphäre?

Pffffffffff. Ja. Hmmm. (Überlegt) Es hat ja eh sozusagen öffentlich stattgefunden. Der Wahnsinn, die Manie findet sehr öffentlich statt. Bei der Depression tauche ich dann ab. Um mich da jetzt auch mal als Mensch und als Künstler zu erklären, war das die einzige Platte, die ich jetzt machen konnte. Um auch selbst weiter zu kommen, um das zu verarbeiten und danach auch wieder andere Inhalte zu vertonen. Aber das brannte mir auf der Seele. Das musste ich nun beenden.

Man steht aber - hoffentlich - nicht ganz alleine auf der Welt da. Es geht ja auch um die Privatsphäre von Angehörigen und Freunden. Erfährst du da Rückhalt?

Ja. Ein entscheidender Faktor meiner Heilung war, dass ich mich Anfang des letzten Jahres bei vielen Menschen schriftlich entschuldigt habe. Beziehungsweise, anders formuliert: Ich habe schriftlich um Verzeihung gebeten. Vorher schon, meine engsten Verwandten, meine Eltern, mein engstes langjähriges Umfeld: Das waren die ersten, bei denen ich meine Schuld und meine Scham, ja ... eingestehen musste. Als ich die Worte gesucht habe, wie schreibe ich diese Menschen an, durch diesen Reflektionsprozess sind viele Texte zustande gekommen, die ich vorher nicht hatte. So ist dann auch das Album entstanden. Darauf hab' ich positive Rückmeldungen bekommen, von den Menschen. Nach all der Zeit. Da waren ja Jahre vergangen, in denen ich mich nicht gemeldet hatte. Die haben mich noch einmal darin bestärkt, haben mir auch Kraft gegeben, dass ich diesen Rucksack voll mit Ängsten, Schuld und Scham endlich ablegen konnte. Dass ich dieses Gefühl der Reue endlich positiv verarbeiten konnte. Weil bei meinem Gegenüber dadurch auch eine Heilung stattgefunden hat. Das war dann ein beidseitiges gutes Gefühl, wo vorher kein Kontakt mehr oder sogar Angst vor einer neuen Begegnung im Raum stand. Das hat das Ganze ... befriedet.

Klingt nach einem Riesenbedürfnis, erst einmal aufzuräumen, bevor man mit etwas Neuem anfängt.

Ja, genau. Deswegen konnte ich jetzt nicht irgendeine Scheibe mit lustigen Songs machen. Die sind aus der Songsammlung wieder rausgeflogen, weil klar war: Ich muss jetzt mal meine Vergangenheit reflektieren, um eine neue Gegenwart zu ermöglichen.

Hoffen wir, dass die lustigen Songs noch kommen.

Jaaaa ... doch, doch.

Du bist schon ewig im Geschäft und hast schon immer ausgesprochen stark polarisiert. Woran liegt das?

Woah. Ja ... also ... mein intensives Auftreten. Ich kann mir vorstellen, dass ich damit manche Leute erstmal direkt nerve. Wenn ich dann noch die Sprache benutze, die ich benutze, kann das noch stärker nerven. Dann hab' ich so 'ne komische Fresse und 'ne eigenartige Stimme und zieh' mir dann noch komische Sachen an. All das kann jemanden verstören. Oder eben nerven. Andere erfreut das. Aber genau ergründen kann ich das auch nicht, warum ich jetzt (lacht) immer noch nicht der erfolgreichste Künstler aller Zeiten bin. Ich kanns nicht genau sagen. Wenn ich mir altes Archivmaterial ankucke - Aggro TV hat ja in den letzten Jahren alte Freestyle-Sendungen auf YouTube reingestellt - da ertappe ich mich schon auch dabei, mich zu sehen und zu denken: "Was für ein überdrehter Spast!" Wenn ich mir dann überlege, manche Menschen haben mich nur das eine oder andere Mal gesehen, wenn ich so - "Wüääääääääh!" - vor der Kamera agiere, dann kann ich mir lebhaft vorstellen, dass einer sagt: "Der Typ ist ein Spast!" Dann hab' ich dem aber sozusagen nicht den nötigen Zugang ermöglicht. Oder deren Ignoranz war zu stark, um sich damit näher zu beschäftigen. Auf der anderen Seite krieg' ich ja auch Rückmeldungen von Menschen, denen das, was ich tue, etwas Besonderes gibt, das sie bei anderen nicht kriegen.

In einem deiner Songs sagst du selbst: "Bin ich verrückt? Hab' ich 'ne Meise?" Hast du eine?

Ich habe auf jeden Fall verrückte Phasen erlebt. Aber ich bin ja jetzt auch wieder in einem neuen Zustand, weil ich diese Erfahrung machen durfte, diese extrem entrückte, exzentrische, aus dem Zentrum heraus, nicht mehr voll in der Mitte und ausbalanciert. Sondern, bämm!, in den manischen Wahnsinn, weißt du? Abflug. Das Gefühl, fliegen zu können, aber auch, in der Depression, dieses tonnenschwere Gefühl, nicht mehr aufstehen zu können. Zwischen Finsternis und Erleuchtung hab' ich einfach ein sehr breites Spektrum an Erfahrungen machen dürfen und bin nun wieder in einer ausgewogenen Mitte angekommen. Ich weiß aber um die schon überschrittenen Grenzen, die ich hinter mir habe. Insofern: Ich bin nicht verrückt. Ich habe aber solche Zustände erleben dürfen. Das bereu' ich aber auch nicht. Ich bereue eher das Leid, das ich anderen in der Zeit zugefügt habe. Mir selber dann auch, aber der Prozess an sich hat mich ja auch zu dem gemacht, das ich heute bin. Dewegen werd' ich den Teufel tun und das bereuen.

Macht es dich stabiler, solche Grenzzustände erlebt zu haben? Oder macht das Wissen um die Kippeligkeit des Gleichgewichts unsicherer?

Beides. Ich hatte eine gewisse Befürchtung, was diese aktuelle Plattenproduktion angeht. Auch gerade mit der Kopplung: Ich mach' das jetzt wieder auf dem eigenen Label und bin die absolute Schaltzentrale. Ich muss zig Sachen auf einmal machen. Ob mich das wieder in den Wahnsinn treibt? Auf der anderen Seite bleibt mir nichts anderes übrig. Ich muss das so machen, um meinen eigenen Weg zu gehen. Eine entscheidende Veränderung war eben, dass ich das Ganze diesmal nüchtern tue und nicht mehr unter Ketten-Kiff-Konsum. So hab' ich meinen ganzen Versuchsaufbau geändert. Es macht mich stabiler, weil ich um die Konsequenzen weiß. Der letzte Abflug, das war ein Riesenrausch. Über neun Monate hinweg war ich so high, wie man es sich nicht vorstellen kann. Dann hab' ich aber auch zwei, zweieinhalb Jahre in der dunklen Höhle dafür bezahlt. Das möchte ich nicht nochmal erleben. Ich habe die Erfahrung gemacht. Ich weiß, wie es sich anfühlt, so hoch zu fliegen. Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, so tief zu tauchen. Deswegen muss ich diese Erfahrung nicht noch einmal machen, sondern kann daraus hoffentlich weiterhin Kraft schöpfen, um in einem ruhigeren Fahrwasser trotzdem extreme Kunst zu machen. Dafür muss ich nicht wieder in diese Zustände abtauchen. Oder abheben. Ich hoffe, dass das so bleibt.

"Kommentare haben nicht viel mit mir zu tun"

Die Kommentare, die man zum Beispiel unter Videos von dir liest, sind ja teils wirklich garstig.

Ja.

Schmerzen solche Bosheiten nach all den Jahren noch? Wird die Haut dünner oder das Fell dicker?

Das kommt auf die Tagesform an. Ich lese Kommentare mittlerweile auch so, das jemand über sich selbst schreibt. Der Kommentator beschreibt damit eigentlich sein Weltbild und seinen Blick auf sich. Das hat gar nicht so viel mit mir zu tun. Ich bin dann vielleicht eher ein Auslöser, dass jemand seinen Selbsthass öffentlich formulieren möchte.

Curse hat mir mal etwas Ähnliches in Bezug auf Plattenkritiken gesagt: "Wenn ich eine Review gelesen habe, weiß ich hinterher kaum was über die Platte, aber eine ganze Menge über den Kritiker."

(Lacht) Ja!

An anderer Stelle deines Abums singst du: "Ich kann euch nicht ändern, also ändere ich mich." Schwingt da Resignation mit? Hast du die Weltverbesserungsversuche aufgegeben?

"Geschlossene Gesellschaft" ist der einzige Song, der komplett im Attergau entstanden ist. Das war im November 2009. Die Manie verabschiedete sich langsam. Der Sommer war vorbei. Es wurde dunkel, dort, und ich war frustriert. Ich war zornig. Ich wollte Menschen ändern und konnte es nicht. Ich hab' mich nur noch in Konflikte verstrickt und hab' dann ja auch das Feld geräumt. Ich bin aus Berlin weg, hab' gesagt, ich wandere aus. Auch, um mich zu beruhigen. Aber das war noch der letzte zornige Akt. Nach einem Tag hatte ich das Ding eingespielt und eingesungen, am nächsten Tag Video geschnitten und hochgeladen. Das ist so alles noch auf YouTube sichtbar: Danach verebben meine Videos von damals. Dieses Stück hab' ich nicht nochmal neu eingesungen. Das ist der zornige Typ von 2009.

Für mich hat das einen total sauren Punk-Vibe. Ich finde, dass man das Album aber tatsächlich, auch wenn es anstrengend ist, als Einheit betrachten muss, weil es meiner Meinung nach so einen manisch-depressiven Zyklus gut einfängt. Von überspannter Wut in die Melodieseligkeit, dann ziehen sich die Wolken zusammen, es wird finster, bis sich irgendwann die Nebel wieder lichten. Es klingt, als wären die Songs wirklich in der Reihenfolge entstanden, wie sie auf der Platte gelandet sind.

Nee, nicht ganz. "Geschlossene Gesellschaft" ist der erste Song, der entstanden ist. "Miteinander", der zweite Song auf der Platte, ist der letzte Song, der entstanden ist. "Liebe Leute" ist in Bremen entstanden, im Februar letzten Jahres, als ich dort war, um auf meine Instrumentalgerüste, die ich aus dem Attergau mitgebracht hatte, noch Flügel drüber zu spielen, Hammondorgel, die Geigen hab' ich da aufgenommen und 'n bisschen Percussion. Ich hab' alle Titel dort nochmal eingesungen. Dann hab' ich mich mal durch die Festplatte von meinem Studionachfolger und -Kollegen gescannt, um zu kucken: Was macht der eigentlich hier im Studio, wenn er alleine ist? Da bin ich über "Liebe Leute" gestolpert, als Viertakt-Loop. Ich hab' das Ding ausarrangiert und den Song draus gemacht. Die Basis von "Bomben Im Paradies" stammt auch von ihm. Da sind nur zwei Gitarrenspuren von übrig geblieben. "Pinke Pinke" ist im Attergau entstanden, hab' ich dann 2011 hier in Berlin geschrieben und aufgenommen. Das war sozusagen dann eher in der Depression. Nach "Pinke Pinke" kommt Bomben Im Paradies", das hab' ich in Bremen aufgenommen und geschrieben, im Januar letzten Jahres. "Karussell" hab' ich auch im Attergau getextet.

Der Text von "Vulkan" entstand nach der Entschuldigungswelle, als ich wieder Zugang zu dieser Liebe bekam, die ich damals auch gespürt hab'. "So Gut" ist aus einer Session entstanden, die ich in Bremen gemacht habe. Nur Schlagzeug und Bass, erst danach kamen die anderen Instrumente drüber. "Einsamkeit" und "Finsternis", das sind auch Attergau-Instrumentale. Die Texte kamen auch erst nach der Entschuldigungswelle. "In Der Birne" stammt direkt aus der Depression. Das Instrumental ist auch aus dem Attergau. Da hab' ich mich hier zu Hause 2011 beschäftigt und hab' das Ding aufgenommen. Was kommt danach? "Reue", auch ein direkter Nachfolger der Entschuldigungswelle. "Nebelschwaden" ebenso, und "Irgendwann" stammt aus einer Studiosession in Bremen. Da haben wir sozusagen einfach gemuckt und mitgeschnitten. Aus dieser Session hab' ich dann den Song rausgeschnitten, die restlichen Instrumente drübergebügelt und den Text geschrieben.

Erstaunlich, eigentlich, dass bei einer so sprunghaften Entstehungsgeschichte ein logischer Spannungsbogen rausgekommen ist.

Der hat sich durch die Songs ergeben. Die Reihenfolge hab' ich noch ein bisschen umgestellt. "Geschlossene Gesellschaft" kam am Anfang, als ich die Playlist gemacht habe, direkt nach "So Gut". Frust, Zorn und Wut standen da noch mittendrin. Das hab' ich dann nochmal umgestellt, weil: "Geschlossene Gesellschaft" ist der Startschuss für das Album. Das ist der manische Zustand. So muss das einsteigen. Dann hatte ich Anfang so ein Übergangsproblem. Da hatte ich noch das Instrumental von "Miteinander", das ich in Bremen gemacht hatte, das hatte aber noch keinen Text - und dann ist mir noch so ein anderer Reflektionstext rausgerutscht, der da jetzt drauf ist. Nach dem ganzen Prozess, als das Album auch schon reifer war. Dann war es plötzlich ein schlüssiger Einstieg, erst so "Wuäääch!" - und dann eben auch bisschen Rap am Anfang vom Album. Und der dope Beat. (Lacht)

Finanziert hast du das Projekt per Crowdfunding. Wie kamst du denn auf die Idee?

Akutestes Beispiel lieferte Mellow Mark. Der hat das im letzten Jahr gemacht, hat für seine Solo-Liveplatte Geld eingesammelt. Das Prozedere war mir schon länger ein Begriff. Vor allen Dingen stand ich am Ende letzten Jahres, oder Anfang dieses Jahres, da und hatte 'ne Platte, aber nicht das entsprechende Budget. Und bevor ich da jetzt wieder irgendwo 'nen Vertrag unterschreibe ... Das letzte Album, "Immoment", hab' ich ja über Fader Gladiator sein Label rausgebracht, weil der mir das damals angeboten hatte. Jetzt hätte ich auf die Suche gehen müssen. Und ich hab' ja vor zehn Jahren, ach, vor 15 Jahren schon bald, meine ersten Soloplatten selbst rausgebracht. Weil ich Kunst machen will, die ich dann zum Markt trage, statt einen Markt zu bedienen, von dem eine Firma eine gewisse Vorstellung hat. Das möchte ich dann doch lieber selber tun und mich von meinem Publikum abhängig machen. Ich bin eh von meinem Publikum abhängig, deswegen ist das für mich jetzt der logische Schritt gewesen, dieses Publikum mit ins Boot zu holen. Zu sagen: Passt auf, ich habe ein Angebot. Wenn ihr das jetzt schon vorbestellt, dann kriegt ihr es in ein paar Monaten, wenn es fertig ist.

Der Gedanke, doch auf die Suche nach schon existenten Labelstrukturen zu gehen, die einem das Leben ja auch ein bisschen hätten erleichtern können, kam gar nicht?

Den hab' ich mal kurz durchgespielt. Ich hab' mir überlegt, welche Firmen das sein könnten. Ich hab' mir dann aber doch gesagt: Nee. Ich habe das ja über die letzten Jahre immer wieder probiert und dabei auch viel gelernt. Ich hab' dabei auch viele Fehler gemacht. Nun wollte ich einige Fehler nicht nochmal machen, aber weiterhin lernen. Und auch ein Fundament gießen, für meinen weiteren Weg. Und der soll eher von mir und meinem Publikum abhängig sein, als von Vertragspartnern. Somit war klar: Ich besorg' mir jetzt endlich, nach all den Jahren, mal einen eigenen Labelcode, seh' zu, dass ich irgendwie ein Netzwerk von Partnerfirmen um mich herum aufbaue, wie zum Beispiel Sure Shot als Promoagentur oder recordJet als neuen Vertrieb, und legs nochmal drauf an. Weil ich ja gerne weiterhin Inhalte veröffentlichen möchte, ohne mich mit anderen Menschen über diese Inhalte unterhalten zu müssen.

Hast du gedacht, dass die anvisierte Summe so schnell zusammenkommt?

Nee. Ich hatte mir gedacht: Okay, 10.000 brauch' ich, mindestens, um in Gang zu kommen. Das kann ich auch irgendwie erreichen, war meine Idee. Dann ging das gut los. Die Kohle ist jetzt aber auch schon wieder komplett im Einsatz. Und nochwas obendrauf. Ich muss jetzt mal ein paar Platten verkaufen.

Das beantwortet die nächste Frage: Was machst du mit eventuell übrig gebliebenem Geld?

Ich muss eher jetzt weiter wirbeln, dass ich die Platten, die jetzt im Presswerk sind, schnellstmöglich in Umlauf bringe. Für mich bleibt da erstmal nix übrig.

Hast du überhaupt Träume, die sich mit Geld erfüllen ließen?

Öhmmm ... na, ja. Produktionsmittel sind schon wichtig. Gerade, wenn man Tonträger herstellen will, die manche Menschen ja immer noch haben wollen. Wenn man das Ganze nur digital machen würde, dann wäre der Wareneinsatz, die Kostenschwelle, niedriger. Aber das wird ja noch nicht so viel beachtet, so ein Digitalrelease. Deswegen hab' ich mich jetzt wieder in den Wahnsinn begeben, mach' Doppelvinyl und schicke CDs.

Ernsthaft? Doppelvinyl? Ich muss weg. Bestellen.

Ja-haa! Mit allen Tetxen auf den Hüllen.

Okay. Eine haste mindestens verkauft. Kann man schon ordern?

Bei mir auf der Seite. Alles direkt vom Erzeuger. Ey, allein Vinyl ist so ein arschteures Medium, mit der ganzen Fertigung ... Das wird sich jetzt zeigen, ob sich das rechnet. Für mich war jetzt wichtig, diese Platte so amtlich wie möglich zuende zu bringen. Nachdem ich die ganze Produktion selbst gemacht hab', bin ich deswegen auch zu Busy [Sascha 'Busy' Bühren, d. Red.] zum Mastern, hab' mir da ein Gütesiegel abgeholt und ihm vor allen Dingen auf die Finger gekuckt, was er da noch macht, und bin jetzt um so schlauer.

Man lernt nie aus.

Nee. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Kann Geld mir Träume erfüllen? Natürlich! Geld kann mir auf dem Weg dahin helfen. Der Traum ist aber nicht der Schein in der Hand, sondern das Lächeln oder die Träne auf dem Gesicht des Empfängers, das offene Herz, das gemeinschaftliche Erlebnis. Ich bin ja ein Sender. Ich lebe davon, dass meine Sendung empfangen wird, und ich auch 'ne Rückmeldung krieg', dass sie empfangen wurde. Das ist mein Treibstoff. Dafür brauche ich Tonträger und muss Konzerte veranstalten, damit dieses Signal übertragen werden kann. Und das kostet Geld. So ein Dagobert Duck-Szenario, wo ich auf einem Stapel Geld sitze, birgt für mich keinen Reiz. Natürlich seh' ich andere Zeitgenossen, auch ehemalige Weggefährten, die unheimlich erfolgreich mit ihrer Nummer sind, ein Album rausbringen und auf eins gehen, und alle schreiben drüber. Ey, ich hätte natürlich auch gerne solche Produktionsmöglichkeiten! Ich hätte 'ne fette Tour zu spielen, mit Extravaganzen auf der Bühne, die ich leider immer noch nicht finanzieren kann. Aber ich bin auf der anderen Seite auch froh und dankbar für meinen Weg, den ich gehen durfte. Für mich hat sich da halt eine andere Substanz entwickelt. Dennoch bin ich natürlich auch erfolgsabhängig und muss kucken, dass ich genug Leute erreiche, die das dann auch mit unterstützen, damit das weitergehen kann.

Das heißt, der Neid auf kommerziellen Erfolg hält sich in Grenzen?

Ja. Neid muss ich auch bekämpfen. Das ist so ein Instinkt. Määh, der hat, was ich nicht habe. Das ist aber auch ein Mitgefühl den Leuten gegenüber, weil die natürlich auch entsprechend angefeindet werden und Erwartungen zu erfüllen haben. Was die nicht alles machen müssen! Das ist sicherlich auch nicht immer die schönste Lebenssituation. Wenn auch eben die Ausstattung mit ausreichenden Produktionsmitteln natürlich 'ne super Ausgangsbasis ist, um neue Sachen zu machen.

In deinem finalen Track heißt es: "Irgendwann muss doch auch mal gut sein." Is' jetzt gut?

Ja. Ich glaub', es is' gut jetzt. (Lacht) Ja! Das ist so ein Fazit, das hab' ich da in Bremen eben auch gezogen. Es muss irgendwann mal gut sein. Ich muss damit abschließen. Durchatmen. Annehmen, was ist, oder was war. Dementsprechend habe ich jetzt meinen Frieden mit meiner persönlichen Entwicklung gemacht. Ich kann jetzt offen darüber sprechen und auch solche Vokabeln wie Manie und Depression in den Mund nehmen, ohne dass sich mir dabei die Nackenhaare aufstellen und ich mich schäme. Das ist einfach das, was ich bin. Ich bin ein Mensch, und ich werde weiter Mensch, mit jedem Tag, den ich lebe, und brauch' das nicht zu verstecken. Von daher ist es irgendwann gut.

Dann hoffe ich, dass es noch lange gut bleibt. Du klingst stabil.

Ja! Doch. Wenn ich meinen Aktivitätslevel ankucke, dann nimmt das schon wieder manische Ausmaße an. Aber ich fühle mich jetzt anders. Ich gehe anders mit mir und mit meinen Mitmenschen um. Ich kann entspannt auch mal loslassen, und dann aber wieder voll angreifen. Ich bin jetzt an einem anderen Punkt in meinem Leben angelangt. Ich bin auch froh um die Erfahrung, die ich in den letzten Monaten wieder machen durfte: dass ich eben nicht abgeflogen bin.

Super. Dann bleib' am Boden. So übel is' es hier unten gar nicht.

(Lacht) Nee. Alles gut.

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